Laudatio zur Ausstellung Zwischen den Well(lt)en in der Radebeuler Stadtgalerie

Die Ausstellung setzt die Tradition der jährlichen Gemeinschaftsausstellungen so erfolgreich fort, wie eine überwiegend geschlossene Galerie sie nur fortsetzen kann. In ihrem Titel aber schwingt mehr mit, als nur das Drama der letzten beiden Jahre. Auch wenn wir hier im schönen Sachsenland dazu neigen, uns um uns selbst zu drehen, steckt in den drei Eingangsworten allerhand Universales.
Mir trat zuerst der Ozean vor Augen, ein klippiges Ufer voller Fels und Gischt, wo ein harmloser Badespaß recht schnell in eine Katastrophe münden kann:
Vielleicht hast du ja zwischen den Wellen eine letzte Gelegenheit, dich aufzurichten, dir das Wasser aus den Augen zu wischen, Luft zu holen und ein paar Schritte in Richtung Rettung zu tun, bevor die nächste Welle dich erfaßt und mit sich fortträgt – ein Alptraum. In der Sinkbar hier schräg gegenüber säße es sich – so es erlaubt wäre – jedenfalls wesentlich komfortabler und sicherer, als zwischen den Wellen eines möglicherweise erzürnten Mittelmeeres. Der göttliche Dulder Odysseus hat das vor dreitausend Jahren durchlitten, wie es heute die ungezählten Migranten durchleiden, die sich einem Meere anvertrauen, das sich seit dem Fall Trojas eben gerade nicht als vertrauenswürdig erwiesen hat.
Für sie ist das Wasser zugleich die Grenze zwischen den Welten, der Welt des Elends und des Mangels auf der einen und der Welt der Schönen und Reichen auf der anderen Seite. Die es wagen, die Grenze zu überwinden, werden als Wirtschaftsflüchtlinge kriminalisiert und abgewiesen. Hunger gilt nicht. Die Götter, die zu Zeiten des Euripides die Hilfsflehenden schützten, gibt’s nicht mehr.
Die Mauer, die bis vor reichlich dreißig Jahren die östliche von der westlichen Welt trennte, ist seinerzeit von der Flüchtlingswelle fortgespült worden. Es ging um D-Mark und Bananen, und am Ende war kurzzeitig großer Jubel.
Ich weiß, ich weiß – ganz so einfach wars nicht. Doch immer, wenn ich heute mit dem Urteil negativ aus der Apotheke komme, erinnere ich mich, daß ich das schon vor fünfunddreißig Jahren hörte. Damals stand noch das Wort feindlich davor und gemahnte mich zur Vorsicht, heute legitimiert es mich, in der Öffentlichkeit ein Bier zu trinken.
Denn hier und heute bewegen uns ganz andere Well(lt)en.
Das Wellenrauschen kommt aus dem Blätterwald der Statistiker. Die Wellen selbst sind kaum sicht- aber spürbar, und wen´s erwischt, der kann, wie im Mittelmeer, auf der Strecke bleiben.
Die Welten aber – es sind deutlich mehr als zwei – sind streng von einander geschieden. Die Mauern gehen quer durch Freundes- und Familienkreise, wenn Kreuz- und Querdenker aufeinandertreffen. Militante Impfgegner, die Brandsätze auf Impfzentren werfen, gehen dabei leichtfertiger mit dem Leben anderer um als diejenigen, die mehr oder weniger helfende Substanzen mit besten Absichten in fremde Körper spritzen. Die Mauern, an denen sich Eheleute die Köpfe blutig schlagen, stehen unverrückbarer denn je, und keiner weiß, wie wir aus dem Labyrinth herausfinden, bevor Richard von Gigantikow es anzündet. Die Frage, Frau Fischer, Frau Fischer, wie tief ist das Wasser, wie kommen wir herüber, kann nicht einmal mehr die Pfarrerin beantworten.

Die Virale Spirale, von Enrico Scotta vielfarbig in Bewegung gebracht, hat uns alle erfaßt. Es ist dabei nicht nur der Selbstbetrug durch Gold und Gloria, der die Menschheit als verabscheuungswürdig erscheinen läßt, es ist unser aller Umgang mit der Schöpfung, das mangelnde Bewußtsein für die Verletzbarkeit des Wunderplaneten Erde, der die Bäume wachsen und die Vögel singen läßt. Die wenigen Vögel, die uns geblieben sind, dürfen zwar noch öffentlich auftreten – allerdings auch (in diesem Fall zum Glück) meist nur open air. Es gibt inzwischen so wenige davon, daß Irene Wieland für ihr Keramikobjekt eigens einen Tonkünstler engagiert hat.
Schließlich ist es die Art des Umgangs miteinander die uns als Spezies unausstehlich macht. Bereits Mark Twain hatte angemerkt, daß es gar nicht nötig sei, die Feinde zu lieben, solange wir nicht in der Lage sind, unsere Freunde anständig zu behandeln. Freilich wird es heute – siehe oben – immer schwieriger, die einen von den anderen zu unterscheiden. Und wenn dann auch noch zwischen den Wellen die Goldenen Haufen auftauchen, auf die der Teufel scheißt, wird’s ganz komisch: Irgendeiner verdient immer am Elend anderer. Das Sprichwort, Geld stinkt nicht, gehört zu den größten Irrtümern der letzten zweitausend Jahre, wenn es sich nicht gar um eine der ungezählten kaiserlichen Lügen handelt.

Der Labyrinthiker Reinhard Zabka führt eindrücklich vor Augen, daß schon eine rostige Schrotsäge genügt, in Tateinheit mit einem kleinen Elektromotor Wellen zu erzeugen: Leben ist Bewegung: pantha rhei – womit wir wieder am Wasser wären.
Daher zeigt auch David Adams Video – das einzige der Ausstellung – daß die Lösung immer Teil des Problems ist. Das könnte manches vereinfachen, wenns nicht so kompliziert wäre.

Im Grunde hat sich ja gar nicht viel geändert. Wie schon vor vierzig Jahren kann oder muß Detlef Reinemer feststellen, Einer von denen ist immer dabei. Nur die Farben waren andere.
Daß aber Grenzen tatsächlich nur in der Vorstellung kleingeistiger Nationalisten existieren, zeigt der Saharasand, den Sophia und Franziska Hoffmann aufs Papier radiert haben. Winde wehen wo sie wollen. Der im Februar uns alle so faszinierende Staub führte freilich auch eine Erinnerung an die Kernwaffenversuche mit sich, die die Franzosen vor knapp siebzig Jahren zur Vorbereitung friedensstiftender Maßnahmen durchführten. Die alte Erde vergißt nichts, schon gar nicht die menschliche Maßlosigkeit, die Ulrike Kunze mit ihrem Objekt Aufbruch köstlich böse illustriert.

Natürlich ist die Versuchung groß, zu allen Bildern und Objekten der sechsundfünfzig beteiligten Künstlerinnen und Künstler einen Kommentar abzugeben. Die wenigen Hinweise aber mögen genügen. Sie sollen anregen, selbst zu sehen und selbst zu denken.
Immerhin darf ich vielleicht noch konstatieren, daß es auch hier wie überall die Stillen sind, die mit unerschütterlichem Optimismus die Welt am Ende vielleicht doch noch retten. Sie stellen, wie Christiane Herrmann, einfach Blumen in eine Vase, sie können, wie Gabriele Kreibich, an keiner Blumenwiese vorüber gehen, ohne ein Bild zu malen, sie bemerken, wie Silvia Ibach, schlicht, der Frühling kommt doch, oder sie setzen, wie Michael Hofmann einen von bunten Vögeln umschwirrten Träumer ins Bild, weil sie selbst gern träumen.

Sie alle miteinander aber, die Warner, die Zyniker, die Propheten, die Verzweifelten und die Hoffenden haben unter der Regie von Alexander Lange und Magdalena Piper ein Gesamtkunstwerk geschaffen, eine vielstimmige Komposition auf das Leben und für das Leben, auf daß wir, wer weiß, am Ende vielleicht doch noch herausfinden aus dem Irrgarten. Viel Zeit bleibt nicht mehr, die Zündschnur glimmt schon. Das Labyrinth sind wir.
Seht bitte selbst!
Thomas Gerlach, Mai/Juni 2021

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