Unweit von Freiberg erstreckt sich am Ufer der kraftvoll der Elbe zustrebenden Freiberger Mulde, die hier eine größere Flussschleife beschreibt, die Gemeinde Halsbrücke. Hervorgegangen aus einem als „Inselgut“ im Lehnbuch von Markgraf Friedrich III. von Meißen 1349 bezeichneten Vorwerk und dem Kanzleilehngut „zcu dem Halse“ entwickelte sich der Ort am namensgebenden südlichen „halsförmigen“ Rücken der mit Brücken versehenen großen Muldenschleife. Größere Bedeutung erlangte Halsbrücke erst durch den Bergbau und vor allem die Verhüttung von Erzen. Im Jahr 1612 legten die Erzgruben „St.Lorenz“ und „Rheinischer Wein“ eine eigene gewerkschaftliche Hütte an, aus welcher 1663 die Halsbrücker Schmelzhütte hervorging. Im Jahre 1862 entstand in der Halsbrücker Hütte eine Goldscheideanstalt. Sicher hat jeder schon mal etwas von der Existenz der 140 m „Hohen Esse“ – dem dereinst höchsten gemauerten Schornstein der Welt – gehört. „Grabentour“ entlang von Mulde und Bobritzsch oder „Rothschönberger Stollen“ sind weitere Begriffe, die Halsbrücke mit dem Bergbau im Freiberger Revier eng verbinden. Kurzum: Alles in allem ein geschichtsträchtiger Ort! Aber eine eigene Kirche? Fehlanzeige!
Über Jahrhunderte hinweg gehörte Halsbrücke kirchlich zur Parochie Tuttendorf; erst viel später wurde es nach Krummenhennersdorf eingepfarrt. Nach dem Krieg konnte die kleine Gemeinde eine alte Holzbaracke für Christenlehre und Gottesdienste nutzen, die aber in den 1980er Jahren an ihre bauaufsichtlich gerade noch zulässigen Grenzen gelangt war. Deshalb fasste der Kirchenvorstand 1985 zusammen mit Pfarrer Christoph Lehmann (Krummenhennersdorf), juristisch beraten und begleitet von Steffen Heitmann vom Landeskirchenamt in Dresden (später Staatsminister in Sachsen) den Beschluss, eine eigene Kirche zu bauen. Und das unter den Bedingungen einer maroden Bauwirtschaft der ihrem Ende entgegengehenden DDR! Diesem Problem wollte die Gemeinde durch eine Baudurchführung in Eigenleistung und Feierabendarbeit begegnen. Für den zum Kreis der „Planer“ hinzugezogenen Architekten eine nicht ganz alltägliche Aufgabe! Zunächst musste geklärt werden, ob die Gemeinde „nur“ einen allgemein nutzbaren Mehrzweckbau oder einen ganz individuellen, tatsächlich identitätsstiftenden Kirchenbau errichten möchte, der deutlich signalisiert: Hier sind Christen in einem weitestgehend atheistischen Umfeld und der Kirche feindlich gesonnenem Staat präsent! Mit diesem mutigen Bekenntnis als Grundlage konnten nun weitere Überlegungen angestellt werden, die wichtig waren für die Gestaltfindung des Kirchengebäudes. Klar war, einen Bezug zu den Bauwerken des die Gegend seit dem Mittelalter prägenden Bergbaus zu finden, wie sie in deren Architektur der Schmelzhütten und Waschkauen vorkam. Nach alter Tradition musste auch über ein Patrozinium, d.i. eine Schutzherrschaft eines Heiligen, über die neue Kirche nachgedacht werden, um der Kirche einen Namen geben zu können. Alle alten Kirchen und auch die Gruben des Freiberger Reviers waren ganz selbstverständlich Heiligen gewidmet. Man einigte sich auf den hier immer verehrten und um Hilfe angerufenen Laurentius, auch Lorenz genannt. Ihm war bereits 1518 die Grube St.Lorenz geweiht worden; dazu gibt es den in alten Bergbaukarten kartierten, tief unter Halsbrücke verlaufenden Stollen „St.Lorenz Gegentrum“. Also alles ganz handfeste lokale Bezüge!
Zentrum des neuen, in traditioneller Ziegelbauweise errichteten Gebäudes war nun der Kirchenraum mit seinen ganz eindeutigen liturgischen Bezügen als Versammlungsort der Gemeinde zur Feier der Gottesdienste. Der bis in die Dachkonstruktion hinaufgeführte Raum kann über Faltwände im Erdgeschoss oder über eine Empore erweitert werden. „Zuschaltbare“ Nebenräume waren für Christenlehre, Chorproben, Treffen der Jungen Gemeinde oder für Gemeindefeste gedacht; hinzu kam eine Vielzahl von kleineren Funktionsräumen wie Garderoben, Heizung oder Toiletten. Krönender Abschluss ist ein kleiner Dachreiter an der talseitigen Giebelseite, in dem eine in Freiberg gegossene Glocke läutet – sie ist die „Stimme“ der Kirche, die zum Gottesdienst ruft, verstorbene Gemeindemitglieder auf ihren letzten Weg begleitet oder hell zur Taufe erklingt. Der Platz für die Kirche war ideal gewählt: sie steht weit oberhalb der Ortschaft Halsbrücke an der Kante eines Hanges, der sich bis hinunter in das Tal der Mulde erstreckt. Der Silhouette des weithin sichtbaren Baukörpers kommt damit eine Signalwirkung zu und der Glockenschall ist weit zu hören. Nach einer Zeit unklarer Finanzierung der Baustelle nach der deutschen Wiedervereinigung konnte der Kirchenbau schließlich durch den Bischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsen, Dr. Johannes Hempel, 1993 geweiht und von der Gemeinde in Besitz genommen werden. Feierlich trugen die Gemeindeältesten wichtige Ausstattungsgegenstände wie ein großes Kruzifix aus der alten Baracke in den neuen Kirchenraum. Ein traditionell wieder zu verwendender Altar war nicht vorhanden. Die Idee des Architekten war angesichts dieser gestalterischen Freiräume nun, das gesamte Interieur des Kirchenraumes von einem Künstler entwerfen zu lassen. Die Wahl fiel auf Michael Hofmann (jetzt Radebeul). Eines der Hauptstücke des Kirchenraumes ist der Altar, an dem die Gemeinde zusammen das Abendmahl feiert. Historisch waren Altäre so angeordnet und ausgerichtet, dass der Geistliche mit dem Rücken zur Gemeinde die Liturgie betet. Mit modernen Formen der Gottesdienstfeier ist das nur schwer zu vereinbaren. Michael Hofmann schuf deshalb einen freistehenden Altartisch, hinter dem der Geistliche mit dem Gesicht zur Gemeinde alle geistlichen Handlungen zelebrieren kann. Dahinter in der Giebelwand – gleichsam als Adaption der mittelalterlichen Retabeln bzw. Altarschauwände – dominiert ein nahezu raumhohes Fenster den Raum und legt damit den liturgisch wichtigsten Ort fest. Entworfen und selbst hergestellt hat es Michael Hofmann 1991 aus farbigen, grob zugerichteten Glasbrocken – so wie sie aus den Glasöfen kommen, und diese in Beton eingebettet. Das Licht durchstrahlt die Glasbrocken, bricht sich an deren rauen Kanten und tritt zerstreut wieder aus. Dadurch strahlt das Fenster gleichsam aus sich heraus und erzeugt selbst an trüben Tagen eine unglaublich schöne Lichtwirkung. Eingebettet in Beton ist in Halsbrücke mit diesem Material die Legende des Heiligen Lorenz (Laurentius) dargestellt: Schon in der Frühzeit des Christentums galt Laurentius als bedeutender Heiliger. Neben seinem Grab vor den Stadtmauern Roms wurde zur Zeit Konstantins des Großen eine Basilika erbaut. Der Überlieferung zufolge war er als Archidiakon von Rom für die Verwaltung des örtlichen Kirchenvermögens und seine Verwendung zu sozialen Zwecken zuständig. Nachdem der römische Kaiser Valerian den Papst Sixtus II. hatte enthaupten lassen, wurde Laurentius ausgepeitscht und aufgefordert, den Kirchenschatz innerhalb von drei Tagen herauszugeben. Daraufhin verteilte Laurentius diesen an die Mitglieder der Gemeinde, versammelte eine Schar von Armen und Kranken, Verkrüppelten, Blinden, Leprösen, Witwen und Waisen und präsentierte diese als „den wahren Schatz der Kirche“ dem Kaiser. Der Hauptmann, vor dem Laurentius erschienen war, ließ ihn deswegen mehrfach foltern und dann auf einem glühenden Eisenrost hinrichten. Aus diesem Grund wird der Märtyrer mit dem Rost als Attribut dargestellt. Laurentius ist der Schutzpatron vieler Berufsgruppen, die mit offenem Feuer zu tun haben, so auch im übertragenen Sinn der Hüttenarbeiter und Bergleute von Halsbrücke. Die soziale Komponente seines Martyriums ist auch heute wieder ganz aktuell! Sein Fest- bzw. Gedenktag in der römisch-katholischen, der orthodoxen, der anglikanischen und der evangelischen Kirche ist der 10. August.
Michael Hofmann hat es bei seinem Halsbrücker Fenster meisterlich verstanden, die in seinem grafischen Schaffen verwendete Technik der verlorenen Form des Holzschnittes und das Gegeneinandersetzen von Farben und Flächen auf die Gestaltung des Glasbetonfensters umzusetzen: Das Rost wird für den Gemarterten zur Himmelsleiter, während die Feuerflammen seine Gestalt umzüngeln. Daraus wachsen ihm sogar Flügel; so von Engeln geleitet strebt er zum Himmel empor, der sich ihm öffnet. Welch eine Hoffnung!
Dem Autor, mit dem er noch weitere Kirchen (-fenster) gestaltet hat, sagte Michael Hofmann kürzlich, dass er eigentlich diese ungewöhnliche Technik der Umsetzung seiner bildkünstlerischen Ideen und Gedanken am meisten liebe. Ad multos annos, Micha – und noch viele Ideen für die Menschen beglückende Kunstwerke!
Günter Donath
Architekt und Meißner Dombaumeister a.D.