Wo steht das Klavier?
Hin und wieder kommt aus dem Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Leipzig auch mal was Vernünftiges. So unter anderem die „Warnung! Geschichte schützt nicht vor Erkenntnissen.“ – gedruckt auf einer Postkarte. Beim Betrachten dieser weißen Sprüche – man hatte mehrere Varianten aufgelegt – kam ich auf jüngste kulturpolitische Kapriolen aus der Region bei denen ich mich an meine Kinderzeit erinnert fühlte.
Nun zählte unsere Familie wahrlich nicht zu den gehobenen Bevölkerungsschichten. Mein Vater war Stehgeiger und Mutter arbeitete in der Weberei. Wenn wir auch nichts hatten oder fast nichts, achteten meine Eltern doch immer auf ein gewisses Niveau im Umgang in der Familie und mit Anderen. Nicht wegen der Leut‘, nein, weil es uns ein Bedürfnis war. Sonntags sind wir immer gut angezogen auf die Straße gegangen und die Trainingshosen blieben im Schrank. Auch achtete Mutter stets darauf, dass ich die Bekannten und Verwandten schön grüße.
Wir hatten eine große Drei-Zimmer-Wohnung in einer kleinen Stadt. Die Wohnstube konnte man nur von der Küche aus betreten. Ob es deshalb immer so ordentlich bei uns aussah, kann ich heute nur noch vermuten. An den Sonnabenden aber konnten wir keinen Besuch empfangen, da die Küche auch als Bad fungieren musste.
Die Wohnstube aber war für mich ein ganz besonderer Ort. Die Eltern hatten viel unternommen, um diesen Raum besonders schön aussehen zu lassen. Die dicken Baumwollgardienen verdunkelten zwar den sieben Meter langen Schlauch, dafür bot er für uns Kinder viel Platz. Die Stube war das Zentrum der Wohnung, quasi der kulturelle Mittelpunkt! Nicht wie bei meinen Großeltern, die das ganze Jahr in der Wohnküche verbrachten und das Wohnzimmer nur zu den „hohen Feiertagen“ aufsuchten.
Da kann ich mich an ganz besondere Möbelstücke erinnern. Stolz war ich als 10-jähriger auf den schwarzen Flügel. Spielen konnte ich darauf nicht, aber wer hatte schon so ein Instrument zu Hause?! Oder der Schachtisch, der später mit der selbstgebastelten Stehlampe an Stelle des Flügels stand. Und erst die Hausbar mit den vielen Spiegeln, das große Aquarium…!
Ganz besonders geliebt habe ich den schmalen hohen Bierglasschrank aus einem Wirtshaus, der die Funktion des Wohnzimmerschrankes erfüllten musste. Natürlich gingen auch die Eltern mit der Mode und kauften sich, als etwas Geld angespart war einen modernen mit hellem Furnier versehenen Wohnzimmerschrank auf vier dünnen Beinen, dessen Türschlösser beizeiten „ausgenuddelt“ waren. Der wirkte wie ein Fremdkörper in der hohen, dunklen Stube.
Die anderen Zimmer konnte man vergessen. Mein Kinderzimmer war zusammengestoppelt mit zufällig irgendwo aufgesammelten Möbeln. Das Schlafzimmer der Eltern interessierte mich bestenfalls im Dezember, da dort die Weihnachtgeschenke deponiert wurden. Sonst war es ein unwirklicher Ort.
Nicht im Traum aber wäre meinen Eltern eingefallen, den Schachtisch ins Kinderzimmer zu stellen oder gar den Flügel ins Schlafzimmer zu verfrachten. Schon deshalb nicht, weil diese beiden Räume für unsere Gäste tabu waren! Und wer ist schon so dumm und versteckt seine Prunkstücke?!
Aber diese Erfahrungen – wie die meisten anderen auch – zählen heute nicht mehr. Wer Macht hat, glaubt, die vermeintlichen Schachfiguren auf dem imaginären Brett nach Belieben hin und her schieben zu können. Da werden Behörden aus dem Zentrum an den Stadtrand wegen eines marginalen Vorteils verlegt, um sie dann Jahre später doch wieder im Zentrum anzusiedeln, werden Immobilien verhökert, um sich letztendlich in fremden einmieten zu müssen. Und schließlich schlägt man allen Ernstes vor, einen Jahrzehnte lang bewährten, von der Bevölkerung und den Touristen angenommenen, kulturellen Standort aufzugeben und hofft, ihn an einem ungünstigeren Ort wieder etablieren zu können. Und wenn es nicht funktioniert, will man es nicht gewesen sein. Ist das nun Schizophrenie, Dummheit oder doch eher Arroganz der Macht?
Nun habe ich hier nicht rumgesponnen. Alles real! Der aufmerksame Leser wird wissen, worum es geht. So richtig will einem dabei das Wort „Glosse“ nicht über die Lippen kommen, eher schon die Bezeichnung „Realsatire“, meint
Euer Motzi!