Das »Churfürstliche Weinbergfest« vom 3. bis 6. Oktober hat in diesem Jahr einmal mehr tausende Besucher begeistert, und ein Grund für den besonders großen Andrang am Sonntag war zweifellos der mit 150 kostümierten Teilnehmern (gar nicht so) kleine Winzerzug vom Hörningplatz zur Hoflößnitz, dessen Strecke von einem dichten Spalier schaulustiger Weinfreunde gesäumt war. Im Jubiläumsjahr durfte eine solche Parade nicht fehlen, denn fast auf den Tag genau 100 Jahre vorher, wir hatten es in Teil 7 erwähnt, war, organisiert durch den Vorstand des jungen Museums, der erste große neuzeitliche Winzerzug durch die Straßen der Lößnitz marschiert, beim damals ebenfalls von 3. bis 6. Oktober veranstalteten Winzerfest der Lößnitz 1924, dem hier ein kleiner Exkurs gewidmet sei. Die ›Dresdner Neuesten Nachrichten‹ nannten es tags darauf
»Ein Fest der Hunderttausend«
Wie der edel gestalteten Festschrift zu entnehmen ist, ging die erste Initiative dazu von Ewald Bilz, Mitinhaber des Bilzsanatoriums, aus, den an einem schönen Maienmorgen 1924 beim Rundblick vom anstaltseigenen »Mäuseturm« folgende Vision anwandelte: »Wie Nizza seinen alljährlichen berühmten Karneval hat, zu welchem aus aller Welt die Besucher herbeiströmen, so wird auch unsere Lößnitz in Zukunft ein alljährlich wiederkehrendes großes Heimatfest feiern, in dem die prunkvollen Winzerfeste zur Zeit August des Starken ihre Wiederauferstehung erfahren sollen.« Am 22. Juli trug Bilz die Idee im Oberlößnitzer Kurausschuss vor, der beschloss, »der Lößnitz ein altes sinniges, durchaus bodenständiges Volksfest wiederzugeben, in dessen Mittelpunkt das Heimathaus Hoflößnitz stehen sollte«. Die künstlerische Leitung wurde Museumsvorstand Dr.-Ing. Alfred Tischer übertragen. Die erste Vorbesprechung, zu der alle Vereine der Gegend eingeladen waren, fand am 1. August in der »Goldenen Weintraube« statt. Dr. Tischers Appell, dass gerade der Ernst der von politischer und wirtschaftlicher Not geprägten Zeit erfordere »darüber nachzudenken, mit welchen Mitteln es möglich ist, der Volksseele einige Tage der Erfrischung und Erbauung in dem trüben Grau des Alltags zu bieten«, fand dort breiten Anklang. Gut 60 Vereine erklärten sich zur Mitwirkung bereit, und die Übersicht der für die Festvorbereitung gebildeten Ausschüsse liest sich wie das Who-is-Who der Lößnitz.
Dass wir uns heute noch ein lebendiges Bild vom Höhepunkt des Festes, dem Winzerzug am 5. Oktober von der Hoflößnitz über Radebeul nach Kötzschenbroda, machen können, liegt daran, dass die Organisatoren die »Heimatfilm-Gesellschaft Dresden« ins Boot holten, um das Ereignis mit dem »Zaubermittel« der Kinematographie zu verewigen. 2015 hat das Stadtarchiv Radebeul dieses Zeitdokument mit einer von Manfred Kugler gestalteten musikalischen Tonspur auf DVD herausgegeben (»Winzerfest der Lössnitz [!], ca. 40 min). Es zeigt, was der DNN-Reporter so schildert:
»Was alte Bilder nur zeigen konnten, was Phantasie des einzelnen sich ausgedacht, das zog mit zahllosen Wagen, Reitern, zu Fuß und in jeder Kostümierung vorüber. Winzer in alten Trachten. Musikkapellen in Uniformen vor 80 Jahren. Ein prächtiger Festwagen des Herbstes, Allegorie aus dem Barock, mit allen Genien und Geistern, die dazu gehören. Bacchus im Siegeswagen, Bacchantinnen und Bacchanten. Ein Amor auf der Tonne mit seinem Gefolge. Nach dem mythologischen ein historischer Teil, Gardisten, Kapellen, Barockuniformen. Kostbare alte Wagen aus kurfürstlicher Zeit. Herren und Damen in alter Tracht, aus den alten Postkutschen grüßend. Der dritte Teil des Festzuges ist dem Weinbau und der Weinbereitung gewidmet. Der Kapelle zu Fuß folgt der Bergvogt und Bergmeister zu Pferde. Der berühmte Winzer des Barock, Paul Knoll, ist mit dabei. Und der älteste Winzer der Lößnitzorte, ein 90jähriger, fährt mit. Biedermeier-Gestalten, Bürger und Bürgerinnen, Winzer und Winzerinnen, allerhand Volk. Weinbutten und Riesentraube. Preßbeilträger und Pritschenleute. Wagen des Weinbaues, der Kelterei, der Böttcherei, auch ein heiteres Weinpantscherbild, die Sektbereitung, der Flaschenabzug, Ausschank und vieles andre. Und zum Schluß Obstbau und Landwirtschaft. Die Üppigkeit der Lößnitz-Früchte und Blumen feiert hier Triumphe! Endlos der Zug. Großartig die Zuschauermasse, die seit dem Vormittag mit der Eisenbahn, der Straßenbahn, im Auto, Wagen, zu Rad und zu Fuß hinausgeströmt war in die Lößnitz. Hunderttausend Menschen und mehr haben sich an diesem bunten Zug gefreut.«
Die Presse urteilte einhellig: Das Fest und der 1400 Mitwirkende umfassende Festzug seien »ein gewaltiger Erfolg« (›Dresdner Nachrichten‹) gewesen, und: »Es wird gewiß nicht wieder 84 Jahre [wie seit dem Winzerfest von 1840] dauern, bis das nächste folgt.« (DNN) Tatsächlich sollten bis zu einem vergleichbaren Winzerfestzug durch ganz Radebeul sogar noch ein paar Jährchen mehr vergehen, bis 2015, womit wir wieder bei der jüngeren Geschichte der Hoflößnitz angelangt sind. (Schluss folgt.)
Frank Andert