Kunst geht in Gärten oder Genießen will geübt sein
Radebeul wirbt vollmundig mit dem Slogan „Radebeul – eine Stadt zum Genießen“. Doch Genießen will geübt sein, besonders wenn die Kunst wie bei „Kunst geht in Gärten“ eben in die Gärten geht. Es ist die Vielfalt der Möglichkeiten, die an diesem Kunstwochenende sowohl fasziniert als auch irritiert. Zwischen 23 Stationen, verteilt über die ganze Stadt, konnten die Besucher am 17. und 18. Juli wählen und über einhundert Künstler in Aktion erleben.
Der Begriff „Garten“ wiederum wurde vom Veranstalter recht großzügig ausgelegt. Und manch einer konnte es kaum fassen, was man in der Gartenstadt Radebeul so alles unter einem Garten versteht. Zu besichtigen waren nicht nur Barock-, Stein-, Kräuter-, Vor-, Zier-, Wein-, Wild-, Schau-, Obst- und Gemüsegärten. Auch die Städtische Galerie hatte man zum temporären Garten erklärt. Die Kunst wurde auf Höfen, in einer Abfüllanlage, auf Weinterrassen und in einer Kunsthofpassage präsentiert. Selbst ein virtueller Wortgarten besetzte die gedankliche Peripherie. Fantasie und Toleranz hatten Konjunktur. Alles ist eben eine Sache der Interpretation!
Die Idee zu „Kunst geht in Gärten“ entstand im letzten Jahr. Um die Künstler in Zeiten der Pandemie unterstützen zu können, galt es alternative Präsentationsflächen im Außenbereich zu erschließen. Gärten schienen hierfür besonders geeignet. Das Engagement aller Mitwirkenden und die Resonanz waren überwältigend. Eine Fortsetzung bot sich geradezu an.
Vier weitere private Gärten waren in diesem Jahr erstmals geöffnet. Sogar zwei Unternehmen stellten Bereiche ihres Außengeländes zur Verfügung. Bei Fliesen Ehrlich hinterließen 9 Mitglieder der losen Künstlergruppe „KunstSpuren“ in der Schaugartenanlage ihre künstlerischen Spuren. Initiiert und finanziell unterstützt vom Rotary Club Radebeul beteiligten sich 16 Künstler im Gelände von Schloss Wackerbarth an einem Plein Air. Die Werke, welche hier entstanden sind, sollen später ausgestellt werden. Das soziokulturelle Zentrum „Weißes Haus“ wurde zum Anlaufpunkt nicht nur für das junge Publikum. Bereits zum zweiten Mal dabei war die Alte Molkerei. Zu sehen waren von 18 jungen Künstlern Werke der zeitgenössischen Kunst. Vermutlich zum letzten Mal, denn die Immobilie wird für 590.000 Euro zum Verkauf angeboten. Für die dort wirkenden Künstler ist der Selbsterwerb ihres bisherigen Domizils völlig unrealistisch!
Künstler unterschiedlicher Sparten präsentierten Malerei, Grafik, Keramik, Fotografik, Skulpturen, Graffitis, Objekte, Fotografien, Collagen, Schmiede-, Glas- und Textilarbeiten. Verwendung fanden auch Natur- und Recyclematerialien.
An Besuchern herrschte kein Mangel. Die meisten waren begeistert. Bei einigen schien allerdings auf der Stirn die Frage zu stehen: Ist das Kunst oder kann das weg? Was mich als ehemalige Galeristin immer wieder zum Schmunzeln bringt.
In meiner Doppelfunktion als mitwirkende Gartenbesitzerin und als kulturreflektierendes Redaktionsmitglied von „Vorschau und Rückblick“ galt es einen Spagat zu bewältigen. Vorm Öffnen des eigenen Gartens (ab 15 Uhr) blieben knapp zwei Stunden Zeit, um sich bei den anderen, die bereits ab 13 Uhr für die Besucher zugängig waren, umzusehen. Also,
hochkonzentriert auf den Orientierungsplan geschaut, Route markiert, hastig den Fotoapparat geschnappt, einige Stationen ausgewählt. Dort angekommen, kurzer Rundumblick, mit den Künstlern ein paar Worte gewechselt, Eindruck gespeichert, nächste Station. Am Samstagabend dann Glück gehabt, denn in der Alten Molkerei war für die jungen Künstler um 18 Uhr längst nicht Schluss. Also auch dort noch einmal „Ausschau“ nach der „Kunst im Garten“ gehalten.
Die teilnehmenden Künstler wirkten als Multiplikatoren und hatten Förderer, Galeristen, Kollegen, Angehörige und Freunde eingeladen. Eine überregionale Kettenreaktion kam in Gang. Geschwärmt wurde von der angenehm intimen, aber auch sehr kommunikativen Atmosphäre.
Corona hat wohl erheblich dazu beigetragen, dass wir unserer unmittelbaren Umgebung viel mehr Aufmerksamkeit entgegenbringen.
Flora und Fauna hielten in den hiesigen Gefilden viele Überraschungen bereit. Wer hätte gedacht, dass in einem der Gärten ein 60-jähriges Schildkrötenmännchen mit einem 100-jährigen Schildkrötenweibchen fleißig für Nachwuchs sorgt? Dass in einem Vorgarten zuckersüße Törtchen wachsen? Wer hätte gedacht, dass die Freiluftmalerei eine so starke Renaissance erfährt? Und dass man aus Holzpaletten und Recyclematerialien wunderbare Gartenmöbel gestalten kann?
Als mitwirkende Gartenbesitzer konnten wir im Kunsthaus Kötzschenbroda sehr persönliche Erfahrungen mit „unseren“ Künstlern sammeln. Der heimische Küchentisch wurde zur Ideenschmiede. Es folgte ein reger Gedankenaustausch, der auch im Praktischen mündete. Einerseits bekamen wir Zugang zum Schaffensprozess der Künstler und begannen das eigene Grundstück zunehmend mit kreativen Augen zu sehen. Andererseits freuten sich wiederum die Künstler über die Möglichkeit, ohne kommerziellen Zwang mit Themen, Techniken und Materialien experimentieren zu können.
So spannte Bernd Hanke vor unsere Hausfassade zwischen die Sandsteineinfassungen der Fenster vier großformatige Leinwandbahnen. Bedruckt hatte er diese mit Fotografiken, welche den Blick auf bauliche Details mit unterschiedlichen Materialstrukturen lenkte und diese wiederum in neue Zusammenhänge stellte. Die fein nuancierte Farbstaffelung zeugte von einem hohen ästhetischen Anspruch.
Christiane Latendorf wiederum zeigte intuitiv-naive Gartenbilder, darunter erstmals Gärten bei Nacht. Ihre heiteren Keramikobjekte arrangierte sie in verschiedenen Beeten bzw. setzte sie in räumliche Beziehungen zu Pflanzen und Natursteinmauern, ja sogar zum Nachbarhaus.
Matthias Kistmacher arrangierte vor einer in Würde gealterten Vorraumwand zehn kleinformatige Bilder mit verschiedenen Früchten im Zustand der Überreife und des Vergehens. Die symbolbehaftete Serie nannte er „Erntedank“. Vor den einheitlich dunklen Bildhintergründen kamen die vielfältigen Formen und Farben der Früchte sowie deren Durchdringung von der äußeren Hülle zum inneren Kern auf eine bemerkenswert sinnliche Weise zur Geltung.
Zur Bereicherung von „Kunst geht in Gärten“ trugen vor allem auch die spontanen Auftritte der wandernden Musiker bei. Darüber hinaus waren kleine Konzerte, eine Lesung und Tanzdarbietungen sowie eine Pflanzen-Synthesizer-Performance zu erleben. Und wer sich dafür interessierte, konnte den Malern über die Schulter schauen oder war zum Schaudrucken ins Atelier Oberlicht eingeladen. Das interdisziplinäre Kunstwochenende bot Erkenntnis und Inspiration. Es wurden neue Kontakte geknüpft und so manches Kunstwerk wechselte seinen Besitzer.
Wieder einmal hatte sich gezeigt, dass eine kommunale Galerie als koordinierende Leiteinrichtung für ein derartiges Gemeinschaftsprojekt unentbehrlich ist. Und die Chancen stehen nicht schlecht, dass sich in der Lößnitzstadt neben dem Radebeuler Grafikmarkt mit „Kunst geht in Gärten“ eine weitere Veranstaltungsreihe etabliert, die eine starke Eigendynamik entfaltet und selbsterneuernde Energien freisetzt.
Also dann, bis zum Wiedersehen im nächsten Jahr, denn Genießen will geübt sein.
Karin (Gerhardt) Baum
Radebeuler LebensArt 2020 (Von der Kunst mit Kunst in Gärten zu gehen)