75 Jahre Henschel-Verlag

Der nachfolgende Text war ursprünglich für die Nummer 12/2020 vorgesehen, da der Henschelverlag in dem Jahr sein 75-jähriges Bestehen begangen hatte. Leider konnte der Beitrag wegen eines Überangebotes an Texten nicht veröffentlicht werden, so dass dies nun im Januarheft 2021 nachgeholt wurde. Die Redaktion

Die Geschichte des vom Dreher Bruno Henschel 1945 gegründeten „Bühnenvertrieb Henschel & Sohn“ kannten sicher nur wenige begeisterte Theatergänger in der DDR. Der spätere HENSCHELVERLAG, Kunst und Gesellschaft in Berlin (1952–1990) hat die Verlagsphilosophie von Bruno Henschel, Kunst für alle und nicht nur für die Elite, weiter verfolgt. In den 1950er Jahren schenkte Henschel den Verlag „seiner Partei“, der SED. Erstaunlich für die damalige Zeit, dass der Verlag dennoch den Namen seines Gründers behalten durfte.

Die Gestaltung des 2. Bandes der »Geschichte
des Films« besorgte Klaus Nicolai. Die Drucklegung erfolgte bei Sachsendruck Plauen 1976 Archiv Baum

Der Henschel-Verlag war zu DDR-Zeiten ein vielseitige Verlagsanstalt mit einem breiten Angebot von Zeitschriften, Fachliteratur bis hin zu Kunstbänden und natürlich von Textbüchern. Die konnte man über henschel-SCHAUSPIEL beziehen und kostenlos zur Ansicht bekommen. Den Verlag nutzten alle professionellen Theaterhäuser wie auch die Amateurtheater. Ein spezielles Stückangebot für das nichtprofessionelle Theater gab es nicht, wenn man mal von der kurzen Episode 1961 bis 1965 absieht.
Wie alle Verlage hatte auch Henschel immer mal wieder mit „staatlichen Einwänden“ bei der Herausgabe von Texten zu kämpfen. Bei Werken zum Laienpiel war dies eher ungewöhnlich. Dennoch zog der Verlag 1961 die Veröffentlichung des fast fertig gestellten Buches Studenten spielen von der FDJ-Studentenbühne der Hochschule für Ökonomie Berlin-Karlshorst zurück. Der Band sollte die Inszenierungen von Heiner Müllers Lohndrücker und Die Korrektur durch das Studententheater dokumentieren. Die Premiere löste allerdings einen republikweiten Skandal aus, der die Absetzung und das Verbot des Stückes, 32 von der SED verhängte Parteistrafen, die Ablösung des Leiters der Gruppe B.K. Tagelehn und dessen Versetzung in die Produktion sowie ein Berufsverbot für den Autor nach sich zogen. Die darauf einsetzende Selbstzensur des Verlages legte fest, dass „die vorliegende Arbeit auf keinen Fall“ veröffentlicht werden kann.
Die Wellenbewegung der Kulturpolitik in der DDR wirkte sich eben auch auf den Verlag aus. Trotz der Ereignisse um die Studenteninszenierung an der Hochschule für Ökonomie, bezogen die Amateurtheater auch weiterhin über den Verlag ihre Stücktexte. Dazu trug vermutlich auch das Wettbewerbssystem der Gewerkschaft bei, mit den Leistungsvergleichen auf allen administrativen Ebenen. Aber auch die Theatergruppen waren an guten Stückvorlagen interessiert.

»AMOK« ist das dritte Stück in der Folge »Trilogie der Erinnerung« von Christian Martin und entstand
zwischen 1987 und 1989. Bei Henschel wurde es 1990 verlegt. Es behandelt das Endstadium
der DDR die »Sehnsucht junger Menschen nach Offenheit und Wärme«, die umschlägt in »selbstzerstörerischen Haß« Archiv Baum

Der 1986 von henschel-SCHAUSPIEL herausgegebene Schauspiel-Katalog enthielt über 1.700 Titel von mehr als 600 Autoren. Darunter das Gegenwartsjugendstück Ich komme, Philadelphia von Brian Friel und das aus dem DDR-Alltag entstandene, gern gespielte, Jochen Schanotta von Georg Seidel wie auch das beliebte Märchen Die kleine Hexe, die nicht böse sein konnte von Maria Clara Machado, welches allein in den sächsischen Bezirken mindestens 15 mal inszeniert wurde. Natürlich fehlten die meisten aktuellen Dramatiker der westlichen Welt, teils auch wegen Mangel an Devisen. Aber Schriftsteller Heiner Müller, der Popstar der 1980er, war genauso für Amateure zugängig wie die Werke des Iren Sean O’Casey oder des Österreichers Jura Soyfer. In der Hauptsache aber wurden von den Amateurbühnen Autoren aus den sozialistischen Ländern und der DDR gespielt. Alle Werke waren bei Henschel ohne Probleme zu erhalten.
Bereits 1952 kam auch der Deutsche Filmverlag zum Henschelverlag, der dann 1972 das erste Buch der fünfbändigen Ausgabe der Geschichte des Films herausbrachte. Das ungeheuer faktenreiche Werk erzählt die Filmgeschichte von 1895 bis 1953. Verfasst wurde sie vom polnischen Filmhistoriker Jerzy Toeplitz, der unter anderem von 1957 bis 1968 Rektor der polnischen Filmhochschule in ?ód? war. Bemerkenswert ist die Verlegung des Werkes durch den Henschelverlag auch deswegen, weil Toeplitz zum Zeitpunkt der Herausgabe des ersten Bandes bereits in Australien weilte. Toeplitz hatte Polen verlassen, weil er im Zusammenhang mit den Studentenunruhen in der Volksrepublik 1968 von der Filmhochschule ?ód? entlassen wurde. Das Originalwerk der Filmgeschichte umfasst sechs Bände. Die Henschel-Ausgabe wurde in fünf Bänden zusammengefasst, welche für die Ausgabe eine Überarbeitung erfuhr.
Der Henschelverlag hatte mit den drei Bereichen Theatervertrieb, Buchverlag und Zeitschriften eine unangefochtene Monopolstellung in der DDR. Die ca. 120 Angestellten brachten im Jahr etwa 75 Bücher heraus, darunter viele Erstausgaben. Wegen seiner vielfältigen Angebote auf den Gebieten Musik, Film, Theater und bildender Kunst waren die Erzeugnisse von Henschel auch im Ausland sehr gefragt. Etwa ein Viertel der gewinnbringend Produktion in den 1980er Jahren war dafür bestimmt.
Nach 1989 stand der Henschel-Verlag auf der Kippe. Es schaltete sich die Treuhand ein und der Verlag ging für eine symbolische Mark über den Tisch, hatte mehrere Besitzer, wurde auseinandergerissen und schließlich durch die Initiative mehrerer Autoren unter Wolfgang Schuch als GmbH neu gegründet. Heute vertritt der Henschel Schauspiel Theaterverlag 900 Autoren mit mehr als 2.000 Werken. Neben der dramatischen Weltliteratur kann man besonders anspruchsvolle Märchenbearbeitungen und Theaterstücke für Kinder und Jugendliche beziehen. Neben Textbüchern hat der Verlag auch die Edition Stücke. Henschel-SCHAUSPIEL aufgelegt. Heute existieren Teile des ehemaligen Henschelverlages als Gruppe Seemann Henschel GmbH & Co. KG mit Sitz in Leipzig im Verlag von Michael Kölmel weiter.

Karl Uwe Baum

 

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Ein Kommentar

  1. Springer Heinrich
    Veröffentlicht am Do, 30. Dez. 2021 um 15:02 | Permanenter Link

    Artikel hat mir gefallen. War alles neu für mich.
    Schön, dass der Verlag anscheinend die Wendewirren einigermaßen gut überstanden hat. Sehr wertvoll !

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