Dezember, der Weihnachtsmonat

Vielfältig waren die Vorbereitungen für das Weihnachtsfest. Aber erst kam am sechsten Dezember der Nikolaus und die hohen Schuhe – wir nannten damals die Knöchelschuhe so – wurden schön geputzt vor die Kinderzimmertür gestellt. An einen besonderen Nikolaus kann ich mich noch gut erinnern, als die Eltern kurz zuvor nach Schwarzenberg im Erzgebirge zur Feierohmd-Schau fuhren und wir in unserem Schuh ein erzgebirgisches Lichterständerchen fanden. Wolfgang seines war ein Engelchen im blauen Kleidchen, das vor einer Tanne kniete. Meins war ein Engelchen in einem weißen Kleidchen, das ein Herz hoch in den Händen hielt. Tante Emma brachte uns das Nikolauslied bei: „Lasst uns froh und munter sein“.

Anna Gebauer, die damalige Besitzerin des Gasthofes, mit ihren Enkeln Christa und Wolfgang
Foto: Archiv C. Grün


Die Vorweihnachtszeit war voller Geheimnisse und ich stellte mir vor, als ich noch recht klein war, dass viele kleine Engel über unserem Hausdach schwebten. Muttel nähte noch spät in der Nacht an meinem Puppenkleidchen und ich fand früh, hier und dort, auf der Treppe und im langen Gang Schnippselchen von buntem Stoff, die das Christkind verloren hatte.

Als wir größer wurden, fertigten wir eifrig kleine Weihnachtsgeschenke an. Wolfgang machte Laubsägearbeiten, während ich kleine Deckchen bestickte. Ich kann mich erinnern, dass ich für Tante Rosel einen Topflappen bestickte in Kreuzstich mit der Aufschrift: „Koche gut!“ Dieser hing noch über ihrem Herd, als ich schon erwachsen war. Auch wurden schön geschmückte Wunschzettel geschrieben. Weihnachtsgedichte lernen war natürlich an der Tagesordnung. Besonders beliebt bei Groß und Klein war: „Draußen vom Walde da komme ich her, ich muss euch sagen, es weihnachtet sehr“.

Zweimal haben wir eine kleine Theateraufführung vorbereitet. Da waren wir voll beschäftigt mit Verse lernen und Sachen suchen, die wir anziehen konnten. Wir stellten, entnommen aus dem Goldenen Weihnachtsbuch von Kurt Arnold Findeisen, erzgebirgische Weihnachtsfiguren wie Engel, Räuchermann und Nußknacker vor und sagten dazu Verse auf, die ebenfalls diesem Buch entnommen waren. Das Ganze spielte sich an der Schiebetür ab, die als Vorhang diente und Gaststube und Hinterzimmer trennte. In der Gaststube wurden die Stuhlreihen aufgestellt, im vorderen Teil des Hinterzimmers agierten wir. Tante Emma fungierte als Garderobiere und Tante Gretel als Souffleuse.

Ölgemälde von Max Brösel als Ansichtskarte im damaligen Gaststättenvertrieb
Bild: Archiv C. Grün


Hier muss ich etwas einflechten. Tante Jenny und Tante Gretel waren durch Rachichitis, eine Mangelkrankheit der damaligen bedauernswerten Generation verkrüppelt. Viele Kinder waren damals davon betroffen. Tante Jennys Beine waren klein und krumm geblieben, während Tante Gretel zwergig verunstaltet war, aber trotzdem gut laufen konnte. Nie ist es uns Kindern in den Sinn gekommen, über die Gebrechen zu spotten. Tante Jenny wohnte in Dresden und kam jedes Jahr zur Sommerfrische ins „Weiße Roß“.

Als Juttel geboren war und Vater ins Feld musste, bat er Jenny, vorläufig dauernd im Roß zu bleiben, um Juttel zu hüten. Muttel musste ja seine Aufgaben voll übernehmen. Tante Gretel hatte Muttel sich aus dem Bethesda, einem Heim für Behinderte geholt, als dieses Lazarett wurde. Heute ist es ein Teil des Radebeuler Krankenhauses. Tante Gretel stopfte Strümpfe, hielt unsere Kindersachen in Ordnung und hatte auch immer lustige Einfälle. Eine Episode von ihr: Als sie ihren geliebten Kanarienvogel vermisste, der durch vieles Nüssefressen ziemlich träge geworden war, musste sie zu ihrem Entsetzen feststellen, dass er unter ihr Sitzkissen geraten war und sie sich darauf gesetzt hatte. So viel zu Tante Jenny und Tante Gretel.

Und nun zum langersehnten Heiligabend. Er begann mit Nudeln und Gänseklein zu Mittag. Am Nachmittag ging Oma mit uns in die Kirche zur Christmette. Das war festlich und feierlich und wir sangen das „Oh du fröhliche“ kräftig mit. Oma zeigte uns das Jesuskind in der Krippe und erklärte uns die heiligen drei Könige, die aus dem Morgenland gekommen waren. Die Weihnachtsgeschichte war für mich immer wieder neu und geheimnisvoll. Auf dem Heimweg sahen wir in den Fenstern schon die ersten Weihnachtsbäume leuchten. Wenn Schnee lag und glitzerte, war es noch schöner. All das erhöhte die Vorfreude. Nach dem Kaffeetrinken an dem langen Tisch in der Küche, auf dem der Vierpfundstollen angeschnitten wurde, durften wir mit Stühlen stürzen (umgekehrt auf den Tisch stellen). Das verkürzte die Zeit bis zur „Bescherche“. Endlich war es soweit. Wir hörten das Weihnachtsglöckchen klingeln und stürmten die Treppe hinauf. Vor der Kinderstubentür noch ein kurzer Aufenthalt, jeder sagte sein Weihnachtsgedicht auf, und dann waren wir in der lichterdurchfluteten und herrlich duftenden Weihnachtsstube. Muttel zeigte jedem seinen Gabentisch, und in jedem Jahr fanden wir das vor, was wir uns am sehnlichsten gewünscht hatten. Nur übermäßig verwöhnt wurden wir von unseren Eltern nie. Zu Wolfgangs Modelleisenbahn war wieder einiges dazugekommen und meine Puppenstube und -küche war liebevoll neu ausstaffiert. Beliebt waren bei den Jungens die Stabilbaukästen, bei uns Mädchen die Puppenbabies. Nach der Bescherung und dem Abendbrot durften wir noch spielen, bis wir müde wurden. Am ersten Weihnachtsfeiertag früh waren wir natürlich wieder beizeiten aus den Betten, die neuen Spielsachen waren zu aufregend.

Zu Sylvester habe ich keine besonderen Erinnerungen. Als wir größer wurden, durften wir bis um zwölf aufbleiben, schon das war etwas Besonderes, dass wir nicht nach dem Abendbrot ins Bett mussten. Große Aktivitäten gab es am Sylvesterabend bei uns nicht. Es wurde Punsch gekocht und zum Abendbrot gab es Räucheraal, der mit einer Rüsche aus Staniol und einer grünen Schleife verziert war. Um zwölf gingen die Nachbarn vor die Haustüren und riefen sich ein „Prosit Neujahr“ zu. Auch wir Kinder wurden dazu angehalten, am Neujahrsmorgen allen, denen wir begegneten, ein gesundes neues Jahr zu wünschen. Wir gingen mit Muttel noch ein wenig die Straße entlang um die Glocken zu hören, die mächtig das neue Jahr einläuteten. Heutzutage geht ihr feierliches Geläut ja leider in der sinnlosen Böllerei unter.

Das soll es für den Dezember gewesen sein.

Christa Stenzel/ Christian Grün

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