Eine Begegnung mit Constanze Schüttoff, Schöpferin der Titelbilder 2022
Manchmal lernt man eine Person, mit der man schon seit Jahrzehnten gut befreundet und vertraut ist, ein zweites Mal kennen. Diese Momente der Neu- oder Andersbegegnung brauchen zumeist einen Auslöser, der von außen kommt, denn warum sollte man am etablierten Verhältnis etwas aktiv ändern? Dieser Auslöser kann im besten Fall eine Erweiterung dessen bedeuten, was einem an der anderen Person bisher schon schätzens- und liebenswert erschien. So erging es mir mit Constanze Schüttoff, die ich seit mehr als 30 Jahren eine gute Freundin nennen darf, denn sie ist ebenso wie ich in Radebeul aufgewachsen und unsere Wege kreuzten sich seit den 1980er Jahren immer wieder. Ich lernte sie während eines abendlichen Besuches vor einigen Wochen zum ersten Mal so richtig als Künstlerin kennen, denn unser Gespräch vertiefte sich nach anfänglichem freundschaftlichen Geplauder in einer Weise, dass sie ihre Auffassung von Kunst und ihre Identität als Künstlerin in Worte fasste. Vorsichtig tastend erst, dann entschiedener, schließlich sehr bestimmt. Und auf Gegenfragen folgten Antworten, Erklärungen, Reflexionen. Tee wurde kalt, Gebäck blieb unangetastet, der Uhrzeiger rückte vor – unbemerkt von uns. Der eigentliche Auslöser für unser Gespräch war, dass Constanze Schüttoff uns mit den Titelbildern für unser Monatsheft durch das Jahr 2022 begleiten wird. Sie gibt uns Einblicke in ihr Schaffen und zeigt Momentaufnahmen ihrer sich meist längst verflüchtigten Arbeiten. Obwohl natürlich ihre Kunst für sich stehen und sprechen könnte, ist es der Redaktion von „Vorschau & Rückblick“ wichtig, dass Ihnen als Leser durch flankierende Gedanken der Urheberin die Rezeption der Titelbilder erleichtert wird. Wie immer finden Sie diese Erläuterung am Ende eines jeden Heftes. Was diese kurzen Texte allerdings nicht vermögen, ist, die Künstlerin selbst vorzustellen. Das soll im Folgenden geschehen.
Bevor Constanze Schüttoff 2011 sich mit einer visuellen Klanginstallation auf ihren eigenen freischaffenden künstlerischen Weg begab, lagen acht Jahre Studium in Halle hinter ihr. Die Burg Giebichenstein sollte es sein, weil sie dort beste Bedingungen dafür erkannte, ihrem Interesse an figürlicher Bildhauerei zu folgen. Während jener Jahre hatte sich ihr Augenmerk dem Papier als bevorzugtem Material zugewandt. Sie hatte gespürt, dass sie sich im Figürlichen nicht aussprechen, dort nicht die Möglichkeit einer gedanklichen Tiefe finden konnte, sondern diese erst in der Abstraktion eine Offenheit für die Kunstrezeption zulässt, die den Betrachter zwar noch mehr fordert, aber diesem auch genug Freiheit lässt. In ihrer Diplomarbeit spielte dann auch erstmals nicht nur das künstlerische Objekt an sich eine Rolle, sondern die Wechselbeziehungen zwischen Objekt, Raum und Rezipient. „Mir war klar geworden, dass es mir in allererster Linie darum geht, für das Wahrnehmen des Raumes zu sensibilisieren. Wie verhalten sich Körper zueinander im Raum? Welches Potential birgt der Raum zwischen Objekten, also das, was man auf den ersten Blick als Leere wahrnimmt? Kurz gesagt: Ich wollte und will immer mehr das Unsichtbare des Raumes erfahrbar machen.“ Seit nunmehr zehn Jahren ist sie diesen Weg konsequent gegangen und hat ihre Meisterschaft darin profiliert. „Begehbare Installationen ermöglichen dem Betrachter eine direkte Auseinandersetzung mit sich selbst im Raum. Sie helfen ihm, sich über das Kunstwerk im Raum zu verorten und darüber tiefere Ebenen seines Selbst im Bezug zum großen Ganzen zu reflektieren. So versuche ich, mittels sanfter Interventionen im Raum, gewohnte Seh-, Denk- und Bewegungsmuster aufzubrechen.“
Zum Papier war unterdessen auch Glas hinzugetreten, und in der kunstvollen Verschmelzung beider Stoffe hat Constanze Schüttoff inzwischen Werke ganz eigener Art kreiert. So findet sich zum Beispiel seit 2014 auf einer Freifläche des Botanischen Gartens in Ulm eine großformatige Glasskulptur („blauer horizont“) mit mehrschichtig eingearbeiteten pigmentierten Papieren, welche den Horizont als Linie hinterfragen und ihn als einen lebendigen Tiefenraum, als eine Raumschwingung sichtbar werden lassen. Andere papiergläserne Arbeiten, wie die „lichtung“ (2017), derzeit im Botanischen Garten Dresden zu sehen oder zunehmend baugebundene Arbeiten folgten. So entstanden zuletzt eine Verglasung für den Andachtsraum des St. Benno Verlags in Leipzig (2020), oder die Portale im Hafentor Hanau (2017). Wann immer sie eine ortsspezifische Arbeit angeht, geht sie auch der Ort an sich an. Dann fährt sie mit ihrem Transporter quer durchs Land und wohnt bei Bedarf auch darin, während vor Ort die Arbeit aufgebaut wird, oder diese gar erst dort entsteht. Wie etwa 2019, als sie mit einer aufsehenerregenden Installation aus mehreren Tausend PET-Flaschen eine Klangwolke im Stadtgarten Großenhain schuf. Oder wie in den Jahren 2018 und 2021, in denen Arbeiten von ihr beim Windkunstfestival in Nordhessen zu erleben waren. Oder schließlich wie im Frühsommer 2021, als sich unter ihren Händen die Räume der Galerie drei der Dresdner Sezession 89 auf der Prießnitzstraße mit Papieren und Hunderten von der Decke hängenden Fäden unterschiedlichster Länge und Breite füllten, die des nachts (aus)strahlten und viele Besucher anlockten. Diese konnten anschließend auch auf der Website der Künstlerin vermittels ihrer Antworten einen Resonanzraum erschaffen. „Bei solchen prozessualen Arbeiten spielt das performative Element für mich eine ganz besondere Rolle. Denn es bleibt immer unvorhersehbar, was sich aus dem spontanen Interagieren aller Beteiligten, also zwischen dem Werk, den Betrachtern und mir, im Raum entwickelt. Diese Augenblicke empfinde ich oft als sehr intim, als ein großes Geschenk.“ Einen wichtigen Platz nimmt dabei auch ihr Verständnis von der Aura des einzelnen Momentes ein, vom ganz konkreten Jetzt, in dem sich Wirklichkeit flüchtig formt, vergeht, wieder formt und wieder vergeht, … „in dem es sich aber auch genüsslich darin verweilen lässt, wenn man ihm allein seine ganze Aufmerksamkeit schenkt.“ Es leuchtet ein, dass für diesen Ansatz vor allem hauchzarte Papiere das bestmögliche Material sind.
Es war spät geworden – für mich jedenfalls. Für Constanze Schüttoff ist der Abend, ist die Nacht die Zeit, in der ihr die besten Einfälle kommen und sich vage Ideen zu konkreten Vorstellungen formen. Zettel und Stift liegen deshalb auch im Badezimmer bereit, denn Eingebungen verschwinden genauso schnell, wie sie kommen können. Und manchmal macht sie sich auch noch abends auf den Weg hinaus in die zur Ruhe gekommene Natur, die zum Glück nicht weit von ihrem Haus in und bei den Weinbergen zu finden ist. Denn die Stille gebiert das Wort, den Begriff, der ganz am Anfang all ihres Schaffens steht.
Bertram Kazmirowski