Nah und doch so fern
Zwei Ausstellungen reflektieren eine Italienwanderung
Goethe war vielleicht nicht der erste Romreisende, doch sein Beispiel hat Schule gemacht unter Künstlern und Literaten. Über lange Zeit hinweg gibt es keine Künstlerbiografie in der nicht irgendwie auch Rom eine Rolle gespielt hätte. Ludwig Richter hat mehrere Jahre hier verbracht und sich nicht nur die heutige Hauptstadt, sondern auch die Umgebung wandernd erschlossen.
In unseren Tagen waren es Jens Kuhbandner und Falk Wenzel, die, den Spuren speziell der Romantiker folgend, mit dem Rucksack auf dem Rücken „durch die römische Campagna“ wanderten. Unter dem Titel „Herz und Sinn jubeln auf“ haben sie ihre Erlebnisse mit detaillierten Reisehinweisen im Jahr 2009 zu einem bemerkenswerten Reiseführer verdichtet und beim Notschriften-Verlag herausgebracht.
Davon nun wieder angeregt haben sich Simona Jurk und André Uhlig gemeinsam mit Sohn Janek auf den Weg gemacht, ihrerseits Rom und die Albaner Berge zu erkunden. Haben erstere Plätze aufgesucht, an denen etwa Ludwig Richter oder Woldemar Hermann zeichneten, freuten sich letztere, Orte zu finden, die Jens Kuhbandner und Falk Wenzel beschrieben und fotografiert haben. Es wird zu erleben sein, ob und wie der jüngste der Familie die Anregungen weitertragen kann.
Aus dieser Reise nun sind zwei Ausstellungen gewachsen, die noch bis zum Jahresende in der Oberschänke in Altkötzschenbroda (Simona Jurk, Gesehen. Rom. Fotografien) und bei „Gräfes Wein und fein“ auf der Hauptstraße (André Uhlig, Nah und doch so fern, Zeichnungen) zu erleben sind.
Simonas Fotos sind an das Polaroid-Format angelehnt. Sie vermitteln, obwohl natürlich doch digital bearbeitet, den Eindruck großer Unmittelbarkeit. Sie zeigen die „ewige“ Stadt in einer bemerkenswerten Stille, die noch nicht dem Virus geschuldet ist, sondern der frühen Jahreszeit (die Reise fand im Februar dieses Jahres statt) und der Morgenstunde verdankt wird, zu der die Familie sich auf die Pirsch begab, die Stadt zu erkunden. Zugleich zeigen sie die Faszination der Reisenden angesichts des Niegesehenen, ein Eindruck, den der Polaroidfilter noch verstärkt. Abermals erweist sich, dass auch Menschen, die bis nach Indien „in der Welt zu Hause“ sind, recht schnell dem besonderen Reiz „der erstaunlichsten Stadt des Universums“ erliegen.
Für Simona stehen dabei nicht die großen historischen Monumente im Fokus, sondern die kleinen Perlen des Alltags, die Mädchen auf dem Geländer, der Fleischer mit der blutigen Schürze, das Spiel von Licht und Schatten. Sie will Rom nicht einfach als „gesehen“ abhaken, sondern zeigen, dass und wie sie jeden einzelnen Augenblick gelebt hat.
„Nah und doch so fern“ sind die Erinnerungen André Uhligs an diese Reise. Mit gewohnt flottem Strich und wohl auch mit dem gewohnten Kaffee hat der Maler Motive aus seinem Reise-Skizzen-Tagebuch im heimischen Atelier ins rechte Format gebracht. Sichtlich beeindruckt zeigt er sich von der kolossalen Wucht des Kolosseums, dessen vielbogige Rundfassade ein ganzes Blatt allein bestimmt.
Bald aber zog es die Reisenden aus der Stadt hinaus in die Natur. Hier spüren die Betrachter, wie stark sich André von den Zypressen angezogen fühlt, die ihn an die Radebeuler Pappeln erinnern, die nun, wohl in die Jahre gekommen, langsam vor sich hin sterben. Im Fließen der Erinnerungen, im Rausch des Malens hat der Zeichner allerdings das Licht aus der Stadtmitte mit hinaus in die Ebene genommen – hier hätte eine Differenzierung sicher gut getan.
Schließlich stehen die Wanderer, wie vor ihnen Jens Kuhbandner und Falk Wenzel und noch weit früher Julius Cäsar auf der via appia, der berühmtesten aller Straßen, die ja bekanntlich sämtlich nach Rom führen. Gesäumt von antiken Ruinen kündet sie wie kaum eine andere von mehr als zweitausend Jahren römischer und also europäischer Geschichte. Spätestens seit Goethe werden Literaten und Künstler nicht müde, davon zu schwärmen.
Thomas Gerlach