Schwarz-Weiß
Ihr Ruf hat etwas Meckerndes, das ihrem sonst so würdigen Aussehen mit den schönen weißen Federn, die zwischen den blauen und schwarzen hervorblitzen, durchaus widerspricht: Erstaunlicherweise werden die Elstern – wie übrigens auch die Krähen – von Tiervater Brehm unter die Singvögel gezählt. Immerhin läßt sich daraus der Erfolg diverser moderner Musikrichtungen erklären …
Den Elstern wird aber auch – wie abermals den Krähen – eine gewisse Pfiffigkeit nachgesagt, wenn es darum geht, sich in aussichtsloser Situation unzugängliche Nahrungsquellen zu erschließen. Kurz: sie verfügen über ein Maß an Intelligenz, das kein Computer je erreichen wird und das wir uns angewöhnt haben, dem Tierreich abzusprechen.
Zudem wird ihnen eine nicht geringe Vorliebe für Glitzerzeug nachgesagt, die sie nachgerade menschenähnlich macht: Gold und Silber schmücken die Frau, mit der sich im Anschluß der Mann schmückt. So hieß es jedenfalls über Jahrhunderte, und es gibt Gegenden, da ist das heute noch so. Das Wort „Putzsucht“ ist jedenfalls nicht von vornherein mit der Streben nach Reinhaltung der eigenen vier Wände gleichzusetzen.
Während ich mit dem Staubsauger durch die Wohnung fahre, sagt Ulrike, ich weiß gar nicht, wovon du redest.
Ich rede von Elstern.
Wir hatten damals in Hellerau einen privaten Milchmann. Der kam jeden Morgen um neun und hielt unterm Pilz bei den alten Garagen, wo er schon von Rentnerinnen und Kindern erwartet wurde. Das mag jetzt an die sechzig Jahre her sein, doch ich erinnere mich noch gut an den damals brandneuen Barkas mit dem Kastenaufbau, dem gekühlten Tank mit der Milch, die in die mitgebrachten Kannen gefüllt wurde, und dem großen Korb mit den unvergeßlichen frischen Semmeln.
Mein Freund Peter – und damit komme ich wieder auf die Elstern – stand jedenfalls mit Kanne am Arm und Geld in der Faust in der Schlange, über der die Vögel krakeelten. Der schon immer etwas altkluge Junge wollte sich nun einen Spaß machen und hielt sein Zweimarkstück provokativ in die Höhe. Doch ehe er sichs versah, stieß eine Elster zu, griff nach dem Geld und verschwand in den Wipfeln. Von oben war nun triumphierendes Krächzen zu hören, während der Junge unten in Tränen ausbrach: ohne Geld und ohne Milch durfte er sich nicht nach Hause wagen. Schließlich reichte ihm eine mitleidige Oma ein neues Geldstück mit den Worten, diesmal paß aber besser auf!
Die Geschichte fiel mir ein, als ich neulich vom Finanzamt die Aufforderung erhielt, für meine Steuererklärung künftig das Programm „Elster“ zu benutzen.
Wie? Dachte ich, sehen die sich wirklich so?
Wie auch immer, am Ende bleibt die Warnung der Oma von damals: Diesmal paß aber besser auf! Gewarnt bin ich jedenfalls.
Thomas Gerlach