Aufgewacht!
Da kennt die Welt oder zumindest die deutschsprachige, so manche unschuldigen Sprüche. Etwa wie „Gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen“ oder „Wer schläft, der sündigt nicht“. Zumindest Letzterer wiederum ist so urdeutsch nun auch nicht. Diesen Spruch kann man in Slowenien, in Italien hören und neuerdings auch in den USA. Aber besitzen denn diese ollen Kamellen heute noch Gültigkeit?
Das mit dem Gewissen haben wir ja längst über Bord der riesigen Fressdampfer geworfen, auf denen sich der kleine Mann und die kleine Frau wie Gott und Göttin in Frankreich fühlen dürfen. Da werden die Schöpfer des legendären Filmes Das große Fressen mit den großen Schauspielern Michel Piccoli, Marcello Mastroianni und Philippe Noiret 1973 wohl regelrecht eine göttliche Eingebung gehabt haben. Heute hat man es nicht mehr nötig, sich hinter zugezogenen Vorhängen heimlich in einer Privatwohnung den Bauch vollzuschlagen. Seit dem in den 1990er Jahren die Mega-Kreuzfahrtschiffe aufkamen, lässt sich die Völlerei in aller Öffentlichkeit betreiben. All-Inclusive!
Dieses Thema beschäftigt die Menschheit ja schon seit langem. Bekannt ist sicher vielen der Gebrauch von Gänsefedern bei römischen Festessen im Altertum oder das spezielle Gemälde des Georg Emanuel Opitz von 1804 über einen bestimmten Personentyp.
Sei es drum, über Völlerei wollte ich eigentlich gar nicht schreiben, wohl aber darüber, ob man heute aus alten Weisheiten noch etwas lernen kann. Also, zurück zur Sünde.
Das ist nun wieder so ein Begriff, bei dem ich mich nicht mehr so ganz sicher fühle, ob der heutzutage überhaupt noch zu gebrauchen ist. Zumindest in Sachsen ist doch der überwiegende Teil der Bevölkerung keiner Religion mehr zuzurechnen. Aber egal, dass was einmal Sünde war, ist heute sowieso anders. Und werden sie nicht ständig übertreten, die göttlichen Gebote? Das fängt doch nicht erst beim „du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten aussagen“ an. Das Wort „Sünde“ hat außerdem längst in die Alltagssprache Eingang gefunden, wie zum Beispiel die Bezeichnungen „Parksünder“ oder „Bausünde“ belegen.
Da können die Radebeuler auch ein Lied davon singen. Und ich wüsste so manches Objekt, welches gut und gerne in Turit Fröbes Publikation Die Kunst der Bausünde von 2013 passen würde. Fast jede Stadt hat so ihre Bausünden – die guten wie die schlechten. Hamburg zum Beispiel „versteckte“ bisher die ihren am Stadtrand.
Die meisten Bausünden findet man bei den Eigenheimbauern, erkannte die Architekturhistorikerin Fröbe. Aber auch Gebäude der öffentlichen Hand oder der privaten Wirtschaft sind nicht immer in makelloser Architektur errichtet. Wir müssen da nicht erst mit der Straßenbahn bis nach Dresden fahren. Es reicht schon, wenn wir in Radebeul-Ost an der Haltestelle „Hauptstraße“ aussteigen. Freilich gibt es immer noch Steigerungen. In Gera habe ich mal einen Plattenbau gesehen, dessen Fassade mit Fachwerkhäusern bemalt war. Farbe aber macht eben doch nicht alles. Und das Interessante ist bei dieser Entwicklung, dass die Bauindustrie mittlerweile „Bausünden von der Stange“ anbietet. Ist eigentlich schade, weil dadurch die kreative Energie der Bürger verloren geht.
Auch wenn Radebeul nicht mehr über viel freie Baufläche verfügt, ist das Kapitel keinesfalls abgeschlossen. Und Bausünden kann man ja nicht nur an oder mit Gebäuden begehen. Überall, wo gebaut oder instandgesetzt wird, besteht dafür wieder eine reelle Chance. Denn bedenken sollte man, dass Bausünden eine ungeheure Anziehungskraft auf Touristen ausüben.
Also, aufgewacht! Die Chancen sollten nicht verschlafen werden. Denn wer schläft, sündigt in diesem Fall, meint
Euer Motzi.