Ein freiwilliges soziales Jahr im Lügenmuseum

Nach dem Abitur 2020 wollte ich neue Dinge entdecken und dabei etwas Sinnvolles tun. Da stieß ich auf das Lügenmuseum. Es ist das einzige Lügenmuseum weltweit und mehr als nur ein Museum. So begann ich genau am 1. November im Lügenmuseum, gerade als der Lockdown verkündet wurde, ein freiwilliges Jahr hier.

Wenn man von außen auf das unsanierte Gebäude sieht, da kann man sich fragen, was machen die Leute da eigentlich? Der alte Gasthof ruiniert so vor sich hin und was ein Lügenmuseum sein soll, das kann sich auch keiner so richtig vorstellen. Vor Ort habe ich dann mitbekommen, dass die Akteure voll ausgelastet sind, es gibt praktisch keinen Feierabend. Man sieht das von außen gar nicht. Das Haus muss renoviert werden, das Museum aufgebaut und Projekte geplant werden.

Skulpturengarten „Labylysium“ aus einer labyrinthischen Ausstellungsarchitektur des Radebeuler Lügenmuseums anlässlich der Feierlichkeiten der Deutschen Einheit und des Lichterfestes auf dem Burgplatz in Leipzig, fotografiert am 04 Oktober 2020.
Foto: André Wirsig

Als ich das erste Mal durch das Museum spazierte war ich neugierig und begeistert. Lustige Maschinen, komplexe Apparate, Installationen, psychedelische Objekte sowie Lichtkunst lösten in mir wunderbare Emotionen aus. Alles sprengt jegliche Vorstellungskraft. Und was ist das Beste? Alles besteht aus wiederverwendeten Materialien, es ist ein riesengroßes Upcycling Museum. Mit dem Reparieren untersuchen die Künstler*innen die Logik zwischen, Zerstörung und Reparatur. Reparatur ist eine Form des kulturellen Widerstands und ein Mittel der Wiederaneignung der eigenen Geschichte. So lernte ich auch widerständige Künstler*innen Ostdeutschlands kennen. Sie sind das kulturelle Gedächtnis und das Lügenmuseum ein Ort für die Bewahrung und Dokumentation von Zeugnissen der Friedlichen Revolution, eine unabhängig und zukunftsweisend agierende Kultur- und Forschungseinrichtung. So kann ich hier auch meine handwerklichen Fähigkeiten mit dem Bau neuer Objekte verbessern, indem wir altes Material wie Abfallholz, Paletten, Töpfe, Vasen und andere Fundstücke aufarbeiten und sie in neue Kunstwerke verwandeln. Es passiert etwas Wunderbares, die Dinge hier werden mit neuer Energie aufgeladen.

In Leipzig auf dem Burgplatz konnte ich persönlich miterleben, wie das Labylysium, eine künstlerische Intervention im öffentlichen Raum geschaffen und den Austausch von Ideen und Diskussionen ermöglicht hat.

Auch mein Interesse zum Film kommt im Museum nicht zu kurz, endlich habe ich die Möglichkeit mich im Videoschnitt auszuprobieren, ich schneide Aufnahmen von früheren Ausstellungen und Aktionen zu einem schönen Film zusammen. Den kann man sich auf dem YouTube-Kanal vom Lügenmuseum anschauen.

Viele schillernde Kultureinrichtungen, die nach dem Mauerfall und langem Leerstand wieder eine Renaissance erlebten, zeichnen sich aus durch beherztes Handeln für eine regionale Zivilgesellschaft. Und die Stadt Radebeul hat den Künstler*innen das Gebäude überlassen. Ist das nicht cool? Hier kann man lernen wie Ideen und Träume und Probleme gelöst werden. Stück für Stück nehme ich wahr, wie breit das Aufgabenfeld hier ist: hier geht es um Aufbau- und Ablauforganisation, Macht und Verantwortung, Entscheidungsprozesse, Information und Dokumentation, Qualitätsmanagement, (Kultur-)Politik, Führung, nachbarschaftliche Beziehungen, Beziehungen zu Interessengruppen, Zusammenarbeit mit Netzwerken, aber auch um persönliche Entwicklung, Sachverstand, Spiritualität, Ziele und Strategien, Zusammenarbeit im Team, Schnittstellen und Synergien, Rollenerwartungen und Rollenhaltung.

Zuletzt entwarfen wir ein Museum To Go, ein Museumsbesuch für Zuhause, wir steckten den Zauber des Museums in eine Box und daraus entstand ein Museumserlebnis, welches auf die Reise gehen kann. Dafür habe ich eine Crowdfundingaktion realisiert, ein voller Erfolg. Corona war die ideale Gelegenheit für das Lügenmuseum, um sich neu zu erfinden. Zusammen bauen wir diese Idee weiter aus und bald gibt es auch eine Klimabox, eine Osterbox und ein Mauerfall to go.

Das Lügenmuseum ist für mich eine besondere und interessante Alternative zu einem Auslandsjahr, denn hier macht man genauso viele schöne Erfahrungen wie auf Reisen.

Theresa Dietrich

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