Radebeuler Miniaturen

Phoinix
Ein Märchen aus der Zeit, als Wünschen noch half

In leuchtendem Purpur verabschiedet sich die Sonne am Horizont. Mit ihr geht der April.
In der Feuerschale züngeln Flammen auf. Sorgsam und gezielt legt er kleine Ästchen nach bis ein Glutbett entsteht. Dann wird er mutiger, wirft mehr Nahrung ins Feuer, bläst auch mal hinein und wie es richtig prasselt, lächelt er zufrieden: Sieh her, sagt er, es raucht fast gar nicht.
Naja, fast, lacht sie zurück. Dann greift sie Teig aus der großen Schüssel, formt Würste draus und wickelt sie um bereitstehende Haselgerten: Knüppelkuchen gefällig? ruft sie in die Runde. Schon recken sich Hände in die Höhe: ich … ich … Er aber sagt, laß mal, ich hab noch meine Hühnerbeine.
Auch du, gibt sie weiterlachend zurück, immer noch fleischeslustig, was?! Na, mal sehn …
Wie alle gesättigt sind, nur er nagt noch an seinen Knochen, die er einen nach dem anderen ins Feuer wirft, beginnt das Erzählen.
Das Sonnenuntergangsleuchten, sagt sie, erinnerte mich an die uralte Geschichte vom Phoinix aus der Asche:
Irgendwo fern im Osten geboren, weit hinter Indien, wenn da noch „Osten“ ist, hatte der Vogel nach langem Flug in Ägypten eine Heimat gefunden. Heliopolis, Wohnstatt des Sonnengottes, wurde seine Stadt. Hier baute er aus Myrtenzweigen sein Nest. Er hatte sie von Syriens Küste mitgebracht. Eine Zeit lang gab er sogar dem Küstenstreifen seinen Namen: Phönikien, Land des Purpur.
Starke Bilder weiß sie zu malen mit ihren Worten. Vom Flug übers Meer berichtet sie, vom Nestbau auf den Zinnen des Palastes, vom Feuer der untergehenden Sonne, das ihn ergreift und verzehrt mit der Glut seines Herzens. Und von dem goldenen Ei spricht sie, aus dem er selbst wiederersteht. Zu neuem Leben geboren erhebt er sich zum Flug der aufgehenden Sonne entgegen. Nach einem halben Jahrtausend erst kehr er zurück …
Überm Erzählen, überm Lauschen ist Nacht geworden.
Wie ein großes rotes Ei liegt noch ein Glutnest in der Schale.
Geht mal schon, sagt sie, ich hüte noch den Funkenflug. Die Gesellschaft zerstreut sich. Nur einer bleibt zurück.
Ich leiste dir noch etwas Gesellschaft – darf ich?
Miteinander schweigend sehen sie die Glut verlöschen.
Nach kurzer Nacht, noch ist Stille, tritt er auf den Balkon.
Von Osten her naht der neue Tag. Über der Terrasse steigt ein schwarzer Schatten auf. Asche wirbelt auf. Lautlos fliegt ein großer Vogel ins Morgenrot hinein.
Unbemerkt ist sie neben ihn getreten. Sie greift seinen Arm, lehnt die Stirn an seine Schulter: Hast du gesehen?!
Phoinix aus der Asche …
Ganz so schnell wird’s bei uns nicht gehen …
Später wird er verstohlen und unter dem Vorwand, aufräumen zu wollen, die Asche in der Feuerschale nach Knochen durchsuchen – er wird keine finden …
Thomas Gerlach

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