„Als die Läden noch die Namen von Leuten trugen“
Dieser Beitrag von Herrn Märksch in „Vorschau und Rückblick“ vom September hat mich sehr an meine Kindheit und Jugend erinnert. Ich bin gebürtiger Radebeuler und gehöre mit meinem Alter tatsächlich zur „Letzten Generation“, die die Vergangenheit reflektieren kann.
Gehen wir mit den Erinnerungen in die Jahre kurz nach dem Kriege zurück.
Hunger und Kälte im strengen Winter 1946/47 waren unsere ständigen Begleiter. Von den im Beitrag genannten 22 Bäckereien in Radebeul war eine Bäckerei „Lohse“ auf der Nizzastraße. Frau und Herr Lohse waren uns Kindern zugetan (selbst kinderlos). Ich besuchte damals die Oberlößnitzer Schule. Herr Wunderlich, ein Neulehrer, den wir sehr liebten, war bemüht, uns die schwere Zeit leichter zu machen. In der Weihnachtszeit wurde das Klassenzimmer weihnachtlich geschmückt. Ein Höhepunkt war die Weihnachtsfeier kurz vor den Weihnachtsferien. Wie wir zu dem Roggenmehl kamen, mit denen die Plätzchen gebacken werden sollten, weiß ich nicht mehr. Aber in Erinnerung bleibt, dass wir beim Bäcker Lohse in der Backstube mit seiner Hilfe den Teig ansetzten und er uns in seinem Backofen die Plätzchen gebacken hat. Gleichermaßen gab uns Frau Lohse die Kuchenränder ab, wenn wir in den Laden kamen. Natürlich geschenkt!
In Erinnerung ist auch der Bäcker Gemser in der Hoflößnitzstr. 2. Ebenfalls befand sich im gleichen Haus das Lädchen von „Trikot-Bauer“. Bauers hatten bis zur Bombardierung ein gleiches Geschäft in Dresden. Herr Bauer hatte gute Verbindungen zu früheren Textilherstellern im Erzgebirge Er konnte manchen Wunsch bezüglich der Trikotagen bei den Frauen erfüllen. Im Eckhaus Rosenstraße 2 war Haussteins Markthalle. Hier kauften wir, was man auf die Lebensmittelkarte kaufen konnte. Im gleichen Haus war eine Gardinenspannerei. Meine Mutti schaffte dorthin die Gardinen zum Spannen. Wer kennt das heute noch?
Im Nebenhaus befand sich Lindners Milchgeschäft. Butter auf Lebensmittelkarte wurde grammweise von einem Butterblock abgeschnitten und in Papier verpackt. Milch aus der Kanne wurde in der Milchkanne geholt. Molke gab es ohne Bezugsschein, auch in den Milchkrug. Gegenüber in der „Stalinstr.“ War das Papier- und Süßwarengeschäft der zwei Schwestern Mallow. Hier kaufte man Tinte, Schreibfedern, Puppenausschneidebögen, Modellbögen zum Basteln. Es roch hier immer gut nach Süßigkeiten, ob es welche zu kaufen gab, weiß ich nicht mehr.
Auf der Rosenstr., Ecke Nizzastr. gab es die „Rosenschänke“. Sie gehörte dem Fleischereister Paul, der die Gaststätte verpachtet hatte. Gab es in unserer Familie einen Anlass, wurde das Bier hier im Bierkrug geholt! Die Fleischerei Paul war im gleichen Haus. Frau Paul hatte die Kunden so erzogen, dass man zum Einkauf nie ohne Einpackpapier kam. Oft war es nur Zeitungspapier! Einmal in der Woche gab es Wurstbrühe mit Majorangeschmack aber ohne Fettaugen.
Im Eckhaus, gegenüber von „Märkschs Reinigung“ war in dem großen Eckhaus die Drogerie Biedermann und im gleichen Haus, wo später die Frau Stur ihren Zigarettenladen hatte, war Herr Otto Deisting, in Dresden auf der Prager Str. ausgebombt, der Tabakwarenhändler. Er verkaufte aber sehr zum Leidwesen meines Vaters nur Zigaretten auf die „Raucherkarte“. Da half auch ein freundliches Schreiben meines Vaters nicht, mit dem ich zu Deisting geschickt wurde. Auf der „Maxim-Gorki-Str. war „Kohlen-Klotzsche“. Ein freunlicher, nicht nach Kohlenstaub aussehender Kohlenhändler. Kohlen gab es nur auf die Kohlenkarte. Selbst im eiskalten Winter 1963 gab es für Neugeborene eine Sonderzuteilung Briketts, die man mit dem Schlitten abholte.
Wieder ein paar Schritte weiter, auf der „Stalinstr.“ war das Geschäft von „Radio Domann“. Nun schon in den 50iger Jahren, stand im Schaufenster ein Fernseher von RAFENA mit dem Namen „Rembrandt“. Bildschirmgröße etwa die Größe einer Postkarte!
Das Milchgeschäft von Burkhardt und die Fleischerei Dübel, später Beyer überspringe ich, um zu „Spielzeug Stiller“ zu kommen. Außer Spielwaren konnte man hier auch Haushaltsartikel kaufen. Es gab immer etwas Gefragtes hier. Ein ca. 10 cm großer Bergmann aus dem Erzgebirge kostete in den 60iger Jahren 1,45 DM. Erinnerungen. Nun noch einmal auf die „Ernst-Thälmann-Straße“. Hier hatte Herr Kettler einen Frisör-Salon. Im Laden war er kaum. Sicher fuhr er lieber mit seinem „Borgwardt“ (ein damals echter Hingucker) herum. Die Angestellten machten die Frauenköpfe schön. Auch auf der Ernst-Thälmann-Str. war das Modegeschäft Hofmann, schräg gegenüber der Drogerie Schreckenbach. Hier kauften meine Eltern auf Punktkarte für mich einen Konfirmandenanzug. Sie hatten sich die Punkte abgespart.
Nochmals zurück ans „Weiße Roß“. Die altehrwürdige Gaststätte wurde von Herrn Stiller und seiner Gattin betrieben. Gemütlich und nett, auch die Preise. Beefsteak mit Möhrengemüse 1,95 Mark. Ein Bier 0,42 M, dazu noch ein Sol-Ei. Alles in den fünfziger Jahren. Und an der Ecke neben der Veranda der Kiosk von Eis-Neumann. Noch viel eher gab es in der Wartehalle vom Bahnhof „Weißes Roß“ einen Verkauf von Frau Ciomer oder so ähnlich, sie zauberte eine Brühe ohne Fettaugen, aber sehr schmackhaft für wenige Pfennige. Fein geschnittener Schnittlauch schwamm auf der braunen Brühe. Die damals zahlreichen Fahrgäste der Bimmelbahn verkürzten sich so die Wartezeit, bis sie der Zug von der Arbeit nach Hause brachte.
In der Nähe des „Weißen Roßes“ gab es das „Textilhaus am Weißen Roß“ von Herrn Scha(a)le. Man stieg ein paar Stufen hinab, um in den Verkaufsraum zu gelangen. Hauptsächlich gab es hier Kurzwaren.
Diese von mir niedergeschriebenen Erinnerungen sind ein kleiner Ausschnitt aus den Kinder- und Jugendjahren, die fried- und hoffnungsvoll waren. Trotz aller Widrigkeiten der damaligen Zeit, unsere Kindheit war schön. Dazu trugen die Eltern und auch die engagierten Lehrer bei.
Ulf Deumer
2 Kommentare
Ein ganz großes Dankeschön für diesen interessanten Beitrag! Eine wunderbare Reise in die Radebeuler Vergangenheit hielt jede Menge neue und auch bekannte Informationen bereit.
Ein sehr schöner weiterer Artikel zu diesem Thema.
Vielen Dank! Ich hoffe, es ist nicht der letzte!
Das in der Wartehalle des Haltepunktes Weißes Roß mal eine Bewirtschaftung war, wusste ich nicht, muss vor meiner Zeit gewesen sein.
Gegenüber von Stiller war ein Radio und Fernsehgeschäft mit öffentlicher Fernsehstube. Dort sah ich 1960, wie die Dresdnerin Ingrid Krämer die Goldmedaille im Turmspringen bei den Olympischen Sommerspielen in Rom erkämpfte.
So kommen, speziell durch diese Artikel Kindheitserinnerungen wieder ans Licht. Sehr schön!!