Geschichten aus der Kindheit – (Teil 2/12)
Der September
Wenn es das Wetter einigermaßen zuließ, spielten wir draußen. Der Hof war meist voller Kinder. Die Erwachsenen hatten damals noch bessere Nerven, denn Lärm ergab sich bei Haschen und Versteckspielen von selbst. Wenn es regnete, spielten wir bei Vater Heyl im Gewächshaus. Er gab uns ausrangierte Pflanzen, die wir eintopften und damit „Verkaufen“ spielten. Je nach Wetterlage wurde entweder bei Heyls an der Laube oder bei uns auf dem Garagenboden geschaukelt. Dabei bewiesen wir viel Ausdauer.
Als wir einmal bei uns im Gemüsegarten spielten, stützte ich mich auf eine Glasscheibe des Frühbeetes und brach mit dem rechten Arm ein, den ich mir bis zum kleinen Finger aufschlitzte. Wolfgang – er stand mir trotz gelegentlicher Keilerei getreulich zur Seite – brachte mich schreiendes Etwas schnell in die Küche zur ersten Hilfe. Wieder schnelle Fahrt mit Vaterns Opel zur Kinderärztin. Frau Dr. Hartung klammerte die Wunde und trotz Schokoladenplätzchen wurde ich noch immer schluchzend von Muttel in die Hängematte gelegt. Nur kurz danach setzte ich mich auf, ließ die Beine aus der Hängematte baumeln und versuchte, im Sitzen zu schaukeln. Natürlich flog ich mit nur einem aktiven Arm prompt aus der Hängematte. Erneutes Gebrüll, aber diesmal setzte es von der genervten Muttel eins hintendrauf.
Unser „Weißes Roß“ hatte damals noch drei Böden. Der Hausboden begann von der Stirnseite des Vorderhauses und endete über dem Seitengebäude, wo er am erhöhten Saalanbau in den Heuboden überging, der seinerseits wieder über Eck an den Garagenboden grenzte. Vom Hausboden konnte man mittels einer kleinen Leiter in den Heuboden gelangen, zum Garagenboden gab es keinen Durchgang. Auf dem Hausboden wurden viele Dinge abgestellt, die nicht mehr benötigt wurden und dort stöberten wir nur zu gern herum. Der Heuboden war vom Hof aus auf einer sehr schmalen Holzstiege zu erreichen und hatte eine abgeschlagene Kammer, wo Omas Erzählungen nach in früheren Zeiten der Pferdeknecht geschlafen haben soll. Jetzt wurde das Heu vom Grasgarten drin gestapelt und wir hüpften gern darin herum. Nur Oma durfte davon nichts wissen, weil wir das lockere Heu dabei zusammendrückten.
Auf dem Garagenboden befand sich abgesondert der Taubenschlag. Seit der Marder mal sämtliche Tauben ins Jenseits beförderte, wurde die Taubenhaltung aufgegeben. Im nun leeren Taubenschlag wurde Schule gespielt. Auf Blechbüchsen aus der Gaststättenküche wurden Bretter gelegt als Schulbänke, an der Wand hing eine alte Karte des Königreiches Sachsen. Schmidts Ursel, eine Nichte von Tante Paula, war etwas älter als wir und gängelte uns immer als Lehrerin. Sie wurde später auch eine.
Wir hatten unbegrenzte Möglichkeiten zum Spielen und an Spielgefährten hat es uns nie gemangelt. Bei schönem Wetter wurde auf den Stufen zum Heuboden Schule abgehalten, die dabei unentbehrliche Landkarte wurde an die Garagentür gehangen.
Mehr fällt mir zum September nicht ein.
Christa Stenzel
Nachtrag des Herausgebers
Die Verfasserin, meine Mutter, verstarb am 3. Mai dieses Jahres. Diese Erinnerungen erscheinen demzufolge posthum und stellen dank des Kollektives der „Vorschau“ eine Reminiszenz an ein langes Radebeuler Leben dar.
Inge und Erich Heyl besaßen die kleine Gärtnerei an der Stelle neben dem „Weißen Roß“, wo heute die Firma Gommlich den großen Parkplatz hat.
Tante Paula ist Frau Paula Bischoff, die spätere Alleinbesitzerin der Firma Taxi-Bischoff, die im „Weißen Roß“ ihren Sitz hatte.
Und zum guten Schluss hat in der letzten Ausgabe der Druckfehlerteufel zugeschlagen. Unter der Bildunterschrift muss es „Botenfuhrwerk“ heißen.
Sämtlich Bilder sind meinem Archiv entnommen und dürfen durchaus weiterverwendet werden.
Christian Grün
Ein Kommentar
Wieder ein schöner Beitrag, danke! Der Zeitraum, welcher hier beschrieben wird liegt zwar vor meiner Zeit und trotzdem weckt er erneut eine Erinnerung!
Stichwort Fa. Taxi- Bischoff:
Meine Mutter arbeitet in Radebeul West im Büro der Heilpraktiker und wenn der Chef 1 x in der Woche da war und es spät wurde, fuhr er, besonders in der dunklen Jahreszeit oft mit der Taxi nach Dresden nach Hause.
Da wurde oft bei Bischoff angerufen und meistens kam einige Zeit später auch der Wagen. Ich kann mich an ein großes, schwarzes und kastenförmiges Auto mit Gasflasche(!) am Heck erinnern.
Meines Wissens gab es in Radebeul 2 Taxiunternehmen. Bischoff und Pietzsch. Auch bei Pietzsch wurde angerufen, wenn es bei Bischoff nicht klappte.
Ich beziehe mich auf die Zeit ca. 1955 bis 1965!
Freue mich schon auf den nächsten Beitrag!