Zur Premiere von „Das perfekte Geheimnis“ am 25. Januar 2025 in den Landesbühnen
Seit einigen Jahren stellen die Landesbühnen Sachsen ihre Spielzeiten unter ein Motto, in diesem Jahr ist es „NEBENAN-nah dran.“ Rein optisch setzt das Theater dieses Motto mit gelungenen Fotos des Ensembles sowohl im Foyer als auch im Jahresspielzeitheft um, indem die Akteure sich in unterschiedlichen Konstellationen an verschiedenen Orten in Radebeul haben ablichten lassen. Das Signal, was davon ausgeht, ist klar: Wir sind die Landesbühnen für Sachsen, aber in besonderer Weise fühlen wir uns auch als Stadttheater für Radebeul den Menschen hier vor Ort verbunden. Für die meisten Besucher lässt sich dieses Motto ja ebenso leicht mit Leben erfüllen, schließlich wohnen viele nahe am Stammhaus und haben Zugang zu den vielfältigen Angeboten des Vierspartenhauses. Diese Angebote umfassen inzwischen neben dem eigentlichen Kulturerlebnis auch begleitende Aktionen wie die Nachbarschaftsfeste, die zu den Premieren auf der Hauptbühne das Publikum vor der Aufführung mit thematischen Angeboten passend zum neuen Stück unterhalten und natürlich involvieren wollen. Zwar hat sich meiner Beobachtung nach die Mehrzahl des etablierten Premierenpublikums wohl vorranging dem geselligen Parlando bei Sekt und Brezel hingeben, aber für diejenigen, die sich darauf einlassen, bieten diese Einstimmungen durchaus einen Reiz. Anlässlich der Premiere von „Das perfekte Geheimnis“ von Paolo Genovese (Regie: Jan Meyer) war eine Dresdner Wahrsagerin ebenso am Werk wie eine Radebeuler Kunsttherapeutin, die mit Besuchern über ihren Beruf ins Gespräch kam. In welcher Weise also stehen diese Berufe in Verbindung zum Stück? Dazu später mehr. Möglicherweise war ein Teil der Besucher mit dem Plot der Bühnenversion schon vertraut, weil diese auf einem Film basiert, der zunächst 2016 im italienischen Original, 2020 dann in seiner deutschen Variante sehr erfolgreich in die Kinosäle kam, gleichwohl die Corona-Pandemie manchem geplanten Besuch dann doch einen Riegel vorgeschoben hatte. Auf eine umfangreiche Nacherzählung des Inhaltes soll hier deshalb auch verzichtet werden, stattdessen das Augenmerk darauf gelenkt werden, was das Stück im Publikum auslösen will und warum es sich anzuschauen lohnt.
Die drei beteiligten Paare und ein Single (Sandra Maria Huimann/Michael Bernd-Canana, Moritz Gabriel/Cathrine Dumont, Dominik Tippelt/Karoline Günst und Johannes Krobbach) bilden einen Querschnitt durch die berufstätige Erwachsenenwelt und deren Lebenswirklichkeiten. Akademiker (u.a. Psychoanalytikerin, plastischer Chirurg, Tierärztin, Sportlehrer, leitender Angestellter), aber auch ein Taxiunternehmer und eine Mutter in Elternzeit treffen sich zu einem fröhlichen Abend bei einem der Paare. Man kennt sich zum Teil seit langer Zeit, insbesondere die vier Männer sind beste Freunde. Man (ver)traut einander, oder glaubt es zumindest. Das Stück ist insoweit ein Spiegelbild unserer seit gut 15 Jahren veränderten Gewohnheiten der Mediennutzung, als dass jeder der Akteure auch noch (s)ein Leben mit und durch das Smartphone führt. Bestehende Beziehungen werden hintergangen und neue digital getestet, Unwahrheiten auf die Tastatur getippt und amouröse Avancen in den Hörer gehaucht. Das Smartphone als ausgelagerter Teil des Gehirns und Herzens, als Träger und Medium des gut verheimlichten zweiten Ichs. Dass der Vorschlag der Gastgeberin, an diesem Abend die Handys offenzulegen und jede eingehende Text- und Sprachnachricht miteinander zu teilen nur auf verhaltene Zustimmung stößt, schließlich aber doch jeder mitmacht, um den Verdacht ein pikantes Geheimnis zu haben abzuwenden, ist verständlich. Der Reiz des Stückes liegt für die Zuschauer also vor allem darin, die sich anbahnenden Paarkonflikte und Freundschaftsenttäuschungen aus sicherer Entfernung verfolgen zu können. Spätestens aber auf dem Nachhauseweg dürften sich so manche Paare mehr oder weniger offen fragen: Und du, Schatz, was ist mit dir und deinem Handy? Möglicherweise ist das der Moment, in dem das Stück seine eigentliche Wirkung entfaltet: Wenn man (zu zweit) darüber nachdenkt, ob absolute Offenheit wünschenswert oder doch eher zum Fürchten ist. Ob ein gut gehütetes Geheimnis die Liebe zum Partner konservieren hilft oder sie doch eher destruiert. Ob der Spruch „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“ auch in einer Liebes- und Paarbeziehung gelten sollte oder nicht. Die Antworten auf alle diese Fragen mögen unterschiedlich ausfallen, aber sie zu provozieren ist ein Verdienst des Stückes. Fraglich ist im Fall eines Zweifels an der Treue des Partners, ob eine Wahrsagerin Antworten wüsste. Und wenn es so wäre: Würde wohl eine Kunsttherapie die geschlagenen Wunden heilen können? Womit wir wieder beim Beginn des Abends wären…
Alle Akteure erfüllen ihre jeweiligen Figuren authentisch mit Leben und vermögen sowohl Sympathien als auch Antipathien hervorzurufen. Ungewöhnlich und zugleich sehr zu würdigen ist übrigens die Entscheidung, die kleine Rolle der heranwachsenden Tochter Sofia des gastgebenden Paares einer Schauspielerin anzuvertrauen, die behindert ist. Lena Flögel als Gast durchlief eine dreijährige Schauspielausbildung an der „Freien Bühne München“, dem ersten professionellen inklusiven Theater in Deutschland, wo sie auch den Regisseur des Stückes, Jan Meyer, kennenlernte, der vor seiner Tätigkeit in Radebeul eben dort tätig war.
Die sehr geschmackvoll eingerichtete Bühne und die passend zu den Charakteren ausgewählten Kostüme (Ralph Zeger) vermitteln den Eindruck, als sei die konkret in Frage stehende Problematik typisch für die Mittelschicht. Das ist sicherlich nicht der Fall. Aber möglicherweise ist in der Mittelschicht die Sehnsucht nach dem Kitzel, dem Geheimnis, dem Risiko stärker ausgeprägt als in der Unter- oder Oberschicht, weil die Mittelschicht der Geruch des Normalen, Gut-Bürgerlich-Langweiligen umweht. Zur Bühnenausstattung gehört auch ein im Verlauf des Abends größer werdender Mond, der im zweiten Akt fast schon drohend über der Bühnenmitte hängt. Es erschließt sich aus der Logik der Handlung anfangs nicht, warum überhaupt dieser Freundesabend anlässlich einer Mondfinsternis stattfindet, aber im Verlauf des Stückes schält sich eine Deutung heraus. Indem der Mond sich gar nicht verfinstert, sondern im Gegenteil immer größer, leuchtender wird, bildet er einen Kontrast zu den dunklen Geheimnissen der Protagonisten, die nach und nach ans „Mondlicht“ kommen.
Dem Programmheft lag ein Zettel bei, auf dem die Landesbühnen die Besucher darum bitten anzugeben, warum sie Theater mögen. Meine Antwort mache ich an dieser Stelle öffentlich: Ich mag Theater, weil sich dort Sprache von seiner vielfältigsten Seite zeigt. Langer Schlussbeifall im nicht ganz vollbesetzten Saal rundete einen unterhaltsamen Abend ab.
Bertram Kazmirowski
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Nächster Termin: 9. März, 19 Uhr, Stammhaus Radebeul