Es gibt zumindest keine Quelle, die das bestätigt hätte. Ich glaube auch nicht, dass er jemals in seinem Leben eine so weite Reise unternommen hat. Und doch ist im heutigen Chile immer wieder von Bilz die Rede, wie passt das zusammen? Die weltweite Verbreitung von Ideen und Produkten des Radebeuler Naturheilkundlers Friedrich Eduard Bilz (1842-1922) erfolgte zumindest auf zwei Wegen: zuerst natürlich durch sein mehrfach verbessertes und in 14 Sprachen übersetztes „Bilzbuch“, in spanischer Sprache erreichte es um 1900 auch Chile. Und dann noch durch das Produkt „Bilzbrause“, später in Deutschland in Sinalco-Cola aufgegangen. Das „Bilzsalz“, ein weiteres Bilzprodukt (sh. auch V&R 09/21), dürfte dagegen nur lokale Bedeutung erreicht haben. Über die verschlungenen Wege auf denen das Radebeuler Getränk nach dem weit entfernten Chile gekommen und bis heute präsent ist, möchte ich heute nachdenken.
Mein achtundzwanzig jähriger Enkelsohn Franz, der Anfang 2023 mehrere Länder Südamerikas, darunter auch Chile, bereiste, gab mir dazu eine Steilvorlage. Als er uns seine elektronischen Bilder von der abenteuerlichen Reise zeigte, fiel mir zwischen schneebedeckten Bergen, Salzwüste, Pazifikküste und Urwald ein Bild auf, wo er ein Erfrischungsgetränk mit der Aufschrift BILZ zu sich nimmt. Später schickte mir Franz dann ein anderes Foto von einem geöffneten Kühlschrank, gefüllt mit roten Bilzgetränken, einer angeblich nach Erdbeere schmeckenden Brause. Dazu bekam ich einen Wikipedia-Ausdruck, der den Zusammenhang von Bilz und Pap, einem roten und gelben Erfrischungsgetränk in Chile zu erklären versucht.
F. E. Bilz war ja sozusagen als Naturheilkundler und Weltverbesserer angetreten. So wollte er, dass die Menschen gesünder leben und weniger Alkohol trinken sollten. Er entwickelte eine wohlschmeckende Limonade, um sie seinen Gästen im Bilzsanatorium anzubieten, alkoholische Getränke gab es da nicht. Seine Limonade kam aber über den Testlauf nicht hinaus, ihm fehlte in Radebeul eine Firma, die davon größere Mengen produzieren konnte und so musste er deutschlandweit eine Firma mit entsprechender Produktionskapazität für seine Bilzbrause suchen. 1902 schien er in Franz Hartmann im Lippeschen (heute NRW) einen entsprechenden Partner gefunden zu haben. Von da ab wurde in Detmold Bilzbrause in großen Stückzahlen hergestellt. Hartmann firmierte seit 1906 als Sinalco AG und lieferte die Bilzbrause außer an Bilz selbst in die Länder Europas und weltweit eben auch bis nach Chile. Aber dann stritten sich die Geschäftspartner Bilz und Hartmann über die Geschäftsanteile, weil Bilz als Erfinder der Brause offensichtlich damit weniger verdiente als Hartmann. Das Zerwürfnis erstreckte sich über ein paar Jahre bis Hartmann das Produkt schließlich nur noch unter dem Namen Sinalco-Brause vertrieb.
Ähnlich wie die Vereinigten Staaten, war im 19. Jh. auch Chile ein Einwanderungsland für Europäer. Denkbar wäre z.B., dass Chile für Europäer aus klimatischen Gründen interessant war, weil durch den speziellen geografischen Zuschnitt Chile (Länge ca. 4100 km, Breite im Schnitt 200 km) Anteil an mehreren Klimazonen, darunter auch gemäßigtes Klima wie in Mitteleuropa, hat. Unter vielen Einwanderern war 1870 auch der Deutsche Andreas Ebner Anzenhofer mit seiner Frau. Später erfuhr er von dem erfolgreichen Naturheilkundler Bilz in Radebeul und auch von dessen roter Brause und er versuchte in Chile mit Erfolg solche Limonade mit geringen Abweichungen vom Originalrezept (Lizenzumgehung!) herzustellen. Das Geschäft brummte und nach dem Tod Ebners führte ab 1905 der Sohn die Bilz‘sche Limonadenproduktion in Chile weiter. Dabei verwendeten sie auch ein dem deutschen Bilz-Brause-Etikett sehr ähnliches Flaschenetikett, u.a. mit dem Kopf von Bilz!
1916 ging die Firma Ebner in dem staatlichen Getränkekonzern CCU auf. Er produziert bis heute die beliebten Erfrischungsgetränke „Billy Bilz“ und „Billy Bilz leicht“. Und mit genau solcher eingebürgerten Bilzbrause löschte Franz Anfang dieses Jahres seinen Durst am Rande der Atacama-Wüste und musste unwillkürlich an Radebeul und den alten Bilz denken, von dem ihm sein Großvater erzählt hatte.
Gerne hätte ich meine Recherche mit einer Reise ins ferne Chile verbunden, da wären sicher noch weitere Fakten zur Bilzbrause zu finden gewesen. Leider hätte das weder mein, noch das Budget von Vorschau & Rückblick hergegeben, auch nicht, wenn wir beide Budgets zusammengelegt hätten, schade eigentlich!
Dietrich Lohse