Im Kynastweg 26 war ich schon oft gewesen und habe manchmal auch in unserem Heft darüber berichtet – sh. V&R 1/96, 2/16 u. 8 /22. Am 19. Juli 2024 sollte zwischen 10 u. 11 Uhr die Hebung des Turmhelms des derzeit in Umbau und Sanierung befindlichen Turmhauses stattfinden. Von der Sächsischen Zeitung waren die Herren Kuhnert und Weihs erschienen und ich wollte vielleicht in der „Vorschau“ davon berichten. Es war von vornherein klar, dass eine Tageszeitung den jeweiligen Artikel schneller bringen wird, als ein Monatsblatt.
Das Bauensemble aus fünf Häusern des ehem. Weingut Haus Kynast wurde über die Jahre seit der Rückgabe 1990 an die Familie Muth vernünftigerweise in Etappen saniert, dazwischen Zeit zum Luftholen und auch zum Geldansparen. Die um einen Hof gruppierten Häuser haben verschiedene Daten der Errichtung und waren u.a. deshalb auch unterschiedlich sanierungsbedürftig. Nun war das Turmhaus nach dem Badehaus als letztes dran. Die langjährige Mieterin im Turmhaus, Frau Lederer, konnte 2023 in eine Niederlößnitzer Wohnung umziehen – sie hatte schöne Jahre im Kynast erlebt. Durch Architekt Volker Röhricht, über die Jahre mit dem Kynast gut vertraut, waren Voruntersuchungen eingeleitet und ein Projekt für ein Zweifamilienhaus im Turmhaus erarbeitet worden. Mit dem Abbau schadhafter Teile (u.a. der Dachstuhl) war schon begonnen worden und das Gerüst des Turmes stand bereits. Nun sollte die von der Coswiger Firma Holzbau Grätz reparierte Turmhaube mit einem Autokran auf den Dachstuhl gehoben werden.
Hörbare Hammerschläge verrieten den Wartenden, dass noch ein paar Vorarbeiten erfolgen mussten und die Spannung stieg. Man musste noch etwas warten und schaute derweil von der Stützmauer aus in die weite Landschaft bis zur Bosel oder lief mal zu den alten, gut im Saft stehenden Esskastanienbäumen. Dann, Viertelzwölf etwa, konzentrierten sich die angereisten Zuschauer, Margot und Hans-Peter Muth (die Eigentümer aus München), Architekt Volker Röhricht (Radebeul) und die Vertreter der großen und kleinen Presse auf den Beginn der Hebung der Turmhaube, hier war Filigranarbeit vom Kran und den Zimmerleuten auf dem Gerüst erforderlich, doch alles klappte wie geplant – ein freudiger, feierlicher Augenblick, der mit einem kleinen Schluck Sekt abgeschlossen wurde! Das Ereignis war ein Zwischenschritt der Sanierung, aber vielleicht nicht so feierlich wie ein Richtfest, das noch kommen wird.
Bereits vor ein paar Wochen fand ein Akt statt, auf den ich mich schon lange gefreut hatte – die Erforschung des Turmgeläuts. Der Turm hatte zwei schüsselförmige Glocken, jedoch nie eine Turmuhr. Die Glocken, die früher wohl von Hand bedient worden waren, funktionierten aber schon lange nicht mehr. In der Moritzburger Metallwerkstatt von Herrn Hopf konnte ich mich schließlich am 22.5.24 den Glocken nähern. Es sind fast gleich große Bronzeglocken, für den Kynast 1817 angefertigt von der Dresdner Glockengießerei Friedrich August Otto. Die Größere trägt außer der Firmenbezeichnung und der og. Jahreszahl ein biedermeierliches Schmuckband. Die kleinere dagegen ist schrift- und schmucklos. Eine Überraschung war dann die Feststellung, dass beide Bronzeglocken im oberen Teil taubeneigroße Löcher hatten. Aber niemand wusste über die Herkunft dieser Löcher bescheid.
Es wird vermutet, dass die Löcher im Jahr 1945 entstanden sein könnten. Beim Einmarsch der Russen um den 8. Mai als Sieger könnten im Freudentaumel gezielte Schüsse von unten auf die Glocken abgefeuert worden sein; ähnliche Überlieferungen hörte man auch von anderen Orten schon. Erstaunlicherweise ist trotz der Löcher für den Laien der Klang nicht beeinträchtigt. Wenn die behutsame Bearbeitung durch Herrn Hopf beendet ist, sollen die beiden Glocken wieder im Turm angebracht werden und über einen mechanischen Zug wieder zu betätigen sein.
Obwohl ich nicht dabei sein konnte, wurde mir von Herrn Röhricht von der Öffnung der alten Turmkugel berichtet. Das Ergebnis war weniger sensationell, denn der Inhalt der Kugel stammte nur aus DDR-Tagen – ältere Dokumente fehlten. Nach Blitzeinschlag im August 1951 wurde ein Schriftstück der damaligen Bewohnerin im Kynast, Maria Marschall-Solbrig, zur Geschichte des Kynast in die Kugel gegeben. Ein Satz DDR-Münzen dagegen stammte von 1987 als drei Männer, darunter Herr Lederer, eine andere Reparatur am Turm ausgeführt hatten. Wenn die Turmkugel wieder aufgesetzt wird, werden durch Familie Muth ein Satz Euro-Münzen, aktuelle Zeitungen und ein neuer Schriftsatz hinzugefügt – das ist so Tradition!
Die Baugeschichte des Turmhauses, das im 18 Jh. zunächst eingeschossig war und im 19. Jh. durch den damaligen Besitzer Postmeister Blüher vergrößert und mit einem Turm versehen worden war, wird durch die Glockeninschrift mit der Jahreszahl 1817 ergänzt und bestätigt.
Wir freuen uns mit Familie Muth, wenn mit der Fertigstellung des Turmhauses das Ensemble Haus Kynast rundum in guten baulichen und denkmalpflegerischen Zustand versetzt sein wird und sich so hoffentlich eine geraume Zeit oder besser längere Zeit halten kann.
Dietrich Lohse