Radebeuler Miniaturen

Vier Blätter eines Glückssommers

Ulrike im Grünen: Das Jahr, das den Regen wiederentdeckt hat, prangt in grüner Üppigkeit und Ulrike steht mitten drin. Ich hab eins, ruft sie plötzlich, hier sieh: ein Kleeblatt mit vieren! Dann pflücks, sag ich, und stecks in dein Tagebuch zur Erinnerung an einen Glückstag.
Erst sehen, obs einer wird, lacht Ulrike. Du weißt doch, niemand soll den Tag vor seinem Ende glücklich schätzen… Nee, ich laß es stehen und erst, wenn es morgen noch da ist, werd ich es ernten.
Ich weiß ja nicht, lache ich zurück, ob du einen einzelnen Kleestängel „ernten“ kannst – ja, wenns die Wiese wäre, wollte ich nichts sagen, wenn du hergingest mit der Sense und dann mit dem Rechen unter der Sonne alles trocknest…
Herr Oberschlau nimmt wieder alles wörtlich. Ulrike blickt plötzlich sehr ernst. Früher hattest du mal Humor.
Na, na, Frau Leberwurst, zwinkere ich, früher hatte ich auch keinen Bauch und du hattest glänzende Augen, wenn du so im Klee standst. Denk aber dran: wenn die Elfen kommen und der Faun zum Tanz aufspielt, findest du morgen, wie weiland die Ziege kein einzigs Blättelein mehr an seinem Platz.
Den Vergleich mit der Ziege, wendet Ulrike leise ein, höre ich, wie du dir vorstellen kannst, nicht gerade gern – obwohl ich mich andererseits als Ziege auf dieser Wiese noch wohler fühlen könnte, als so schon: Endlich satt zu essen!
Danke für den Hinweis, sage ich mit Blick zur Uhr, ich geh gleich rein und mach uns was, aber fünf Minuten hab ich noch. Motivationsfördernd schwebt sie an meinen Hals.

Wie vorhergesehen, kommen mit der Dämmerung eine nach der anderen, die Elfen: Eva, Andrea, Elvira, Simone, Susanna …wer zählt die Völker, nennt die Namen … und schließlich mit Mütze und Quetschkommode ein Faun namens Gerd oder so, die beide voller Töne stecken. Sogar der Mond ist pünktlich.
Dann dreht er auf.
Er beginnt mit einem Walzer und spielt dann über Musette in die Schlagerwelt hinein alles, was Beine in Bewegung bringt.
Dann drehen sie auf.
Sie drehen vor allem sich selbst. Am lebhaftesten dreht sich Ulrike mit erhobenen Armen und wehendem Rock im Kreise im Kreise. Und in Kreisen legt sich das Gras unter ihre Füße. Im Märchen heißt es, Elfen schweben. Ich glaube, die Wiese wünscht sich in diesem Moment nichts sehnlicher, als daß Märchen in Erfüllung gehen. Und tatsächlich ist es, als schwebten sie, denn kaum berühren die Zehen zwischen zwei kreisenden Sprüngen den Boden.
Noch am Morgen sind die Runden zu sehen am Bild der Gräser, die sich gelegt hatten im Rhythmus der Füße. Mitten zwischen ihnen steht Ulrike und jubelt: hier sieh: mein Klee, vier Blätter – aufrecht steht er und ist eben dabei, sich zu entfalten – gut daß ich ihn stehen ließ. Es war doch ein schöner Tag, sagt sie so sanft sie es vermag.
Der Rest ist Schweigen.
Thomas Gerlach

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