Detlef Reinemer zum 80.Geburtstag
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Detlef Reinemers Werk gleicht einer existentialistischen Temperamentenlehre, voller Unversöhnlichkeit gegenüber dem Schicksal der Sterblichen. In einer Mischung aus expressiv vorgetragenem prometheischen Trotzgestus und schonungslos konstatierendem Realismus sieht er dem Tod ins Auge.
I.
Hinter dieser prometheischen Widerstandshaltung trotz Aussichtslosigkeit steckt die Überzeugung, dass in der Existenz des Menschen mehr steckt als nur die Summe seiner historischen Seinsweisen. Der Philosoph Otto Friedrich Bollnow hat dies, wie folgt, auf den Punkt gebracht: „Die Existenz bedeutet jenen innersten Kern des Menschen, der auch dann noch übrig
bleibt, ja dann erst richtig erfahrbar wird, wenn alles, was der Mensch in dieser Welt besitzen und an das er zugleich sein Herz hängen kann, ihm verlorengeht oder sich als trügerisch erweist.“ (1953). Reinemer demonstriert diesen Sachverhalt durch Sockel- und Ständerkonstruktionen, die er für seine Skulpturen und Plastiken anfertigt. Vordergründig zum Zwecke ihrer Präsentation und Rahmung konzipiert, in gewisser Weise also Behausung, bewirken sie tatsächlich das genaue Gegenteil. Sie wirken fragil und instabil, durch den Zahn der Zeit angegriffen, in ihrer Materialität und Maßstäblichkeit zu den präsentierten Kunstwerken dissonant, dazuhin disproportioniert.
II.
Entsprechend wirken Reinemers Geschöpfe in einer bewußt feindlichen’
Präsentation auf sich allein gestellt, unbekleidet, nackt. Und auf einmal wird ihr innerster Kern, ihre Identität offenbar. Die Podeste, Sockel und Ständer werden zu Altären, auf denen die Opfer erst sichtbar werden. Reinemers Ketzer, Außenseiter und Narren, seine Panzerköpfe und Totenschädel bewahren so ihre Würde, die man ihnen zu nehmen suchte. Diese generiert sich nicht unerheblich auch durch die Wahl der künstlerischen Mittel. Reinemer entwickelt die Identität seiner Kunstwerke stets über die Wirkung der Materialien, mit denen er arbeitet. Sie sind Teil seiner gesetzten Inhalte. So hat er zum Beispiel den noch in sich ruhenden, fromm ergebenen Hiob I in die große, ruhige Form eines abgerundeten Steins gebunden, den kranken Hiob II hingegen aus verschiedenfarbigen Keramikteilen reliefartig geschichtet, porös und zerbrechlich, für den wütenden, zum Protestschrei ansetzenden Hiob III dagegen scharfkantiges Porzellan verwendet.
III.
Im szenischen Geschehen von Reinemers Kunst verbinden sich drei Raumqualitäten: der lastende Außenraum in seiner bedrückenden Unendlichkeit, das sich in diesem und gegen diesen formierende Volumen der Skulpturen und Plastiken und schließlich die Strahlung des Materials als vorgefundene qualitative Binnenkomponente, gleichsam inhaltlich aufgeladener, materialer seelischer Innenraum. Dies alles verbindet sich für Detlef Reinemer zur „geheimen Botschaft“, so der Titel einer seiner jüngeren Objektsituationen, zur geheimen, hermetisch verschlossenen Botschaft, die er über das schöpferische Spiel seiner Kunst transportiert.
IV.
Nun feierte auch Detlef Reinemer seinen 80. Geburtstag. Von seinen ehemaligen Schülerinnen und Schülern an der HfBK Dresden hoch geachtet, den Radebeulern besser bekannt als Schöpfer des „Schnecks“, einer monumentalen Kopfplastik, die als einer der Höhepunkte des Wein- und Kunstwanderwegs am Radebeuler Hermannsberg die historische „Steinerne Schnecke“ krönt. So, wie der „Schneck“ mit ruhiger Gelassenheit über das Elbtal blickt, hat auch Detlef Reinemer im Alter zu asiatisch anmutender Ruhe gefunden, zu einer Art energetischen Offenheit: Ziel und Ankunft ungewiss.
Rainer Beck