Stadtgesellschaft…?
Eigentlich hatte der Verein Vorschau & Rückblick festgelegt, dass sich das kulturelle Monatsheft mit seinen Beiträgen aus der „großen Politik“ heraushalten sollte. Aber wie macht man das? Und was ist unter „großer Politik“ zu verstehen? Wenn die „große Politik“ sich in kriegerische Auseinandersetzungen anderer Staaten einmischt oder wenn die Spritpreise und die Mieten davonrennen, trifft das auch die „kleinen Leute“. Und wenn in der Radebeuler Bahnhofstraße nach der Sanierung nur noch zwei Behindertenparkplätze übrigbleiben, trifft es besonders die Alten und die Händler.
Kann man sich denn überhaupt aus der Politik heraushalten, bei einer Entwicklung, die immer mehr an den Menschen vorbeigeht? Eine Mehrheit der bundesdeutschen Gesellschaft, zu der auch ich gehörte, hatte damals den Einsatz von deutschen Soldaten in Afghanistan abgelehnt. Doch die „große Politik“ scherte sich einen Dreck darum. Will man nichts aus der Geschichte lernen oder welche Interessen werden da eigentlich vertreten, wenn nicht die des Volkes, wie man es von einer Demokratie erwarten müsste?
Für eine „kleine Stadt“ ist „große Politik“ schon, wenn ein Schulgebäude saniert wird oder sich außerplanmäßig ein kleines Unternehmen ansiedelt. Das interessiert die Leute oder wie man heute sagt, die Stadtgesellschaft. Auch wenn der Begriff für manch einen erst seit circa zwanzig Jahre geläufig ist, findet er schon lange in der Geschichtsforschung Anwendung, um Städte ab dem Mittelalter genauer beschreiben und erfassen zu können. Auch wenn keine allgemeine Definition für den Begriff „Stadt“ existiert, nimmt die Verstädterung besonders seit der Industrialisierung enorm zu. So umfasste Radebeul mit allen Ursprungsgemeinden 1849 gerade mal 5.195 Einwohner und ist gut 100 Jahre später mit über 44.000 auf den bisher höchsten Stand angestiegen!
Heute leben gut 85 Prozent der Bundesbürger in urbanen Räumen. Diese gewaltige Verschiebung vom Land in die Stadt veränderte die Lebenswelten der Menschen sowie die Produktionsweisen für die benötigten Güter und brachte natürlich auch vielfältige Probleme mit sich, von der Globalisierung zusätzlich befeuert. Die Städte werden größer, die Wohnungsnot steigt rapide, die Versiegelung großer Flächen nimmt zu. Der Natur wird mehr entnommen, als sie „geben“ kann. Wir leben auch hier in Radebeul schon lange auf Pump!
Nun mag der ökologische Fußabdruck von Radebeul gegenüber Städten mit geschlossener Bebauung eventuell noch günstig ausfallen. Aber Genaues weiß man nicht. Zwar wurde im Kommunalen Energie- und Klimaschutzkonzept von 2014 die „Aufstellung einer fortschreibbaren Energie- und CO2-Bilanz“ für Radebeul festgelegte und müsste eigentlich auch vorliegen, doch auf der Homepage der Stadtverwaltung konnte ich sie leider nicht finden. Die Maßnahmen im Bereich Umwelt, Energie und Klimaschutz nehmen sich im INSEK 2015 freilich reichlich bescheiden aus. Die Festlegungen im Energie- und Klimaschutzkonzept von 2014 beziehen sich gar in der Hauptsache nur auf die städtischen Immobilien. Der Energieverbrauch in Radebeul ist zwar seit 1990 stark gesunken, aber seit 2005 wieder angestiegen. Er hat sich weg von der Braun- und Steinkohle, hin zu anderen fossilen Energieträgern bewegt. Demzufolge verschlechterte sich auch die CO2-Bilanz seit 2005 wieder. Sonnenkollektoren und Umweltwärme spielen hierbei verständlicherweise eine zu vernachlässigende Größe.
Schon seit Jahren „frisst“ sich die mit ockerfarbigen Betonsteinen „gepflasterte, sächsische Wegedecke“ immer mehr durch unseren Ort. In der Bundesrepublik sind 45 Prozent der Siedlungs- und Verkehrsflächen versiegelt! Der tägliche Zuwachs beträgt 30 Hektar. Jährlich wird somit eine Fläche von Radebeul viermal versiegelt! Die Erhaltung der Fußwege mit Sandbelag sollte deshalb Vorrang haben, da Ausgleichsflächen für Neuversiegelungen z. B. für den Villenpark (ehemals Glasinvest) kaum vorhanden sind.
Nicht nur die Stadt, sondern auch ihre Bürger haben sich in den letzten 20 Jahren verändert. Sie nehmen nicht mehr alles so ohne weiteres hin, was in der Stadt geschieht. Allein seit 2016 wurden zehn Petitionen gestartet, davon drei zu städtebaulichen Problemen. Die Bürger wollen gefragt werden, wenn es um „ihre Stadt“ geht, schließlich leben sie in ihr und wollen sich in ihr wohlfühlen. Aber auch sie müssen begreifen, dass es nicht so weiter gehen kann, wie bisher, wie auch die Politik und die Stadtverwaltung nicht mehr ohne Einbeziehung der Bürger, der Stadtgesellschaft, agieren sollte. Zunehmend setzt sich die Partizipation der Bürger in der Kommunalpolitik durch, geht es doch auch um die Stärkung der Demokratie in der Gesellschaft. Was ist eigentlich im Bildungs-, Kultur- und Sozialausschuss des Radebeuler Stadtrats so „geheim“, dass 45 Prozent der Tagesordnungspunkte im letzten Jahr nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit beraten werden konnten?
Die sogenannten Verfassungsstädte Frankfurt am Main, Weimar und Bonn haben sich im Mai zu einem Netzwerk zur Unterstützung von Forschungs- und Vermittlungsarbeit vereint, um „Lehren aus der Vergangenheit für die Gestaltung der Zukunft nutzbar zu machen“. Ein Vorhaben, welches auch Radebeul gut zu Gesicht stehen würde, meint
Euer Motzi