Das prächtige Fachwerkhaus könnte ich mir sehr gut in Radebeul vorstellen, aber es gehört nun mal nach Boxdorf (Moritzburg / OT Boxdorf, Weinbergstr. 7). Mit der Lößnitz gehören wir, Radebeul und Boxdorf, aber einer gemeinsamen Landschaft an und insofern bestehen auch gleiche oder ähnliche historische Bautypen bei den Winzerhäusern.
Man hört gelegentlich die Legende, daß Gräfin Cosel dieses Haus besessen habe, oder zumindest einmal hier übernachtet und sich vor der Verfolgung versteckt hätte. Einen Beweis dafür kann man m.E. nicht finden. Das Spitzhaus hat ihr eine Zeit lang gehört, das ist ca. 2,5 km entfernt und da hätte sie doch besser logieren können. Zunächst waren mir zu besagtem Haus nur zwei Quellen zugänglich (sh. Angaben am Schluß des Artikels), nicht mal bei Gurlitt oder im Dehio kann man es finden. In der einen Quelle wird es mit drei Sätzen, in der anderen gar nur mit einem Satz abgetan. Das wird diesem großen Winzerhaus keinesfalls gerecht und hat mich erst recht neugierig gemacht. Über die heutigen Eigentümer bekam ich inzwischen weitere schriftliche Quellen benannt. Und in V+R Heft 06/91 hatte ich mich bereits mit der Titelbildbeschreibung in einem Kurztext zu dem Haus geäußert.
Es wundert mich aber schon, daß das Winzerhaus keinen feststehenden Eigennamen, der sich im Volk gehalten hat, besitzt. Aus der historischen Besitzerfolge würde sich vielleicht Trobisch-Gut anbieten, analog zu Radebeuler Winzerhäusern wie Haus Lotter, Haus Möbius oder Haus Breitig. Johann Georg Trobisch (1772-1838) kaufte das Anwesen 1806 von Frau Johanna Eleonore Lesche. Seitdem besitzt nun Familie Schmidt, bzw. deren Vorfahren Trobisch und Klotzsche, das Anwesen und war so immer in privater Hand.
Das Umfeld läßt sich als nahe einer Lichtung in der Jungen Heide beschreiben, mit einer dreieckigen Wiese (leider heute durch Teilung und Baumbewuchs gestört), einer Splittersiedlung mit Gasthaus, Forsthaus und Besenbinderei (alle drei als ehemalig zu bezeichnen) und einem Weinberg in Südsüdwestlage. Hier ist der Straßenname Augustusweg interessant, von dem die Weinbergstraße als Sackgasse abzweigt. Es handelt sich hierbei um die Fortsetzung des Radebeuler Augustusweges und verband vom 17. bis 19. Jh. die Hoflößnitz mit Pillnitz; eine Wegeverbindung, die früher von Kurfürsten, Königen und dem sächsischen Hofstaat benutzt worden war. Ein anderer historischer Weg zwischen der Dresdner Residenz und dem Jagdschloß Moritzburg, die heutige Großenhainer Straße, kreuzt hier den Augustusweg.
Nähern wir uns nun von Osten dem zweigeschossigen Fachwerkbau mit hohem Walmdach, mehreren Schleppgaupen und einer Fledermausgaupe nach Osten. Es wurde 1670 als Neubau errichtet – von einem Vorgängerbau (möglicherweise im Dreißgjährigen Krieg zerstört) ist nirgends die Rede. Nach diesem langen Krieg herrschte in den deutschen Ländern eine gewisse Aufbruchstimmung, Zerstörtes wurde repariert und daneben entstand aber auch viel Neues. Das Haus entspricht in der Kubatur dem etwa zur gleichen Zeit gebauten Haus Breitig in Oberlößnitz, hat aber ein paar Details mehr. Beim Trobisch-Gut finden wir einen Fachwerkerker am OG der Ostseite sowie eine Oberlaube. Solch aufwändige Details wären an einem einfachen Winzerhaus nicht zu erwarten, das Haus muß also für einen Weinbergbesitzer mit höheren Ansprüchen, möglicherweise einen Adligen, gebaut worden sein. Ein Mann mit solchen Ansprüchen konnte nun in Ratspräsident und Kammerherr Carl Freiherr von Friesen gefunden werden, der seit 1667 das Grundstück besaß und den Antrag stellte, „für seine Nothdurfft“ (so dückte man sich damals aus!) darauf ein Haus bauen zu dürfen. Der Bau selbst erfolgte dann 1669/70. Hinzu kommt, daß es bis vor Kurzem ein kleines Winzerhaus nördlich des Gasthofs Baumwiese gegeben hat, von dem nach Abbruch in den 90-er Jahren nur noch der Weinkeller existieren soll. Das Weingut an der Baumwiese (gelegentlich auch Bahnwiese genannt) bestand also ursprünglich aus einem Herrenhaus und einem kleineren Winzerhaus.
Daneben gab es seit etwa 1660 den alten Gasthof, der in der 1. Hälfte des 19. Jh. durch neue Gebäude ersetzt wurde, nach 1990 erfolgte hier abermals ein Umbau so wie sich das Ensemble, das zZ. leer steht, heute noch zeigt. Im Laufe der Jahrhunderte, besonders nach der Reblauskatastrophe am Ende des 19. Jh., aber auch noch im 20. Jh. wurden das Gelände und der Weinberg parzelliert und mit Wohnhäusern, Wochenendhäusern und Obstbäumen bebaut bzw. bepflanzt. Uwe Schmidt, ein Miteigentümer, hat jetzt wieder einen kleinen Teil des Steilhanges mit Wein bestockt und so wieder ein wenig an die Tradition als Weingut erinnert. Nach der Dresdner Straße zu wird das Grundstück mit einer typischen Syenitmauer abgeschlossen, ebenso wie an der Hangkrone, wo aber von der Mauer nur noch Reste zu erkennen sind. Unter Otto Trobisch erfolgte eine im Jahr 1927 nachweisbare, äußere Instandsetzung, an der bereits der Denkmalschutz mitwirkte.
Da hier die reiche Fachwerkausbildung den besonderen Reiz des Hauses ausmacht, sollten wir nun die Fassaden gesondert betrachten. Die Westseite (Wetterseite) hat eine massive EG-Wand und die Etage darüber Fachwerk unter einer Verbretterung. Die Fenster aller Seiten haben keine einheitlich durchgehenden Fensterachsen, was eher malerisch wirkt. Auf der Nordseite steht über einem Sandsteinsockel zweigeschossiges Fachwerk. Die Breite der Nordseite mißt mehr als die der Südseite, weil hier die Tiefe der Oberlaube hinzukommt. Bedingt durch die Dachschleppe über dem Vorbau der Ostseite, ist der N-O-Grat etwas verschoben. Die interessanteste Seite ist zweifellos die nach Osten gerichtete mit zweigeschossigem Fachwerk über einer Steinlage, mit einer Oberlaube und teilweise massivem Wandbereich (könnte eine spätere Zutat sein), dem Hauptzugang im EG und dem 3/6- Erker im OG. Das Fachwerk hat als Aussteifungen Eckverstrebungen und weitere Verstrebungen etwa in der Mitte der Ostseite, die im OG die Figur eines „Mannes“ – ein Ständer mit unten zwei Schrägen und zwei Kopfbändern oben – bilden. Beide auf der Ostseite vorspringenden Gebäudeteile werden durch unterschiedlich große Schleppen abgedeckt. Es besteht die Vermutung, daß das Haus nicht immer die jetzige Länge von Süd nach Nord hatte (die Fledermausgaupe dürfte früher mal die Mitte des Daches angezeigt haben). Man kann bei Betrachtung anderer Details von einer Erweiterung nach Norden ausgehen, ohne daß zZ. zu sagen ist, wann das geschehen ist. Hier wäre noch eine detailliertere Bauforschung erforderlich. Beim Erker erkennen wir im Fußbereich als Zier eine Reihe hölzerne „Diamantquaderausbildungen“ und zwei frei gespannte Kopfbänder zur Traufe hin. Bei Radebeuler Winzerhäusern kann man teilweise auch Oberlauben finden, jedoch keinen Erker. Das Fachwerk der Südseite steht ebenfalls auf einer Reihe von Sandsteinquadern und zeigt 6 Gefache in der Breite. Das Fachwerk wurde 2020 insgesamt von der Firma Trux teilerneuert, die Fassaden erhielten 2021 Putz und Anstrich. Bereits 1996 war das Dach neu gedeckt worden. Es kamen rote, leicht engobierte Biberschwanzziegel in Doppeldeckung zum Einsatz. Normale, nicht engobierte Biber wären vielleicht denkmalpflegerisch authentischer gewesen, aber die engobierten haben hinsichtlich geringerer Bemoosung und Verschmutzung wohl auch Vorteile. Die Gaupen wurden beibehalten und durch wenige Dachliegefenster ergänzt, was der Tatsache geschuldet war, daß das DG für eine Wohnung hergerichtet werden sollte – in jeder Etage existieren nun abgeschlossene Wohnungen.
Das Haus ist teilunterkellert und besitzt ein kleines Tonnengewölbe aus der Entstehungszeit. Dieses war früher nur durch eine Fußbodenluke aus der Küche erschlossen. Wann die Luke geschlossen wurde und der Einbau einer Treppe mit Zugang von außen erfolgte, ist zZ. nicht zu belegen. Die Größe dieses Kellers wäre für die Erträge aus dem alten Weinberg sicherlich zu klein gewesen, so daß sich auch hieraus erkennen läßt, daß das kleine Winzerhaus nahe der Baumwiese mit dem größeren Weinkeller und das Herrenhaus Trobischgut früher eine wirtschaftliche Einheit gebildet haben und in einer Hand waren. Das Nebengebäude mit Satteldach wurde 1936 errichtet und nach 1990 um zwei Garagen verlängert. Es fügt sich lagemäßig gut ein, ist aber baugeschichtlich kaum interessant.
Inzwischen hatte ich auch Gelegenheit, mir ein paar Innenräume, die noch Baustelle sind, anzuschauen. Besonders interessant war das große Erkerzimmer im OG, hier kann man fast von Saal sprechen. Außen- und Innenwände bestehen in den Ausfachungen aus Lehmstaken mit Lehmverstrich. Ein gemauerter, mindestens zwei Räume berührender Bogen deutet auf eine frühere Heizungsart für mehrere Räume hin – ein historischer Ofen existiert aber nicht mehr. Besonders bemerkenswert ist hier die Decke über dem Raum, eine auf gefasten Holzbalken lagernde Kriecher-Decker-Einschubkonstruktion, die sicherlich noch aus der Entstehungszeit des Hauses stammt. Die gesamte Untersicht ist mit Weinranken und -trauben in einer Weise bemalt, die ansatzweise mit Ausmalungen im EG der Hoflößnitz vergleichbar ist, eine bäuerlich-barocke Malweise. Hier ist bisher nur ein sogen. „Fenster“ von jüngeren Anstrichen freigelegt worden. Da der Bauherrschaft eine weitere restauratorische Bearbeitung zZ. kaum zuzumuten sein dürfte, sollten diese Arbeiten ggf. in einer späteren Bauphase durch einen guten Restaurator ausgeführt werden. Auch die Verbretterung der inneren Wände haben ältere, zZ. verdeckte Bemalungen. Dagegen ist der Fußboden des Saales in jüngerer Zeit mit neuen, schmalen Brettern belegt worden und nicht mehr original. Im kleineren Nachbarraum des Saales gibt es eine zweite bemalte Decke, die ebenfalls Weintrauben zeigt und bereits fertiggestellt wurde. Ich vermute hier eine spätere Arbeit, die vielleicht aus dem 18. Jh. stammt. Das Treppengeländer zwischen OG und DG zeigt barocke Formen, ist aber eine handwerkliche Neuanfertigung von Siegfried Schmidt (1936-2017) nach einem älteren Belegstück. Die Treppe selbst ist eine moderne Konstruktion und steht kaum in Einklang zu dem barock gestalteten Geländer. Es ist erfreulich, daß jetzt wieder eine künstlerische Darstellung des Hauses (Aquarell von R. Quark, um 1920) zusammen mit Fotos von älteren Familienmitgliedern im Treppenhaus hängt. Man kann auch bei denkmalpflegerischen Wünschen nicht alle Details so durchhalten, irgendwo muß man leider auch Kompromisse machen. Den denkmalpflegerischen Wünschen steht dann das wirtschaftlich Machbare entgegen. Das soll keineswegs die bisherige Arbeit von Familie Schmidt schmälern. Dieses Denkmal zu erhalten ist eine sehr schwierige Aufgabe, die noch nicht fertig ist und ich wünsche weiterhin gutes Gelingen und Geduld. Danke an die Familien Schmidt für ihre Auskünfte und die Unterstützung bei meiner Arbeit.
Die Idee, mir das Herrenhaus einmal näher anzuschauen und vielleicht etwas zu schreiben, stammt übrigens von unserem Redakteur Sascha Graedtke. Diesem Vorschlag bin ich sehr gern nachgegangen.
Dietrich Lohse
Quellen:
1. Mitteilungen des Landesverein Sächsischer Heimatschutz, Band XIII, Heft 5 bis 6, 1924
2. Werte unserer Heimat / Lößnitz und Moritzburger Teichlandschaft, Akademie-Verlag Berlin, 1973
3. „Lößnitz-Heimat“, Nr.1, 1928, Artikel Geschichte der Baumwiese, Rudolf Bierling
4. „Radebeuler Anzeiger“, Nr. 159, 1929, Artikel 250 Jahre Baumwiese
Ein Kommentar
Das Haus wurde von Sophus Ruge 1903 in sein Werk „Dresden und die Sächsische Schweiz“ (https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/b/bc/Dresden_und_die_S%C3%A4chsische_Schweiz.pdf) aufgenommen. Seite 4, Abb. 3 mit der Unterschrift: „Altes Landhaus bei der Bahnwiese. Oberlößnitz.“ Freigestelltes Foto: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Dresden_und_die_S%C3%A4chsische_Schweiz_010a.jpg. HG J. Bergner