Radebeuler Miniaturen

1623 – 2023:
400 Jahre Haus Möbius
V
Haus, zwei Buchstaben und viele Fragen

Einhundertvierzig Jahre lang (in Zahlen: 140, von 1622 bis 1762) sind die in Rede stehenden Weinberge an der Haußgasse mit Haus und Presse also im Besitz der Nachkommen und Erben des weiland „Doktors der Heiligen Schrift Aegidius Strauch“ geblieben. Zehn Jahre später taucht plötzlich ein „Kaufmann Gerber aus Dresden“ in der Besitzerliste auf.
Was war geschehen?

Foto: J. Gerlach

Gab es einen Meteoriteneinschlag, wie beim Ende der Dinosaurier? Waren die aggressiveren Strategen am Werk, wie bei der heute gern postulierten Ablösung der Neandertaler durch die sogenannten „Homo sapiens“? oder hatte der solvente Kaufmann am Ende auch nur eingeheiratet in die alte Familie, ohne diese weiter zu erwähnen?

Foto: J. Gerlach

Wir wissen es nicht.
Die Welt ist voller Geheimnisse, und wer glaubt, eines gelüftet zu haben, steht vor tausend neuen Unsicherheiten. Das einzig Sichere ist der Wein im Glase vor dem Trinken – und das auch nur für die kurze Zeit bis die Hand danach greift.
Wein aber hats gegeben in all den Jahren im Weinberg, und es gibt sichere Anzeichen dafür, daß die Besitzer ihn zu bauen und zu genießen verstanden.
Zunächst: Das „alte Haus“ von 1623 verfügte im Obergeschoß über einen wunderschön ausgemalten „Saal“. Gut, das Wort „Saal“ klingt für die Größe das Raumes (ca. 16m²) etwas unangebracht hochgestochen, allein die Bemalung – floristische Bauernmalerei ganz im Stile der Zeit – rechtfertigt die Bezeichnung dennoch. Leider sind davon unter dicken Kalkschichten nur schemenhafte Spuren mehr zu erahnen als zu erkennen gewesen – jede Zeit hat ihren eigenen Frohsinn, und sie schmückt ihn auf ihre eigene Weise.
Ein bemerkenswertes und in seiner Art einmaliges Loblied auf hiesige Weinkultur ist zu Glück unterm Dach erhalten geblieben:

Wer da rümbt den Vater Rein,
ich lobe einen gutten Kötzschber wein.
Wen gleich ein mensch ist lam und krum
Macht er ihn starck gleich wie simson.
1715 ML

Der den Spruch verfaßte und in schön geschwungener Schrift auf die weiße Giebelwand brachte, wußte jedenfalls, wovon er sprach. Was aber war es, das ihn zu dieser Eloge veranlaßte? War es ein Weinfest, das, wie ich an anderer Stelle erträumte, das Jahr nach erfolgreicher Lese bekrönte? War es das Richtfest für den Anbau? Oder war es gar das Einzugsfest für die Witwe Küffner?
Wir wissen es abermals nicht.
Wir wissen nicht einmal, wer sich hinter den Majuskeln „ML“ verbirgt. Ist es der Winzer, der übers Jahr die Reben pflegt? Ist es ein geheimer Liebhaber der Witwe? Oder ist es eine „graue Eminenz“ im Hintergrund, die überall auftaucht, nur nicht in den Papieren? Immerhin wissen wir von einem weiteren „L“, das nicht weniger Rätsel aufgibt:
Vom „Kaufmann Gerber aus Dresden“ ist weiter oben schon kurz die Rede gewesen. Er erwarb das Anwesen 1772, und unter seiner Herrschaft erhielt das Haus seine endgültige Form. Das geschah nach Ausweis den Schlußsteins über der Toreinfahrt im Jahr 1784. Und über der Jahreszahl findet sich, dauerhaft in Stein gemeißelt, ein großes „L“. Hieß Gerber Ludwig mit Vornamen? Gibt es gar eine Verbindung zu dem geheimnisvollen „ML“ von 1715?
Sicher ist nur, daß 1784 das Dach über dem nun größeren Haus im Ganzen neu gedeckt und es bis 1962 gemeinsam mit dem Donnerkeil vor jedem Wetter schützte. Ob unser Dach wieder 175 Jahre hält?
Darauf sollten wir mal anstoßen…
Thomas Gerlach

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