„Farben? Dann Oehme!“

Oder: Frieder Jesch und sein Ladengeschäft

Frieder Jesch, der Geschäftsinhaber von Farben Oehme, Foto Privatarchiv

„Farben? Dann Oehme!“ Drei Worte. Zwei Sonderzeichen. Werbung – knapp und effektiv.
Dem einen Ausrufezeichen würde ich gern noch weitere hinzufügen, gespeist aus eigener Erfahrung. Doch bald schon ist das Altvertraute Nostalgie. Das Unwort „Räumungsverkauf“ wandert (nicht nur) in Radebeul von Schaufenster zu Schaufenster. Diesmal betrifft es Farben Oehme (Moritzburger Straße 12). Vor noch nicht allzu langer Zeit waren es Haushalt- & Eisenwaren Lindner (Bahnhofstraße 4) und Rau Raumausstatter (Moritzburger Straße 2).
Nachdem ich also meinen ersten Schreckmoment überwunden hatte, regte sich in mir das Bedürfnis über Frieder Jesch, den Inhaber des Farbenfachgeschäftes, einen Beitrag zu schreiben. Zum Glück ließ er sich auch darauf ein, beantwortete bereitwillig meine Fragen. Allerdings mutet es schon ein wenig seltsam an, in einem Laden zu stehen, dessen Warenbestand unwiederbringlich schwindet und vor Ort schon bald nichts mehr daran erinnern wird.

Geschäftsanzeige in „Vorschau & Rückblick“, Mai 1990

Frieder Jesch kenne ich seit einem halben Jahrhundert. Unsere Lebenswege haben sich mehrfach gekreuzt. Zum ersten Mal zu Beginn der 1970er Jahre. Das war im Gasthof Somsdorf, wo sich das Betriebsferienlager der Handelsorganisation Dresden-Land (HO) befand. Von meinem Ausbildungsbetrieb, der HO, wurde ich dort als Betreuerin eingesetzt. In meiner Gruppe war der damals wohl um die zwölf Jahre alte Frieder Jesch – ein recht lebhaftes Kind.
Ab Mitte der 1980er Jahre sahen wir uns dann häufiger. Angela und Frieder Jesch kamen mal mit, mal ohne ihre Kinder in die „Kleine Galerie“ in Radebeul Ost, deren Leitung ich seit Juni 1984 innehatte. Kulturell interessiert, verpassten sie kaum eine der zahlreichen Ausstellungen und Veranstaltungen.
Als im Mai 1990 das erste kulturelle Monatsheft Vorschau & Rückblick erschien, gehörte Farben Oehme zu den Inserenten, welche die Publikation durch ihre Anzeigenwerbung finanziell unterstützten.
Doch wie kam es nun zum Namen Farben Oehme? Ein an Frieder Jesch gerichtetes Antwortschreiben vom 3.2.1989 aus dem Radebeuler Stadtarchiv mit dem Aktenzeichen Schl (Lieselotte Schließer) bringt uns des Rätsels Lösung näher. Übrigens stellte die Behörde damals für „2 Stunden Sucharbeit“ 6 Mark in Rechnung.

Farben Oehme nach 1990, Gebäude noch unsaniert, Foto: Privatarchiv

Bauakten belegen, dass das Gebäude auf der Moritzburger Straße 12 seit 1869 durch An- und Umbau von verschiedenen Besitzern mehrfach verändert wurde. Der Ladeneinbau erfolgte 1899. Ein Geschäft für Farben und Lacke ist allerdings erstmals seit August 1928 nachweisbar. Bereits am 29. November 1928 ist Max Oehme als Inhaber eingetragen. Dessen Witwe führte das Geschäft ab 1941 weiter. Von ihr übernahm es 1964 Rolf Jesch, ohne eine Namensänderung vorzunehmen. Das Sortiment umfasste neben Farben nun auch Drogerieartikel und Weihnachtsschmuck.
Rolf Jesch (1923 – 2016) war gelernter Drogist und leitete in Dresden eine Drogeriefiliale. Als sich die Gelegenheit bot, von der Witwe Oehme das Farbenfachgeschäft auf Kommissionsbasis in Radebeul zu übernehmen, gab es für ihn kein Zögern. Allerdings war die Geschäftsübernahme an eine Bedingung geknüpft. An der Gemse (Finstere Gasse 6) bewirtschaftete Frau Oehme ein kleines Pachtgrundstück, wo sie zusätzlich eine Art Betriebsverkauf eingerichtet hatte. Das etwas abgelegene Grundstück sollte nun ebenfalls mit übernommen werden. Also beides oder gar nichts! Später erfolgte die Nutzung durch Familie Jesch als Wochenendgrundstück. Heute befindet sich dort die von der Weinbaugemeinschaft Niederlößnitz betriebene Straußenwirtschaft „Zur Gemse“.

Betriebsausflug nach Bulgarien, Anfang 1980er Jahre Rolf Jesch (3.v.l.), Frieder Jesch (6.v.l.), Margot Jesch (8.v.l.) Foto: Privatarchiv

Rolf und Margot Jesch wohnten in Dresden Strehlen und fuhren (zunächst) mit der Straßenbahn ins Geschäft nach Radebeul. Ehefrau Margot Jesch (1925 – 2013) führte die umfangreiche Buchhaltung. Einen Großteil der Zeit beanspruchte das Schreiben von Rechnungen. Die Organisation des Wareneinkaufs wurde zur Herausforderung. Fast täglich waren Mitarbeiter im ganzen Land unterwegs, um Waren zu organisieren. Auch das Abfüllen von Verdünnungen und Anstrichstoffen sowie die individuelle fachkundige Beratung gehörten zu den speziellen Dienstleistungen von Farben Oehme. Mitunter waren bis zu acht Mitarbeiter beschäftigt.
Spätestens hier sollte noch einmal darauf eingegangen werden, was unter einem DDR-Kommissionshändler zu verstehen ist. Der politische Anstoß kam wohl durch Walter Ulbricht, der bereits Mitte der 1950er Jahre öffentliche Kritik an der Versorgung der Bevölkerung mit Waren und Dienstleistungen übte. Die Einführung des sogenannten Kommissionshandels sollte das zentrale Problem Mangelwirtschaft mildern. Private Einzelhändler schlossen Verträge mit dem volkseigenen Handelsbetrieb ab, der den Warenbestand finanzierte. Die Kommissionshändler erhielten für ihren Aufwand eine vertraglich vereinbarte Provision.
Damit wurde ein Anreiz zur verstärkten Eigeninitiative geschaffen. Allerdings gab es für den zu erzielenden Jahresumsatz Planvorgaben. Diese zu überbieten, machte in Zeiten der Mangelwirtschaft wenig Sinn. Und so manche Kapriole, die sich aus der sozialistischen Planwirtschaft ergab, entbehrte nicht der Ironie. Humor wurde zum Überlebenselixier. Ein Beitrag in der Satirezeitschrift Eulenspiegel von 1983 beschreibt den Irrsinn einer Bestellungsodyssee auf der Suche nach zuständigen Betrieben und Dienststellen zum Zwecke der Warenbeschaffung sehr anschaulich. Das Ganze gipfelte in dem Vorschlag, dass Rolf Jesch wohl dafür prädestiniert sei, gemeinsam mit dem Eulenspiegel ein Nachschlagewerk für „Unzuständigkeiten“ herauszugeben, welches große Chancen habe, ein Bestseller zu werden.
Was den Sinn für Humor und das Interesse am Handel anbelangt, waren sich Vater und Sohn nicht unähnlich. Die Geschäftsübergabe erfolgte innerfamiliär und gleitend.
Frieder Jesch wurde 1959 in Dresden geboren, wo er auch die Schule besuchte. Die Lehre als Fachverkäufer für Waren des täglichen Bedarfs (WtB) absolvierte er in der Handelsorganisation (HO) Dresden-Land. Seine Ausbildungsstätte war die Kaufhalle auf dem Rosa-Luxemburg-Platz. Frieder und Angela heirateten 1978. Im gleichen Jahr zog das junge Paar nach Radebeul, zunächst auf die Birkenstraße, später unters Dach im Haus der Konditorei Schiller, bis es mit nunmehr zwei Kindern nach Reichenberg ins eigene Grundstück wechselte.
Unmittelbar nach dem Wehrdienst begann Frieder Jesch ab 1980 im väterlichen Betrieb zu arbeiten. Die Übernahme des Kommissionswarengeschäftes erfolgte durch den Sohn 1984 und war eigentlich schon lange geplant.
Auf die Frage, was denn ein sogenannter Verkaufsschlager gewesen sei, kam prompt die Antwort: Purlack (Polyurethanlack)! Danach standen die Kunden Schlange. Doch der grandiose Farbanstrich sollte sich im Nachhinein als äußerst umweltunfreundlich herausstellen.
Vor allem die Zeitschrift „Guter Rat“, vermittelte den Lesern viele Tipps und Tricks wie man auf einfache Art sein Umfeld heimwerkelnd verschönen kann. Auch ich hatte mich davon infizieren lassen, wurde Dauergast in Jeschs Farbengeschäft und pinselte alle meine Möbel an, um sie wenig später wieder abzubeizen.
Wenngleich die Warenbeschaffung den Kommissionshändlern sehr viel Organisationstalent abforderte, war die Finanzierung des Warenbestandes durch die HO abgesichert. Nach deren Auflösung im Jahr 1990 mussten die Inhaber der nunmehr privaten Einzelhandelsgeschäfte den vorhandenen Warenbestand selbst abkaufen, was die Aufnahme von einem Kredit erforderte. Doch die Ost-Produkte waren kaum noch gefragt. Für den Ankauf eines neuen Warenbestandes benötigte man wiederum Geld, viel Geld.

Musikalischer Rundgang mit Schalmaienorchester durch Radebeul West zum Frühlingsspektakel 2015, Foto Sylvia Preißler

Werbung, Präsentation und Verkauf standen nun im Vordergrund. So beteiligte sich Frieder Jesch auch an einigen Gemeinschaftsaktionen der Händler. In guter Erinnerung ist mir eine Aktion zum „Frühlingsspektakel“ im Jahr 2015 geblieben. Bilder des Radebeuler Malers Klaus Liebscher mit Punkten, Streifen, Klecksen und Quadraten korrespondierten mit Farbbüchsen, Farbfächern und sonstigen Malutensilien. Und alles verschmolz zu einem herrlich intensiven Farbenrausch.
Rückblickend meint Frieder Jesch, dass der gesellschaftliche Umbruch mit sehr viel privater und geschäftlicher Unsicherheit verbunden war. Aber die neuen Herausforderungen eröffneten auch neue Möglichkeiten. Der klassische Einzelhandel wird, ähnlich wie die Telefonzellen, nach und nach verschwinden. Erhalten werden sich Dienstleistungen, Nischensortimente und regionalspezifische Angebote.
Viele Kunden bedauern die Schließung und bedankten sich sehr liebevoll für die schöne gemeinsame Zeit. Frieder Jesch selbst war 45 Jahre seines Berufslebens in diesem Geschäft tätig. Ein Abschnitt geht nun für ihn zu Ende. Die Entscheidung als Händler zu arbeiten, hat er nie bereut. Weitestgehend frei und selbstbestimmt arbeiten zu können, war ihm immer wichtig. Dass er nun viel mehr Zeit für seine privaten Interessen haben wird, darauf freut er sich schon sehr. Sportliche Aktivitäten wie Radfahren, Wassersport, Langlauf und Wandern gehörten schon immer dazu. Ein regelmäßiges Muss ist seit 1991das jährliche FolkFestival in Rudolstadt. Und vielleicht sehen wir uns dann auch wieder bei einigen der zahlreichen Ausstellungen und Veranstaltungen, die allmonatlich in Vorschau & Rückblick angekündigt werden. Denn das kulturelle Monatsheft liest er noch heute regelmäßig und, wie Frieder Jesch schmunzelnd meint, fast immer vollständig.

Karin (Gerhardt) Baum

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Ein Kommentar

  1. Kabede
    Veröffentlicht am Sa., 1. März. 2025 um 17:57 | Permanenter Link

    Liebe Frau Baum, mit Ihrem Beitrag zu Farben-Oehme haben Sie mir, wie vielen anderen auch, eine Freude gemacht. Der von Ihnen eingangs erwähnte Werbespruch war in unserer Familie über Jahrzehnte ein geflügeltes Wort, nämlich immer dann, wenn wir laut überlegten, in welchem Geschäft wir Maleruntensilien, Farben und Lacke kaufen sollten. Irgendwann sagte dann immer einer „Farben? Dann Oehme!“und die Sache war geklärt – obwohl sie ja gar keiner Klärung bedurfte…

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