Die Stechpalme – Baum des Jahres 2021

Erfreulicherweise ist es in vielen Ländern der Erde zu einer Tradition geworden, jedes Jahr einen Baum des Jahres auszurufen, um auf Bäume aufmerksam zu machen und zu ihrem Schutz anzuregen. In manchen Ländern handelt es sich dabei um einen konkreten Baum, in anderen, so auch in Deutschland, um eine ausgewählte Baumart. Der erste Baum des Jahres in Deutschland wurde 1989 gekürt, es war die allbekannte Stiel-Eiche (Quercus robur). Der Baum des Jahres 2021 ist die Gewöhnliche Stechpalme (Ilex aquifolium), auch Hülse oder Stechhülse genannt. Gewöhnlich ist an ihr eigentlich nichts. Es wird damit nur zum Ausdruck gebracht, dass diese europäische Art die in Deutschland einheimische und auch am häufigsten in Kultur anzutreffende Stechpalme ist (weltweit gibt es etwa 400 Arten der Gattung Ilex). Dabei ist sie keineswegs in ganz Deutschland verbreitet, ihr Areal reicht vom atlantisch beeinflussten, wintermilden Westeuropa bis in das westliche Deutschland, von hier über Niedersachsen bis Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, wo sie vor allem im Einflussbereich der Ostsee vorkommt.

Weiblicher, reich fruchtender Baum der Stechpalme Foto: P.A. Schmidt

Die immergrüne Stechpalme kann als Baum 10–15 m hoch und bis 300 Jahre alt werden, wächst aber auch strauchförmig. Auffällig sind die ledrigen, glänzend grünen, stechend zugespitzten Blätter, deren welliger Rand stachelig gezähnt oder ganzrandig sein kann. Nicht weniger ins Auge fallen die leuchtend roten Steinfrüchte, die aber nicht alle Bäume zieren, denn die Stechpalme ist zweihäusig. Es gibt also männliche und weibliche Pflanzen. Fruchtschmuck tragen natürlich nur die weiblichen Bäume, aber Voraussetzung für die Ausbildung samenhaltiger Früchte ist eine Pollen spendende männliche Pflanze in deren Umgebung. Die Früchte werden von Vögeln, vor allem Amseln, Sing- und Wacholderdrosseln, Rotkehlchen oder Mönchsgrasmücken verzehrt, die Steinkerne jedoch ausgeschieden und damit die Ausbreitung der Pflanze gefördert. Für den Menschen sind die Früchte und Blätter giftig. Die Stechpalme ist eine sogenannte Schattenbaumart, sie erträgt Schatten und wächst in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet im Unterwuchs von Wäldern. Wer gern an die Ostsee fährt, wird sie vielleicht schon im Waldschatten gesehen haben, so bildet sie im Ahrenshooper Holz (Darß) dichte Bestände unter dem Kronendach des Buchenwaldes. Sie kann aber auch auf lichten, sonnigen Standorten gedeihen, wobei es jedoch im Winter Probleme geben kann. Obwohl die Stechpalme Frost bis zu –15° C erträgt, kann es bei starker Sonneneinstrahlung im Winter zu Schäden kommen. Da die Blätter und die Rinde der jungen Zweige grün sind, wird die Photosynthese angekurbelt. Eine Zufuhr von Wasser aus dem gefrorenen Boden ist jedoch unmöglich, so dass Trockenschäden (Frosttrocknis) die Folge sind. Dies ist bei der Pflanzung von Stechpalmen zu beachten.

Zweig der Stechpalme mit Früchten und
stachelig gezähnten Blättern Foto: P.A. Schmidt

Warum heißt nun ein in Deutschland einheimischer Baum Stechpalme? Stechend erklärt sich leicht, da ein Teil der Blätter, meist die im unteren Teil der Krone, am Blattrand stechend spitze Blattzähne aufweist. Aber Palme? Die Blätter sind doch weder fächer- noch fiederförmige Palmwedel! Der Namen erklärt sich aus der christlichen Tradition, denn am Sonntag vor Ostern, dem Palmsonntag, wurde mit einer Prozession an den Einzug Jesu in Jerusalem, wo er mit Palmwedeln begrüßt wurde, erinnert. In Ermangelung von Palmen und überhaupt von grünen Zweigen zu dieser Jahreszeit in Mitteleuropa wurden Zweige der Stechpalme verwendet. Heute ist jedoch die Stechpalme weniger mit der Osterzeit verbunden, sondern findet eher Weihnachten Beachtung. Die in Großbritannien traditionelle Verwendung der grünen Zweige mit ihren roten Früchten zur Weihnachtszeit hat inzwischen auch bei uns Liebhaber gefunden. Die englische Bezeichnung der Stechpalme ist „holly“, ein Name, der auf einen gemeinsamen Wortstamm (althochdeutsch „hulis“) mit Hülse, dem vor allem in Nordwestdeutschland verwendeten Namen für die Stechpalme zurückgeht. Wer bei Holly an Hollywood denkt, liegt richtig, denn dieser weltbekannte Ort in den USA ist tatsächlich nach der Stechpalme benannt, heißt also übersetzt „Stechpalmenwald“.

Die wildwachsenden Vorkommen der Stechpalme stehen in Deutschland unter Naturschutz, denn es ist eine nach der Bundesartenschutzverordnung besonders geschützte Art. Sie wurde früher vielseitig verwendet, so das Holz für Tischler-, Drechsler- und Schnitzarbeiten, Spazierstöcke wurden ebenfalls daraus gefertigt. Auch Goethe soll einen Spazierstock aus dem Holz der Stechpalme besessen haben. In den ehemaligen Hutewäldern war die Art nicht beliebt, denn die Weidetiere mieden wegen der stacheligen Blätter die Pflanzen, wodurch sie sich ausbreiten konnten. Deshalb wurden sie von den Landnutzern zurückgedrängt. Zum Rückgang trug aber vor allem die Verwendung der attraktiven Zweige für Kranzbinderei, als Grabschmuck oder für Dekorationen bei. Heute wird dafür auf kultivierte Pflanzen zurückgegriffen.

Stechpalmen im Unterwuchs des Waldes Foto: P.A. Schmidt

In Sachsen ist die Stechpalme nicht einheimisch, wird aber gern als Zierpflanze in Gärten und Parks kultiviert. Heute begünstigen die meist milden Winter eine Ansiedlung außerhalb der Kulturstandorte, indem nach Vogelausbreitung in siedlungsnahen Wäldern natürliche Verjüngung aufkommt, so z.B. im Kapitelholz im Spaargebirge zwischen Meißen und Sörnewitz. Wesentlich häufiger aus Kultur verwildert tritt die ebenfalls immergrüne Stechdornblättrige Mahonie (Mahonia aquifolium) auf, die nicht mit der Stechpalme verwechselt werden darf. Sie besitzt Fiederblätter mit stachelig gezähnten Blättchen. Die Ausbreitung der in wintermilden Gebieten West- und Mitteleuropas und im Mittelmeerraum beheimateten Stechpalme ist vielerorts zu beobachten. Als Folge der Klimaerwärmung dehnt sich auch das natürliche Verbreitungsgebiet aus, so von bisherigen Arealrändern in Norwegen nach Norden oder im Ostseeraum nach Osten, wo sie sich von Dänemark bereits nach Schweden oder von deutschen Vorkommen nach Polen ausgebreitet hat.

Die Baumart Gewöhnliche oder Europäische Stechpalme ist nicht nur der Baum des Jahres 2021 in Deutschland, sondern ein Exemplar der Stechpalme ist auch der Rekordbaum oder Champion Tree des Jahres 2021 in Deutschland. Die Deutsche Dendrologische Gesellschaft und die Gesellschaft Deutsches Arboretum küren jedes Jahr einen Baum, der den stärksten Stamm seiner Art in Deutschland besitzt, als Champion Tree des Jahres. In diesem Jahr ist es eine 271 Jahre alte Stechpalme in Braunfels (Hessen) mit einem Stammumfang von 2,93 m (gemessen in 1,3 m Höhe über dem Boden). Dieser Baum wird anlässlich des Internationalen Tages des Baumes, der jedes Jahr am 25. April begangen wird, geehrt. Die Stechpalme mit dem stärksten Stamm in Sachsen (etwa 1 m Stammumfang) steht im Forstbotanischen Garten Tharandt.

Prof. Dr. Peter A. Schmidt, Ehrenpräsident der Deutschen Dendrologischen Gesellschaft e.V., Am Wasserwerk 24, 01640 Coswig, OT Sörnewitz

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