Eine Sendung von Niedersedlitz nach Niederlößnitz

Gesammelte Fliesen letztes Viertel 19. Jh. Foto: D. Lohse

Gedanken zu keramischen Fußbodenfliesen

Eine Anregung zu dem Thema und drei im Grundstück Käthe-Kollwitz-Straße 23 von Herrn K.- H. Rudolph gefundene Musterstücke standen am Anfang dieser Betrachtung. Er machte mich u.a. auf eine frühere wirtschaftliche Verbindung der Lößnitzorte hinsichtlich eines keramischen Produkts mit einem

Rückansicht einer der Fußbodenfliesen mit Firma Foto: D. Lohse

der Produktionsstandorte in Niedersedlitz aufmerksam. So bestand offenbar eine gut bediente Achse für Fußbodenfliesen Niedersedlitz – Niederlößnitz, ähnlich wie das bei Kachelöfen nach Meißen oder Sandsteinstücken in die Sächsische Schweiz war. O.g. Sendung wäre also nicht das, was ein Briefträger gebracht hätte, sondern ein größerer bestellter Posten Fliesen per Schiff, Fuhrwerk oder Eisenbahn. Ist es nicht so, dass man, wenn man ein Haus betritt, als erstes auf die Wände und die Decken der Räume schaut – ein Blick auf den Fußboden kann sich aber auch lohnen!
Die Fliesen von der Firma Otto Kauffmann, Niedersedlitz, damals noch nicht nach Dresden eingemeindet, wurden in breiter Palette angeboten, unterschiedlich in Maß, Oberfläche, Dekor und Farbe.

Villa in Niederlößnitz, sicherlich mit Fließen Foto: D. Lohse

Desweiteren gibt es Fliesen mit mehrschichtigem Aufbau, also z.B. einer gemusterten Verschleißschicht, Fliesen mit säurefester Oberfläche (für den Industriebau) oder rahmende und bildhafte Fliesen. Die seit 1871 bestehende Firma Otto Kauffmann war führend im Raum Dresden und bot gute Qualität, expandierte 1893 und so belieferte Paul Kauffmann 1926 u.a. Schlösser in Berlin, Dresden und Königsberg, Hochschulgebäude in Danzig und Dresden sowie U-Bahnhöfe in Berlin und Buenos Aires. Nach 1945 wurde der Privatbetrieb enteignet und produzierte dann unter dem Namen „VEB Platten- und Chemiewerk Niedersedlitz“ noch weiter bis zur Auflösung des Betriebs 1999. Die verschiedenen, mir übergebenen Fliesen sind Fundstücke aus einem ehemals verfüllten Brunnen im Grundstück Rudolph. Wie und wo sie verlegt waren ist nicht bekannt, man kann nur Vermutungen anstellen: die graue Fliese mit diagonalen Rillen könnte z.B. von einem Gehweg stammen, der kein Muster hatte aber eine Struktur zum Abfluss von Regenwasser, auch Frostsicherheit war erwünscht. Eine andere graue Fliese mit glatter Oberfläche und blauen Schwüngen war sicherlich in einem Flurraum verlegt gewesen, wo die blauen Schwünge einer Fliese im Raum mit weiteren verlegt ein flächiges, geometrisches Muster ergeben haben könnte.

Altkötzschenbroda Foto: D. Lohse

Herr Rudolph erzählte mir, dass er früher in einer großen Villa gewohnt hatte, wo wohl ebenfalls Niedersedlitzer Fliesen zu finden waren. Er erinnerte sich, dass im EG der Villa Ledenweg 39 mehrfarbige, bildhafte Fliesen in der Diele so verlegt waren, dass ein teppichartiges Bild entstand. Ob das heute noch so zu erkennen ist, wissen wir nicht.

Foto: D. Lohse

Es war ganz früher übrigens die Villa der damals berühmten Dresdner Opernsängerin Clara Hofmann-Salbach und ihrem Mann, dem Schauspieler Jean Hofmann. Sie wurde von Bernhard Große 1896 / 97 errichtet.

Hätte Große die Bodenfliesen nicht auf

Borstrasse Foto: D. Lohse

kürzerem Wege aus Kötzschenbroda von der Firma Lehmann bzw. Heynemann aus der Neuen Straße beziehen können? Wahrscheinlich wollte man die Fliesen der besten Qualität aus Niedersedlitz für diese Villa haben. Sicherlich wären in Ober- oder Niederlößnitz noch weitere Nachweise von Niedersedlitzer Fliesen möglich, wenn sie

Bernhard-Voß-Str. Foto: D. Lohse

nicht fest verlegt wären. Auf den Unterseiten der Fliesen könnte man vielleicht auch den Namen Otto Kauffmann / Niedersedlitz eingeprägt finden.
Auf ein anderes Beispiel sekundär verlegter, also nicht mehr am ursprünglichen Standort befindlicher Fliesen, stieß ich in einem Grundstück auf der Heinrich-Heine-Straße eher zufällig. Da war der Hof mit einer Sammlung von mehreren Dutzend verschiedenen Fliesen und Kleinpflaster phantasievoll geschmückt worden. Das war ein Bestand von Fliesen, die über die Jahre von Herbert Graedtke von Abbruchgrundstücken gesammelt und dann an seinem Wohnhaus zu einem großen Mosaik neu komponiert worden waren. Auch da könnten ein paar aus Niedersedlitz dabei sein – ich kann dazu den Schauspieler Herbert Graedtke leider nicht mehr befragen, denn er ist 2024 verstorben.
Ich füge am Schluss noch ein paar Bildbeispiele von in Radebeul in Mustern verlegten keramischen Fußbodenfliesen an – nur ein Bruchteil aller hier zu findenden Beispiele! Heute geht man in Radebeul oft noch über alte Fliesenböden, die einem mit einem raschen Blick vielleicht gefallen, wo sich aber die Hintergründe über Herkunft des Materials und den Anspruch eines früheren Bauherrn nicht sofort erschließen.
Dietrich Lohse

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