30 Jahre Städtische Kunstsammlung Radebeul

Jubiläumsausstellung mit Werken von über 50 Künstlern aus drei Jahrhunderten

Heinz Drache „Porträt Paul Wilhelm“, sitzend, Halbprofil. 1961. Kohle auf Papier Repro: Alexander Lange

Bereits die Mitglieder des „Kunstvereins der Lößnitzortschaften“, welcher sich 1907 gegründet hatte, träumten davon, mit einer „reizvollen Sammlung“ den Grundstock für ein „Lößnitz-Museum“ zu legen, „zur Freude künftiger Geschlechter“. Doch schon Ende 1911 stellte der Vorstand den Antrag auf Selbstauflösung. Das Geld wurde knapp. Appelle an Gemeindeverwaltung, Gewerbetreibende und Privatpersonen fruchteten kaum. Schließlich erfolgte im Jahr 1914 das endgültige Aus für den Verein. Die Zeiten waren nicht rosig. Der erste Weltkrieg forderte seinen Tribut.

Wenig später verfügte man durch das im Jahr 1924 neu eröffnete Heimatmuseum tatsächlich über einen Ort, wo sich Sammelgut deponieren ließ – darunter natürlich auch Kunst. Vieles blieb dem Zufall überlassen. Vom gezielten Aufbau einer Kunstsammlung im Museum konnte keine Rede sein, da der inhaltliche Schwerpunkt auf dem Bewahren von stadtgeschichtlich bedeutsamen Sachzeugnissen lag.

Erst mit Eröffnung der „Kleinen Galerie“ in Radebeul-Ost am 16. Dezember 1982 wurde es möglich, Kunst von Radebeuler Künstlern in der Stadt Radebeul kontinuierlich zu präsentieren. Doch im Unterschied zu einem Museum ist eine Galerie zwischen den wechselnden Ausstellungen nur eine leere Hülle. Wie aber wollte man nachfolgenden Generationen verständlich machen, was die so zahlreich in Radebeul ansässigen Künstler geschaffen hatten? Die Idee vom Aufbau einer Städtischen Kunstsammlung blieb über viele Jahre ein kühner Traum.

Es sind wohl immer wieder Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche, die Neues hervorbringen und dessen Umsetzung ermöglichen. Das Anliegen, für die Stadt Radebeul eine Kunstsammlung aufzubauen, stieß bei Dr. Dieter Schubert, der von 1991 bis 2005 in Radebeul die Funktion des Amtsleiters für Bildung und Kultur innehatte, auf großes Verständnis. Und er war es auch, der zwischen Kultur, Politik und Verwaltung vermittelte.

Egbert Herfurth Exlibris für Hellmuth Rauner, 1973. Holzstich Repro: Karin Baum

Schließlich wurde 1992 erstmals ein Budget für Kunstankäufe in den Städtischen Haushalt eingestellt. Darüber hinaus fanden sich zahlreiche Förderer und immer wieder auch Künstler sowie Angehörige von Verstorbenen, die durch Schenkungen oder Verkäufe zur Bestandserweiterung der Städtischen Sammlung beigetragen haben.

Die zunächst an verschiedenen Orten gelagerten Exponate wurden 2009 zusammengeführt und in eigens dafür eingerichteten Depoträumen untergebracht. Endlich konnte mit der fachlichen Arbeit begonnen werden. Aber die Freude darüber währte nur kurze Zeit. Und so hieß es bereits 2015, alle Stahlregale kürzen, das Kunstgut behutsam ein- und auspacken, auf eventuelle Umzugsschäden prüfen, in Regale und Grafikschränke neu einsortieren.

Doch schon wieder wird die Kunstsammlung umziehen müssen. Was das bedeutet, können sich vermutlich nur die wenigsten Menschen vorstellen.

Gegenwärtig umfasst die Städtische Kunstsammlung weit über 3.000 Exponate. Das Profil ist ausgerichtet auf Werke von Künstlern, die in Radebeul ansässig waren oder sind bzw. deren Wirken in einer unmittelbaren Beziehung zur Lößnitzstadt steht. Den Schwerpunkt bilden Arbeiten aus dem 20. Jahrhundert, wobei sich zwei Weltkriege und gesellschaftliche Umbrüche als einschneidende Zäsuren auf das Schaffen und die Existenzbedingungen der Künstler nicht unerheblich ausgewirkt haben.

Jochen Fiedler „Licht auf den Weinberg“ 1994. Kaltnadelradierung Repro: Karin Baum

Dass sich Radebeul ab Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem bedeutenden Industriestandort entwickelte, wurde von der Kunstszene weitestgehend ignoriert und bis heute dominiert allgemein die konventionelle Vorstellung von der privilegierten Villen-, Wein- und Gartenstadt. Allerdings vermittelt die aktuelle Jubiläumsausstellung ein völlig anderes Bild

Einer der ersten Kunstankäufe im Jahr 1992 war Heinz Draches Gemälde „Meine Umgebung“ (1960). Gemeint hatte er damit das Industriegebiet in Radebeul-Ost. Der Ankauf dieses Werkes erfolgte ganz bewusst, ging es doch darum, mit dem Klischee zu brechen und das vielfältige Spektrum des künstlerischen Schaffens in der Lößnitzstadt aufzuzeigen. Eine interessante Entsprechung findet sich nun in Peter Grafs Gemälde „Raschufa abends“ (2012), denn es zeigt den Künstler im Atelier auf der Gartenstraße, mit Blick auf die nächtlich erleuchtete „Thermische Behandlungsanlage für Abgas, Abluft und flüssige Abfallstoffe“ des einstigen Arzneimittelwerkes Dresden (AWD). Letztgenanntes Bild ist in der Jubiläumsausstellung zu sehen.

Heinz Drache „Erfinderkollektiv“. 1967. Öl auf LW (Mitarbeiter der AWD-Forschung: Hertha Schulz, Heinz Kohlmay und Dr. Hans-Jörg Schmidt) Repro: Karin Baum

Sehr lange, eigentlich viel zu lange hat es gedauert, bis die Kunst, welche in der DDR entstanden war, als künstlerisch eigenständiges, abgeschlossenes Sammelgebiet und als ein wichtiges Zeitdokument begriffen wurde. Unbedacht hatte man Vieles entsorgt, „verramscht“ oder ins künstlerische Abseits gestellt.

Durch das vertrauensvolle Verhältnis zum Radebeuler Maler und Grafiker Horst Hille und zu Ute Gebauer, die über dessen künstlerischen Nachlass verfügt, konnten wesentliche Werke durch

Horst Hille „Turnschuh-Generation“. 1987. Öl auf Möbelspantafel Repro: Karin Baum

Ankäufe sowie als Schenkungen in die Städtische Kunstsammlung eingefügt werden. Humorvoll persiflierte der Künstler in seinen Arbeiten die DDR-Spießbürger-Idylle und Heimwerkermentalität. Mit dem kleinformatigen Ölbild „Turnschuh-Generation“ (1987) spielte er auf das Lebensgefühl von Jugendlichen der 1980er Jahre an. Aber auch mit der Umweltproblematik sowie der De-Illusionierung nach 1989 hatte er sich auseinandergesetzt.

Durch eine großzügige Schenkung des privaten Sammlers Dr. Johannes Reichel – welcher sich auf solcherart Themen spezialisiert hatte – erfuhr das Hille-Konvolut mit Bildern wie „Wochenendgebetsmühle“ (1989) und „Harakiriradler“ (1989) eine wertvolle Erweiterung. Die beigefügten Original-Rechnungen des Staatlichen Kunsthandels sowie ein ausführlicher Schriftwechsel mit dem Künstler ergänzen die Schenkung.

Ein liebenswert gestaltetes Exlibris von Egbert Herfurth erinnert an den heimatverbundenen Kulturpolitiker, Ehrenbürger, Weinkenner und Mitinitiator der „Vorschau“, Hellmuth Rauner. Der Kunstsammlung geschenkt hatte es sein Sohn.

Der Umsicht von Dr. Susanne Engmann ist es zu verdanken, dass das vom damaligen Arzneimittelwerk Dresden bei Heinz Drache in Auftrag gegebene Gemälde „Erfinderkollektiv“ (1967) von AWD.pharma im Jahr 2011 als Schenkung an die Städtische Kunstsammlung übergeben wurde.

Erstmals in einer Ausstellung zu sehen ist das großformatige Bildnis des im Jahr 1932 verstorbenen Bürgermeisters und Ehrenbürgers der Stadt Radebeul Robert Werner, der die Entwicklung von Radebeul zu einem bedeutenden Industriestandort energisch und konsequent vorangetrieben hatte.

Das im Jahr 1918 von Johannes Mogk geschaffene Gemälde stammt aus dem Sammlungsbestand der Hoflößnitz. Ebenso wie die Kohlezeichnung mit dem Bildnis des Malers Paul Wilhelm (1961) von Heinz Drache. Wie diese Werke in die Städtische Kunstsammlung gelangten, sei noch einmal kurz erklärt:

Mit der Umwandlung des städtischen Museums Hoflößnitz, in die Stiftung „Weingutmuseum Hoflößnitz“, wurde 1997 dessen Gesamtbestand an Kunstwerken aufgeteilt. Der weingutspezifische Teil verblieb in der Stiftung. Ein Konvolut von über 200 vorwiegend stadtgeschichtlich geprägten Kunstexponaten des 18., 19. und 20. Jahrhunderts ging in die Städtische Sammlung ein. Darunter befanden sich künstlerisch anspruchsvolle Gemälde von Karl Kröner und Paul Wilhelm sowie eine große Zahl romantisierender Heimatbilder als auch Porträts regionaler Persönlichkeiten.

Zu den bemerkenswerten Neuerwerbungen mit unverkennbar sozialkritischen Bezügen zählen u. a. Werke wie das siebenteilige Objekt von Wolf-Eike Kuntsche (1986), welches in einer seriellen Anordnung zeigt, wie ein in einem aufklappbaren transparenten Kubus eingezwängter Mensch beginnt, sich aufzurichten und versucht, sich aus seinem Eingesperrtsein zu befreien, was letztlich zu misslingen scheint. Doch plötzlich ist der siebente Kubus leer! Auch das Keramik-Stahl-Objekt „Der Ketzer“ (1995) von Detlef Reinemer beschäftigt sich mit einem Thema von höchster Brisanz. Es geht dabei um die Freiheit der Kunst und das natürliche Recht auf Widerspruch.

Christian URI Weber „Neues aus der Anstalt“. 2012. Acryl/Lack auf Sperrholz Repro: Karin Baum

Das schrillfarbige Acryl/Lackbild „Neues aus der Anstalt“ (2012) von Christian URI Weber spielt darauf an, dass der gewissenlose und zynische Triumph des Kapitals bar jeder Menschlichkeit nur ein Pyrrhussieg sein kann.

Wohltuend friedvoll wirkt hingegen das Gemälde „Abend am Fluß“ (2011) von Friedrich Porsdorf. Es besticht durch seine malerische Kraft. Dem aufmerksamen Kunstfreund wird es sicher sehr bekannt vorkommen, gehörte es doch 2019 zu den Glanzstücken einer kleinen, aber feinen Sonderausstellung im Sächsischen Weinbaumuseum Hoflößnitz. Das schnelle Reagieren des seit 1999 bestehenden Förderkreises der Stadtgalerie hat nicht nur diese Neuerwerbung für die Städtische Sammlung ermöglicht. Auch zum Ankauf des ausgestellten Gemäldes „Der Garten des Künstlers vor dem Minckwitzschen Weinberg“ (um 1942/1943) von Paul Wilhelm hatte der rührige Verein im Jahr 2009 einen finanziellen Zuschuss beigesteuert.

Detlef Reinemer
„Der Ketzer“. 1995.
Keramik, Stahl
Repro: Karin Baum

Dass Kunst nicht erst seit dreißig Jahren in Radebeul gesammelt wird – und das nicht ausschließlich in der Städtischen Kunstsammlung – ist uns durchaus bewusst. Allerdings geschieht es nicht oft, dass Werke aus privaten Sammlungen für die Öffentlichkeit zugängig sind. Und so war es für viele Kunstfreunde eine große Freude, als der Sammler Gottfried Klitzsch eine Kollektion ausgewählter Aquarelle von Paul Wilhelm anlässlich des 50. Todestages in seinen privaten Räumen präsentierte.

Mit ihrer Städtischen Kunstsammlung verfügt Radebeul über einen reichhaltigen Bestand an Kunstwerken der Malerei, Grafik und Plastik von weit über einhundert verstorbenen und lebenden Künstlern, die auf unkomplizierte Weise in die Gestaltung von thematischen Ausstellungen oder in Gedenkausstellungen zur Würdigung verstorbener Einzelkünstler integriert werden können. Darüber hinaus beinhaltet die Sammlung Skizzenbücher, Entwürfe, Modelle, Plakate, Kataloge, Original-Handschriften sowie Bild-, Text-, Film- und Tondokumente. Auch ziemlich kuriose Objekte bereichern die Sammlung auf recht lebendige Weise.

Dass die gegenstandslose Kunst in der städtischen Sammlung keine unwesentliche Rolle spielt, wird in der Jubiläumsausstellung punktuell mit der abstrakten Komposition von Erhard Hippold (1950er Jahre), der Holzkonstruktion (1973) von Ursula Sax und dem Holzobjekt (o.J.) von Dieter Melde angedeutet.

Die Künstler wirken in ihrer Zeit. Geschichten, die hinter den Kunstwerken stehen, bedürfen der Aufzeichnung, sonst gehen wesentliche Zusammenhänge unwiederbringlich verloren. Die Gewissheit, dass in Radebeul eine Städtische Kunstsammlung existiert, aus deren reichem Fundus man schöpfen kann, stimmt zuversichtlich und froh. Für die kunstwissenschaftliche Forschung bietet sich hiermit ein ergiebiges Betätigungsfeld. Wichtig in den nächsten Jahren wird sein, museumspädagogische Angebote zu entwickeln, die digitale Erfassung des Sammlungsbestandes abzuschließen und die Vernetzung mit regionalen und überregionalen Archiven, Museen, Vereinen und Bildungseinrichtungen voranzutreiben.

Mit dem systematischen Aufbau einer Städtischen Kunstsammlung hat sich die Lößnitzstadt zu ihren Künstlern bekannt. Möge die Sammlung auch weiterhin so gut gedeihen wie bisher. Der Anfang wurde vor drei Jahrzehnten gemacht. Und vielleicht erfüllt sich auch eines schönen Tages der Traum von einem öffentlich zugängigen Schaudepot.

Karin (Gerhardt) Baum


Letztmalige Gelegenheiten zum Ausstellungsbesuch bieten sich am 30. Oktober einschließlich Kuratorenführung und am 6. November jeweils von 13 bis 17 Uhr. Bereits am 25. November folgt dann die nächste Jubiläumsausstellung zum 40jährigen Bestehen der Radebeuler Stadtgalerie.

Jubiläumsausstellung zum 30-jährigen Bestehen der Städtischen Kunstsammlung mit Werken von: Dieter Beirich, Manfred Beyer, Günther Brückner, Sophie Cau, Heinz Drache, Robert Erbe, Hanns Erlanger, Jochen Fiedler, Lieselotte Finke-Poser, F.R. (Fricke?), E. Geisler, Peter Graf, Heddenhauser, Egbert Herfurth, Gunter Herrmann, Mandy Herrmann, Horst Hille, Erhard Hippold, Gussy Hippold, C. Höfgen, Werner Juza, Karl Kröner, Ingo Kuczera, Frank Panse, Wolf-Eike Kuntsche, Käthe Kuntze, Christiane Latendorf, Carl Lindeberg, Ruth Meier, Dieter Melde, Johannes Mogk, Hans Mroczinski, Peter PIT Müller, Hermann Naumann, Friedrich Porsdorf, Detlef Reinemer, Markus Retzlaff, Georg Richter-Lößnitz, Gerald Risch, Ursula Sax, Günter Schmitz, Annerose Schulze, Gabriele Seitz, Lothar Sell, Karl Sinkwitz, Johannes Thaut, André Uhlig, Ralf Uhlig, Bärbel Voigt, Fred Walther, Christian URI Weber, Claus Weidensdorfer, Paul Wilhelm, Ute Wittig, Werner Wittig, Klaus Zürner

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