Vereinsfest in Wachau
Es kann ja nichts schaden, so dachten wir, für einen kurzen Moment auch einmal das geliebte Radebeul zu verlassen und unsere Nase in andere Dinge zu stecken. Davon ist bekanntlich die Welt voll, und dümmer wird man dadurch keinesfalls. Das einzige Erfordernis dazu, man muss es wollen. Und nach dem Motto „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“, setzte ich mich zunächst, nein, nicht wie der Leser jetzt vielleicht denken mag, per Auto, Bus oder per pedes in Bewegung, sondern an meinen Schreibtisch. Ein Plan war in diesem Falle das entscheidende Instrument, zuvor aber ließ ich den Zufall walten. Der führte mich auf eine Internetseite sonderbarer Art, die mir eine vollgerümpelte Bauernscheune mit einem Café anzeigte. Ein schön gestalteter Hinweis versprach noch dazu ein Fest eines ortsansässigen Vereines für diesen 21. September. Das traf meine Wünsche ziemlich genau.
Nach dem sonnabendlichen Mittagsmahl brachen wir auf, und da ich Überraschungen liebe, blieb das Ziel zunächst im Ungewissen. So war schon die Fahrt durch eine schöne Herbstlandschaft ein Genuss, auch wenn sie eine kurze Strecke über die Autobahn führte.
Eine gute halbe Stunde war vergangen, bis wir schließlich in Wachau – ein Ort bei Radeberg – angekommen waren. Zu sehen war erst einmal nichts. Keine Feststimmung, keine laute Musik, nicht mal ein Schild. Ein etwas muffliger Mann am Straßenrand gab schließlich doch noch Auskunft. Ich wollte schon loslaufen, denn das eigentliche Ziel lag in unmittelbarer Nähe, aber Karin streikte, sodass ich doch noch das schon geparkte Auto holte. Vorbei am Schloss und dem Friedhof parkten wir schließlich das Auto ziemlich abenteuerlich zwischen Sträuchern am Wegesrand. Nach feiern aber sah es hier nicht aus. Was wir erblickten waren Stallanlagen mit einem nicht gerade geordneten Gelände davor. Einzig ein handgeschriebenes Hinweisschild zeigte an, dass wir an der richtigen Stelle angekommen waren. Wir gingen an der rund 70 Meter langen Stallanlage entlang, an deren Ende sich ein Hof auftat, auf dem einige Biertischgarnituren und zwei Versorgungswagen standen. „Hier soll ein Fest stattfinden“, fragten wir uns verwundert? War das das „Wunder Land“, was der gleichnamige Verein versprochen hatte, noch dazu das Zweiunddreißigste? Verdutzt rieben wir uns die Augen. Doch einige wenige Leute hatten sich ebenfalls eingefunden.
Einige Minuten nach 14 Uhr trat ein älterer Mann mit einer Fliegenpilzmütze auf dem Kopf und einem Megafon an der Seite aus einem alten Circuswagen und eröffnete zwischen Reithalle und Pferdestall das Fest mit einer lockeren, unbekümmerten und reißerischen Rede und der Aufzählung aller Programmpunkte. Die Hauptattraktion kündigte er bereits für 15 Uhr an. Es sollte eine „Zeitreise im Wunderland“ werden, die als Theaterstück angekündigt wurde. Damit hatten wir natürlich nicht gerechnet und waren gleich „elektrisiert“. Die Zeit reichte gerade noch, ein Stück leckeren Bauernkuchen zu genießen. Zum Kuchen vom Land gab es aber nur Kaffee oder halt Bier und Alkoholfreies aus der „Che-Guevara-Bar“.
Bereits eine halbe Stunde vor Beginn der Aufführung waren die Bankreihen der Reithalle gut besetzt. Außer einem Baugerüst mit mehreren Etagen, die mit Regiepult und andern Ausstattungsstücken belegt waren und zwei roten „Stoffbahnen“, war die große Halle leer. Wir hatten keine Ahnung, was uns hier erwarten würde und waren in der nunmehr prall gefüllten Halle sicher die einzigen Unwissenden. Nach Theater jedenfalls sah es hier nicht aus. Schließlich trat ein Clown auf, der einen Bilderbogen durch verschiedene Zeitepochen ankündigte und auch moderierte, bei dem es viele szenischer Auftritte mit ca. 50 Mitwirkenden und 12 Pferden gab. Alle Bilder, die von der Urzeit bis ins Heute reichten, hatten direkt oder indirekt etwas mit dem „Wunder Land“-Verein zu tun. Vom Springreiten über Aerial Silks, einer Tuchakrobatik, bis zur Hausbesetzerszene durch „alte Weiber“ war in den zwei Stunden alles dabei, was der Verein zu bieten hatte. Ein höllischer Spaß, zu dem gar ein Gabelstapler zum Einsatz kam. Einbezogen in das Spektakel waren alle Altersgruppen, vom Vorschulkind bis zum Rentner.
Der Verein ist eine Art Chamäleon. Er selbst beschreibt sich als eine „Heimat für viele Pferde, Esel, Bienen, einen Hirsch, für Rinder, Gänse, Enten, Hühner, Kaninchen, eine handzahme Schaf- und Ziegenherde, Hunde, Katzen und Schweine“. Zu seinen Festen führt er regelmäßig eigene Theaterstücke auf. Er besitzt ein Gemüsefeld, Wiesen und eine große Reithalle sowie Stallanlagen, betreibt Reitsport, ein kleines Museum, Landschaftsgestaltung und kümmert sich vorwiegend um Kinder und Jugendliche. Mit dem nahen Sächsischen Epilepsiezentrum Kleinwachau arbeitet er zusammen. Zum Fest bot er eigene landwirtschaftliche Produkte (Gewürze, Kohlrabis, Rote Kartoffeln u. v. m.) wie auch selbst zubereitete Brotaufstriche an. Eines ihrer wichtigsten Anliegen sei es, mit ihrer Arbeit der „Entfremdung zwischen, Mensch, Natur und Tierwelt entgegenwirken“.
Während sich die Besucher nach der Wunderland-Zeitreise zum Pferderennen begaben, labten wir uns an Steak, Bratwurst und einem guten Bier. Das ausgezeichnete Gulasch entdecken wir leider zu spät. Dafür aber erstanden wir eine Chronik aus dem Jahre 1970 (!) sowie Brotaufstrich und haben uns mit einigen Leuten unterhalten. Der Fliegenpilz- und Clowns-Darsteller, der mal in seinem ersten Leben Techniker im TJG Dresden war, hatte uns natürlich als „Fremde“ sofort erkannt und in ein Gespräch verwickelt.
Mit einem Konzert von „Onkel Tom und Huck“ aus Dresden und einer Partynacht mit DJ Pauli klang das Fest aus. Solange haben wir es aber nicht ausgehalten. Der Weg nach Wachau hatte sich gelohnt. Auch anderenorts versteht man zu feiern und das auf recht unkomplizierte, aber erfrischende Art und Weise.
Karl Uwe Baum