30 Jahre „Fami“ in Radebeul – Chronik eines Aufbruchs (2. Teil)

Als Vereinsvorstand trugen wir ein hohes Risiko, da wir Personal beschäftigen, eine Ruine kauften und über eine Million Mark zum Ausbau brauchten. Das Risiko blieb bestehen, da auch noch ein Rückübertragungsanspruch geltend gemacht wurde, dem erst 1994 abgeholfen wurde. Mal war Elisabeth Kurth Vereinsvorsitzende, mal ich, fast alle im Vorstand hatten eigene Häuser. Wir brauchten Geld und schauten nach jeder Quelle. 1990 erhielten wir 5000 DM von der Aktion Familientag, später einen Beitrag von 1000 DM über die Stiftung Mitarbeit in Bonn. Dr. Jork spendete 800 DM für die Instandsetzung eines kommunalen Spielplatzes auf der Hermann-Illgen-Straße, worum wir uns kümmerten und was uns gute Öffentlichkeitsarbeit einbrachte. Die Kommune förderte uns mit 400 DM jährlich, das Arbeitsamt zahlte die ABM-Stellen, aber nicht vollständig, später bekamen wir vom Kreistag Mittel und vom Landesjugendamt Chemnitz, auch von der Robert-Bosch-Stiftung.

1990 vor dem unsanierten Haus: Anke-Maria Thiele, Elisabeth Kurth, Barbara Zehme, Kathrin Wallrabe (v.l.n.r.)
Bild: Archiv Fami


Ein Höhepunkt war die Förderung über die Karl-Kübel-Stiftung 1991. Dort erhielten wir den damals unfassbaren Betrag von 50 T DM. Wir fuhren gemeinsam zu Preisvergabe „in den Westen“, Barbara Plänitz hielt die Dankesrede. Außerdem spendete uns Prof. Fthenakis das Honorar von 4000 DM für seine Laudatio. Im Dezember 1991 hörten wir, dass wir auch die 15 T DM des paritätischen Wohlfahrtsverbandes für den Hauskauf ausgeben könnten, aber dies müsste bis zum 29.2.1992 erfolgt sein (siehe Protokoll 03.12.91). Wir arbeiteten seit November 1991 mit neun Halbtags-ABM-Stellen. Unterschiedlichste Projekte brauchten unterschiedliche Konzeptionen. Die hohe Arbeitslosigkeit von Frauen machte uns allen Sorgen. Der Zweck des Vereins wurde in mehreren Satzungsänderungen festgeschrieben, so war der Zweck im September 1991: „ … die Förderung und Unterstützung der Erziehung der Kinder in der Familie. Dazu wird ein Familiencafé mit Spielecke, Kinderbetreuung, Bibliothek, buntem Laden, Kommunikationsmöglichkeit eingerichtet. Es werden Vorträge, Kurse und Seminare organisiert.“ Im Dezember 1991 wurde „die Errichtung eines multifunktionalen Bildungs- und Informations – und Kommunikationszentrums zur Förderung der Erziehungsfähigkeit der Eltern“ festgeschrieben und um den politischen Auftrag „Der Verein möchte mehr Kinder-und Familienfreundlichkeit erreichen und generationsverbindend wirken“, ergänzt. „Lasst die Bürgerinitiativen nicht sterben!“, ein Aufruf vom 14.02.1991 von mir, stellte unsere Situation dar: „Besonders durch Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit, speziell bei jungen Frauen mit Kindern, spitzen sich die Probleme noch zu.“ Wir wollten selbstbestimmter und freier im Umgang mit Kindern und bei der Gestaltung unserer Lebensbiografien sein. Wir wollten der Isolation entgegenwirken, die das Leben mit kleinen Kindern zu Hause mitbrachte und wir wollten in all den Umbrüchen nicht vergessen werden, sondern uns einen Platz in der Stadt und in der Gesellschaft sichern. „Anerkennung fand unsere Arbeit bisher größtenteils in den alten Bundesländern.“ (14. 02.91).

Aber auch da gab es Missverständnisse und unterschiedliche Interpretationen. Die Lebensbiografien in Ost und West und die Vorstellungen über das Zusammenleben in der Familie prallten aufeinander. Mit Bedauern wurde auf den Osten geschaut, wo eine flächendeckende Kinderbetreuung bestand und die Frauen arbeiteten. Es wurde die Unfähigkeit der Frauen gesehen, sich zu Hause mit den eigenen Kindern zu beschäftigten. Das wollten wir auch verbessern, aber wir wollten später durchaus auch wieder in gut qualifizierten Stellen arbeiten. Beim Streit ums Geld und dem Appell an uns um mehr Ehrenamt hieß es aus „Westsicht“ seitens der Geldgeber: „Ihr Gatte arbeitet doch noch“, was bedeutete, dass wir keinen Anspruch auf bezahlte Arbeit hätten. Wir hörten von „Selbsterhebungsorgien ostdeutscher Frauen“, da wir mehr bezahlte Stellen forderten. Es war die Zeit, als die hohe Arbeitslosigkeit im Osten der „hohen Erwerbsneigung ostdeutscher Frauen“ (vgl. Zukunftsbericht Sachsen ) in die Schuhe geschoben wurde.

1992 machte Anke-Maria Thiele (Vereinsmitglied) mich auf die Studienmöglichkeiten an der neugegründeten Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit aufmerksam und wir konnten beide ab Herbst 1992 dort Sozialpädagogik studieren.

Während des Studiums tauschte ich wieder die Rollen von Projektleiterin auf ABM-Basis zum Vorstand. Mit Claudia Raum stellten wir eine Juristin als Geschäftsführerin ein. In diese Zeit fielen unsere Mühen der Bauplanung und Geldbeschaffung. Unzählige Baubesprechungen, Architektenwechsel und Diskussionen um Nutzungskonzepte im großen und kleinen Haus füllten unsere Abende. Streit blieb nicht aus.

1993 gelang es uns die Familieninitiative Radebeul e.V. als eines der Modellprojekte in den neuen Bundesländern zu platzieren, den Antrag dazu stellten wir am 22. Mai 1992. „Die Verbesserungen der Lebensbedingungen der Familien im Kreisgebiet, die Entwicklung von Eigeninitiative und Selbsthilfestrukturen der Familien und die Familienorientierung der Kommunalpolitik im Landkreis Dresden und darüber hinaus“ waren Begründungen im Antrag . „Es soll als ein neuartiges Instrument der Familienarbeit aufgebaut werden. Ein an den Bedürfnissen der Familien orientiertes multifunktionales Familienzentrum stellt einen neuen Typus der Familienarbeit in den neuen Bundesländern dar.“ (Antrag vom 22.05.1992) An Förderlyrik hatten wir schon mächtig dazu gelernt. Mit der Bewilligung gab es 3½ Jahre weniger Geldsorgen. Der Zeitraum wurde mit einer Vorlaufphase für die Rekonstruktion des Gebäudes von 6-9 Monaten 1992/93 und einer Modellphase von 3 Jahren vom 01.01.1993-31.12.1995 eingeplant. Am 18. Mai 1993 reichten wir den Bauantrag ein.

Zum Richtfest am 4. Mai 1994, Architekt Tilo Kempe mit Bauherrinnen
Bilder: Archiv Fami


Mit der Stadt Radebeul schlossen wir den „Vertrag über die Durchführung von Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen“. Verantwortlich für das Sanierungsgebiet Altkötzschenbroda war die Kommunalentwicklung Baden-Württemberg GmbH, Stuttgart, Ansprechpartner war Herr Kiens.

Der Vertrag sicherte uns einen Zuschuss für unsere Baumaßnahmen von 74% zu. „Die Maßnahmen sind baldmöglichst zu beginnen und bis zum 31.12.1994 fertigzustellen.“ (§ 3/Abs.1), „Der endgültige Zuschuss wird nach Abschluss der Maßnahme festgelegt.“ (§4, (2)).

Wir könnten Eigenleistungen erbringen, diese würden mit 15 DM pro Stunde beziffert, die Auszahlung erfolgte erst auf Nachweis der bezahlten Rechnungen.

Da war es wieder, das Risiko auf unserer Seite. Unerwartete Abbrucharbeiten und Asbestentsorgung kamen dazu. Zum ersten Spatenstich luden wir am 25. September 1993. „Ich kann Ihnen versichern, wir waren zäh, wir waren penetrant, unbequem, wir haben uns nicht abweisen lassen. Und wir haben es geschafft! … Jahrelang haben wir uns auf diesen Tag gefreut …“, so Elisabeth Kurt bei der Eröffnungsrede. Es folgten Arbeitseinsätze mit Frauen, Männern, Kindern und Großeltern. Zum Beispiel wunderten wir uns über das unverfüllbare Loch am Ende unseres Grundstückes, bis wir herausfanden, dass dies ein wunderbares Tonnengewölbe war. Was uns wieder vor neue Überlegungen stellte. Wie bauen? Wie nutzen? Später zogen die Jugendlichen vom „Noteingang“ dort ein.

Über ein Projekt mit Wohnungslosen, welches ich im Rahmen eines Praktikums in der Kümmelschänke e.V. mit meinem Kommilitonen Friedemann Dietzel absolvierte, kamen wir auf die Idee des Lehmbaus. In einer nächtlichen Sitzung mit unserem Architekten Tilo Kempe entschlossen wir uns, dies dem Verein vorzuschlagen.

Lehmbau war ein traditionelles Verfahren, was viel Eigenleistungen ermöglichte, einfach zu bewerkstelligen war und ohnehin in alten Fachwerkhäusern angewandt wurde. Außerdem war das Baumaterial unschlagbar günstig: Lehm, Sand, Stroh und Kuhmist. Dazu ein altes Bäckermischwerk und viele Hände, die mitmachten.

Mit Tilo Kempe hatten wir einen Architekten, der viel Sinn für Denkmalpflege hatte und bereit für Experimente war. Das Große Haus konnte in traditioneller Lehmbauweise mit Vereinsmitgliedern, der Jugendwerkstatt Gorbitz und wohnungslosen Menschen gebaut werden. Als die Jugendlichen den Kuhmist sahen, den wir beim Bauern Klinger mit der Schubkarre holten, wollten sie den Lehm nur noch mit Handschuhen anfassen. Für Spezialarbeiten hatten wir natürlich Handwerker und Baufachleute, in Zusammenarbeit mit der Baufirma von Ines Schulze. Nach zwei Jahren Sanierung konnten wir am 17.09.1994 in das Haupthaus einziehen, neben den Förderungen machten über 4000 Stunden Eigenleistungen den Bau möglich. 1995 bauten wir das Gewölbe aus. Für das kleine Haus (Auszugshaus) hatten wir keine Fördermöglichkeiten, es gab Diskussionen und eine Abstimmung darüber, ob wir es als Verein wieder verkaufen sollten. Schließlich setzte sich die Idee von Friedemann Dietzel und mir durch, dies im Rahmen eines Vorprojektes für das Projekt „Lehmbau als Integrationshilfe für Wohnen und Arbeiten“ der Stadtmission Dresden e.V. zu planen. Das große Projekt wurde nie verwirklicht, aber das Auszugshaus wurde unter der Leitung von Friedemann Dietzel mit einer Gruppe von Aussiedlern aus der früheren Sowjetunion errichtet, die in einem Übergangswohnheim in Radebeul wohnten und einen geförderten Arbeitsvertrag hatten. Auch das war nicht reibungslos, es gab Diskussionen ums Geld, um „Sto Gramm – einer kleinen Ration Wodkas“ während der Arbeit und um Arbeitszeiten. Ich besuchte manchen Mitarbeiter im Wohnheim und überredete ihn zur Arbeit. Beim kleinen Haus wurde ein moderner Lehmbau angewandt. Für den Bau (mit Dach, Fenstern und Treppen) standen 200 T DM zur Verfügung. Berge von Sägespänen und Lehm lagen auf dem Bürgersteig in Altkötzschenbroda, als später noch die Schilfmatten zur Dämmung geliefert wurden, fragten sich Passanten ob wir „einen afrikanischen Sündentempel“ errichten wollten.

1997 war auch dieses Haus fertig und am 12.12. konnten wir gleichzeitig mit dem Abschluss des Bundesmodellprojektes die Wiedereröffnung des Auszugshauses und damit den Abschluss unserer Bauarbeiten feiern.

Kathrin Wallrabe

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Korrektur: In unserem 1. Teil des obenstehenden Beitrages hatte sich leider ein redaktioneller Fehler eingeschlichen. Autorin ist auch dort Kathrin Wallrabe, nicht Barbara Plänitz.

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