Einigkeit
Am anderen Morgen schoß niemand.
Stille griff um sich. Auf dem weiten Rund des nun doch etwas verbeulten Erdballs schwiegen die Waffen. Die Soldaten kehrten zu ihren Familien zurück. Polizei und Kriminalität entsorgten ihre Bewaffnung. Es war Friede auf Erden, was bei vielen Menschen durchaus ein Wohlgefallen auslöste.
Mißtrauisch geworden richtete Friedebold Schreiber, Korrespondent einer unerhörten Nachrichtenagentur, folgende Frage an die Generalitäten sich mächtig fühlender Staaten:
Was nun, Herr General?
Die eingehenden Antworten aus (um nur einige zu nennen) Australien, Kanada, Indien, Frankreich, Spanien, Italien, Polen, Israel und – mit einiger Verzögerung – aus Rußland, China und den USA, lasen sich etwa gleichlautend so:
Wir haben die Lage im Griff. Nach einer Atempause wird wieder Normalität eintreten. Es gibt keinen Grund zur Beunruhigung.
Die Welt atmete auf.
Recht
Ein Kriegsdienstverweigerer, schlimmer: ein Deserteur, ein Fahnenflüchtiger, also ein Krimineller, schwimmt in internationalem Gewässer. Er schwimmt allein, schon das gilt als bezeichnend. Er schwimmt schon lange. Die Arme schmerzen, immer wieder muß er Krämpfe aus den Waden drücken. Auch das Atmen fällt langsam schwer. So oft er auch in der Ferne hoffnungsvolle Berge glühen sieht, weiß er doch, daß kein zivilisiertes Land ihn aufnehmen, kein rechtschaffener Mensch ihm auch nur eine Atempause gönnen wird: Fahnenflucht, Kriegsdienstverweigerung wird nirgendwo als Asylgrund anerkannt. Selten sind sich kriegführende Staaten so einig in der Auslegung internationalen Rechts.
Freiheit
Nach dem neuerlichen Amoklauf mit was weiß ich wieviel Toten brandete die Diskussion über eine Verschärfung des Waffenrechts erneut auf. Eine von der Regierung eingesetzte unabhängige Jury stellte dazu abschließend fest, daß es keinen Zusammenhang zwischen individuellen Taten und dem generellen Recht auf Waffenbesitz gibt. Ein Eingriff in persönliche Freiheitrechte ist damit in keiner Weise gerechtfertigt. Der Schiedsspruch ist endgültig, Widerspruch wird nicht zugelassen.
Die (Männer-)Welt atmete auf.
Thomas Gerlach