Worte von Dr. Ingrid Koch zur Vernissage am 4. August 2024
Köpfe, die ausdrucksstarken, archetypischen Zeichen gleichkommen, stehen mir vor Augen, wenn der Name Bärbel Kuntsche fällt. Große, eindrucksvolle Augen, die das meist auf einem langen Hals sitzende Gesicht dominieren, ihm Ausdruck verleihen. Ebenso ein eindrucksvoller Mund. Gefühle, Befindlichkeiten, Affekte sind ahnbar. Groß ins Bild gebrachte Hände unterstreichen die Aussage des Gesichts, wirken teils wie ein Schutzschild oder abwehrend, unterstreichen aber auch mögliche Sanftheit. Melancholie und Besinnlichkeit scheinen die Köpfe, die manchmal auch angedeutete Porträts/Selbstporträts sind, wesentlich zu prägen.
Äußere Ähnlichkeit ist nicht vordergründig. Mögliche Erkennbarkeit resultiert vorrangig aus der mit künstlerischen Mitteln erzeugten psychischen Aura. Vor allem aber geht es um den Menschen jenseits aller Zeitläufte – dargestellt als Kopf, meist einzeln, höchstens in einer »Begegnung« zu zweit. Sie sind gemalt, in Holz geschnitten oder auch als Offsetlithographie ins Bild gebracht. Ihr Grundgestus ist expressiv, aber nicht in einem explosiven Sinn, wie man es etwa von den »Brücke«-Leuten kennt – eher vielleicht von Vertretern des »Blauen Reiter« inspiriert. Das Expressive verbindet sich mit In-sich-Gekehrtheit und Reflexivität. Sehr zutreffend scheint mir eine einst von Gert Clausnitzer getroffene Feststellung für diese Köpfe wie für das bildnerische Schaffen von Bärbel Kuntsche überhaupt, der meinte: „Gegenwärtiges scheint aufgehoben oder in eine andere Sphäre getragen.“ […]
Fragt man nach Bezügen im Schaffen der Künstlerin, kann man durchaus bis in ihre Jugend zurückgehen. Fast zehn Jahre hat sie mit einer Porzellanmalerlehre und der Tätigkeit in diesem Beruf verbracht. Da erscheinen die lyrischen »Flora«-Bilder der jüngeren Zeit gar nicht weit hergeholt. Man denke nur an die auf dem Bildgrund verstreuten Tulpenblüten. Blüten malen gehörte ganz sicher dazumal zur Ausbildung. Abgesehen davon hat vielleicht auch dieses oder jenes Bild in den Alten Meistern dazu angeregt – von Poussins »Reich der Flora« bis zu niederländischen Blumenstillleben. Auf ihre Art beschwören sie alle die Schönheit und das Leben. Auch ein Stillleben kann für Fragen nach dem Weltganzen, nach Werden und Vergehen stehen.
Bärbel Kuntsche hat von 1962 bis 1966 an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden studiert. Der Geist der »großen Alten« war da durchaus noch spürbar: seien es Dix, Lachnit, Hans-Theo Richter oder Schwimmer, wenngleich der Lehrkörper mittlerweile im Wesentlichen aus den Nachfolgern bestand. Zugleich hielt dieser Geist sich zwischen Loschwitz und Radebeul: Man denke nur an zwei Namen: Jüchser und Rosenhauer. Sie und viele mehr rangen um Farbe und Form, um das Bild als Bild, setzten sich ab von Bestrebungen, die Kunst mit außerkünstlerischen Anliegen zu überfrachten. Die offizielle Kunst- und Kulturpolitik sah dies freilich anders, was sich natürlich auch an der HfBK niederschlug. Der Kalte Krieg war dazumal heftig. Und nach dem Mauerbau war die große internationale Kunst der Klassischen Moderne, aber auch der Gegenwart, weitgehend nur über Bücher zugänglich, der Weg zu großen Ausstellungen in Westberlin und darüber hinaus lange Zeit versperrt. Die Künstler waren auf sich, was die entstehenden Freundeskreise einschließt, ihre Lehrer und Bücher zurückgeworfen.
Davon war nicht zuletzt das Ringen um die eigene Handschrift beeinflusst. Es verwundert nicht, dass junge Künstler wie Bärbel Kuntsche – gerade in Dresden – auf die „Brücke“ stießen, ihren Formenkanon, der natürlich unterschiedlich reflektiert wurde. Aber auch Künstlerinnen wie Paula Modersohn-Becker und Gabriele Münter interessieren sie, ebenso der Kurzzeit-Dresdner Oskar Kokoschka. Vieles vermittelte sich natürlich auch über die Freundeskreise unter Kollegen, zu denen im Falle Bärbel Kuntsches die Wittigs, Claus Weidensdorfer, Peter Kaiser, die Leifers und auch Max Uhlig gehörten – alle Künstler, die einen eigenen Weg gingen – jenseits einer ideologischen Überfrachtung der Kunst. Wie andere fand auch Bärbel Kuntsche ihre Themen im Menschen und der Natur respektive Landschaft – nicht um sie eins zu eins abzubilden, sondern ein Weltgefühl auszudrücken, wie es etwa in den poetischen Strandbildern zum Ausdruck kommt. […]
Bärbel Kuntsches Ausstellung in der Hoflößnitz ist sowohl der Malerei als auch der Grafik gewidmet. Erstere zeigt sich als diverse Ölmischtechniken, die durch mal stärkeren, mal eher lasierenden Farbauftrag geprägt sind. Was die Farben anbelangt, so sind sie oft eher gedämpft und fein abgestimmt. Zugleich zeigen manche Bilder, seien es Stillleben oder auch die als »Flora« dargestellten Frauen, durchaus leuchtende Partien. Zeigt sich in der Malerei ein, allerdings gedämpfter, expressiver Zug, so ist dieser in der Graphik recht kraftvoll präsent. Besonders das häufige Schwarz-Weiß der Holzschnitte, aber auch der Offsetlithos unterstreicht diesen noch. Als junge Künstlerin hat Jüchser sie darin bestärkt. Den Betrachter der hier gezeigten Blätter beeindruckt das Kraftvolle, nicht zu Kleinteilige, das die Maserung des Holzes entsprechend zur Wirkung bringt. Teils können die Schnitte regelrecht dramatische Wirkungen erzielen – sei es in Form sich zusammenballender Wolken, sei es in Form stürmischer Wellen, während ein Akt mit dem Sandstrand eins zu werden scheint.
Meine früheste Begegnung mit Arbeiten Bärbel Kuntsches war in den 1990er Jahren im Leonhardi-Museum, vor nahezu 30 Jahren. Und etwa aus dieser Zeit stammen auch die frühesten Blätter dieser Ausstellung zum 85. Geburtstag der Künstlerin. Die meisten der rund 50 gezeigten Arbeiten entstanden nach 2000, darunter auch die Plakate für die Radebeuler Kaspariade. Dass Bärbel Kuntsche 2005 mit dem Radebeuler Kunstpreis ausgezeichnet wurde, soll abschließend nicht unerwähnt bleiben. Ich wünsche Ihnen nun viel Freude mit dieser Ausstellung, die bis zum 15. September zu sehen sein wird.
Ingrid Koch