Radebeuler Miniaturen

Ver-Such

Gerade hab ich mirs bequem gemacht am Faß, mit geschlossenen Augen den ersten Schluck genossen (wenn´s so richtig warm ist, also Sommer, und das Kondenswasser draußen am Glas herabläuft, schmeckts einfach am besten!), da plumpst Ulrike neben mir auf den Hocker.
Nanu? Wolltest du nicht zum Arzt?
Ja, ich wollte – ei-gent-lich – Ulrike faucht mich an, daß mir das Bier noch in der Kehle gefriert.
Nana, sag ich, nun mal langsam, eins nach dem andern …
Vor die Ärzte, sagt nun wieder sie, haben die Götter den Tresen gesetzt. Dort gibt’s keinen Oberkellner, der Bier ausschenkt, sondern eine Oberschwester, die Zugangsberechtigungen erteilt und die dafür sorgt, daß immer nur so viele Leute reinkommen, wie Stühle im Wartezimmer sind. Und im Ärztehaus hat jeder Arzt und jede Ärztin einen eigenen Tresen …
Ulrike greift nach meinem Glas, nimmt einen großen Schluck, prustet und stöhnt pfui Deibel, daß du das trinken kannst …
Lächelnd bringt ihr der Bernd in einem kleineren Gläschen was höher Prozentiges. Wenn ichs richtig in Erinnerung habe … sagt er dazu.
Ulrike trinkt in kleinen Schlucken, schüttelt sich nach jedem, aber sie lächelt zufrieden. Wenigstens einer, der mich versteht, sagt sie. Na bitte, sagt Bernd.
In einem Fall hab ichs ja sogar bis auf den Behandlungsstuhl geschafft, aber dann gings gleich wieder los: wie alt sind sie? So alt sind auch ihre Füße … Du meine Güte, ich kenne meine Füße seit Kindertagen, aber das tröstet mich weder, noch nimmt es mir den Schmerz!
Arztwechsel, sagt Ulrike, Zweitmeinung – steht in jeder Zeitung als verbrieftes Recht – aber am Tresen solltest du diese Vokabeln tunlichst vermeiden, sonst stehst du gleich wieder ganz hinten in der Reihe.
An der vierten Tür hätte ich dann sogar fast einen Termin bekommen: in vier Monaten. Ich hätte eben eher kommen müssen …
Noch einen bitte, sagt Ulrike zu Bernd.
Und dann bin ich noch zum Tischler gegangen.
Zum Tischler?
Ich hätte gern einen Sarg. Ja gern, sagt der, wie eilig ist es denn – also sie haben ja sicher noch Zeit. Kommen sie am nächsten Ersten und wir vereinbaren einen Termin …

Thomas Gerlach

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