Da könnte ja der Artikel bald schon beendet sein und käme der Faulheit von Herrn Lohse sehr entgegen. Na, warten wir’s mal ab. Es geht heute also um die Betrachtung einer Gruppe von Biedermeierhäusern in Radebeul. Biedermeier als Zeitalter der Empfindsamkeit (im Kern von 1815 -1848) ist eine Epoche in der Kunstgeschichtsbetrachtung bei der immer nur Beispiele der Malerei (Caspar David Friedrich, Anton Graff, Ludwig Richter), Gläser und Porzellan, Biedermeierstühle und andere Möbel, wie auch Gartengestaltungen (Seifersdorfer Tal, Gräfin Christiane von Brühl) angeführt werden. Häuser aus dieser Zeit finden dagegen kaum eine Erwähnung. Wenn man heute Jemanden danach fragt, gibt es meist ein Kopfschütteln. Vielleicht sind diese Häuser zu bescheiden, zu unspektakulär?
In der Zeitspanne von knapp einem halben Jahrhundert müssten doch auch ein paar Häuser errichtet worden sein? Ja, es gibt auch in Radebeul solche Häuser, nur fallen diese nicht so auf, weil sie einfach und eher schlicht daherkommen, man wollte bürgerlich sein und sich auch in der Architektur deutlich von Barock und Rokoko absetzen. Sie wirken städtebaulich nicht zusammen, sondern sind über Radebeul verteilt. Hinzu kommt, dass am Anfang und am Ende der Epoche andere Baustile – erst Klassizismus und später Neogotik – das Biedermeier überlagern konnten. Da gibt es Unschärfen hinsichtlich der stilistischen Einordnung. Es wäre am besten, hier von Häusern der Biedermeierzeit zu sprechen, anstatt von Biedermeierhäusern. Auf die Radebeuler Ortschaften bezogen sollten wir die o.g. Zeitspanne etwas weiter fassen, so von 1810 bis 1860, denn manche Mode kam in Radebeul etwas später als in der Residenzstadt Dresden an.
Bei einem ersten Überblick konnte ich in Radebeul zehn Beispiele von Häusern der Biedermeierzeit finden, es könnte aber noch ein paar von mir noch nicht entdeckte Häuser dieser Kategorie geben. Bei der Betrachtung dieser Häusergruppe fallen mir ein paar Gemeinsamkeiten ein, die ich vorab darstellen möchte.
Als erstes ist offensichtlich, dass für die Häuser mit einer einzigen Ausnahme kein Entwerfer, Baumeister oder Architekt, auszumachen ist. Das könnte damit zusammenhängen, dass offensichtlich erst durch die preußische Ordnung im Kaiserreich (ab ca. 1870) Bauunterlagen regelmäßig einzureichen und zu archivieren waren, vorher bestand diese Verpflichtung nicht. Erst von dieser Zeit an kann man die Entwurfsverfasser von Bauwerken in den Akten finden und benennen.
Die Häuser eint eine gestreckte Rechteckform der Grundrisse, die massive Zweigeschossigkeit und Fensterachsen im Verhältnis an Längs- und Schmalseite von 5:2 bzw. 4:2. Die Längsseite (Schauseite) zeigt regelmäßig zur Straße, wobei da häufig die Tür in der Mittelachse liegt, manchmal aber auch an der Schmalseite. Fensteröffnungen können eine Rechteckform oder oben einen Rundbogen haben. Oft finden wir bei den betrachteten Häusern auch Klappläden vor den Fenstern.
Die aufgemauerten Wände (Naturstein und / oder Ziegel) haben Glattputz, dazu kommen in ein paar Fällen in Putz ausgeführte Eckquaderung und horizontale Putzbänder.
Die Dächer sind als flachere Walmdächer ausgeführt und können konstruktiv Sparrendächer (geringer Dachüberstand) oder Pfettendächer (sichtbare Pfettenköpfe, weiterer Dachüberstand) sein. Gaupen kommen selten vor, weil der niedrige Dachraum kaum für eine Wohnnutzung ausgelegt ist. Die wenigen Gaupen haben dann eine Satteldachform. Üblicherweise sind die Dächer mit roten Ziegeln (Biberschwanzziegel) eingedeckt, seltener mit Schiefer. Erker oder Balkone waren bei dem Haustyp offensichtlich nicht üblich, bzw. wurden später angebaut. Trotz wiederkehrender Kubaturen und Gestaltungsmerkmale hat jedes einen individuellen Entwurf. .
Die betrachteten 10 Häuser werden nach dem Erbauungsjahr geordnet aufgeführt:
1. Bei der Gaststätte „Zum Pfeiffer“, Pfeifferweg 51, entspricht nur das Hauptgebäude der betrachteten Gruppe, nicht die Anbauten und Nebengebäude. Das flache Giebeldreieck auf der SW-Seite ist noch ein klassizistisches Merkmal. Das Haus ist auch wegen der Größe (7 Achsen auf der Längsseite) in Randlage der betrachteten Gruppe, es wurde 1825 erbaut.
2. Das „Paradies“, Höhenweg 1, wurde 1827 gebaut und war nur bis etwa 1960 eine Gaststätte. Auch hier muss man sich bei der Betrachtung den Bau ohne die Anbauten vorstellen. Heute ist es ein privates Wohnhaus.
3. Das Haus auf dem Augustusweg 4 war von 1834 an ein Wohnhaus. Der Vater der Gebr. Ziller, Christian Gottlieb Ziller, entwarf und baute es und wohnte selbst hier. U.a. die Veranda ist eine spätere Zutat. Das Fotografieren des Hauses erschwert leider inzwischen üppig gewachsenes Groß- und Kleingrün.
4. Unter der Adresse Altkötzschenbroda 19 entstand anstelle zweier Giebelhäuser 1839 ein kompakteres, zweigeschossiges Haus früher mit einem Bäckerladen, heute finden wir hier die Gaststätte „Schwarze Seele“. Über der mittigen Eingangstür sehen wir in biedermeierlicher Manier die Initialen F.W.P. sowie die Jahreszahl in römischen Ziffern. Die Dachgaupen sind eine Zutat der Generalinstandsetzung um 2000. Die charakteristischen 5 Achsen finden wir nur im EG, das OG weicht mit 6 Fensterachsen etwas ab. Dieses Objekt ist insofern eine Ausnahme, dass es nicht freistehend ist, sondern in Reihe steht.
5. Das Wohnhaus Winzerstraße 3, das vom Platz Paradiesstraße / Winzerstraße aus gut wahrnehmbar ist, ist ein typischer Vertreter der Häuser der Biedermeierzeit. Es wurde 1840 erbaut und hat eine markante, in der Front mit Schiefer belegte Gaupe.
6. Ein weiteres Wohnhaus der betrachteten Gruppe befindet sich auf der Winzerstraße 35. Es wurde um 1850 errichtet und besticht durch seine Schlichtheit, ein wesentliches Merkmal dieser Häuser. Es hat 4 Fensterachsen auf den Längsseiten, je eine kleine Satteldachgaupe und Klappläden an den Fenstern.
7. Ebenfalls um 1850 muss das Wohnhaus Am Bornberge 5 entstanden sein. Die Fledermausgaupe (zuvor Satteldachgaupe) entstand um 2000 bei der Sanierung des völlig heruntergekommenen Hauses. Auch hier finden wir nur 4 Fensterachsen nach der Straße und 2 nach den Seiten.
8. Auf der Hermann-Ilgen-Straße 30 gibt es ein um 1860 errichtetes biedermeierliches Wohnhaus, das heute im Schatten der größeren Sparkasse steht. Der ehemals charakteristische, mittige Eingang wurde vor längerer Zeit zu einem Fenster umgebaut. Die Tür war insofern gestalterisch betont, dass sie in einem Rundbogen endet, über der eine horizontale Verdachung erscheint darunter zwei symmetrisch angeordnete Kreisbögen im Putz.
9. Noch ein drittes Haus in der Winzerstraße, die Winzerstr. 49, gehört zu dieser Baugruppe. Der ursprüngliche Bau von um 1860 hatte sicher weniger Anbauten als das heutige Wohnhaus. Insofern können wir in der Winzerstraße eine gewisse Konzentration biedermeierlicher Häuser feststellen, ohne dass diese aber einen städtebaulichen Zusammenhang bilden.
10. Auch das frühere Schulhaus von Kötzschenbroda, Vorwerkstraße 14, sollte man noch zu der Gruppe zählen, obwohl es erst 1863 gebaut wurde. Der Eingang befindet sich hier auf der Schmalseite. Es ist heute ein kirchliches Wohnhaus.
Die auf den ersten Blick ähnlichen Landhäuser (u.a. in der Wilhelmstraße) der Baufirma Große, erbaut nach 1860, sind m.E. nicht mehr zur Biedermeierzeit hinzuzurechnen. Es waren schon Typenhäuser, die den großen Bauboom auf ehemaligem Weinland in Niederlößnitz einläuteten.
Eine Tour zu allen genannten Häusern wäre aus meiner Sicht schon ein empfehlenswerter aber anspruchsvoller Spaziergang.
Dietrich Lohse