Ceterum censeo

Zum 80. Geburtstag von Prof. Dr. Dr. h.c. Heinrich Magirius

Der Lauf der Begebenheiten hat dem Genius der Zeit eine Richtung gegeben, die ihn mehr und mehr von der Kunst des Ideals zu entfernen droht. […]Jetzt aber herrscht das Bedürfnis und beugt die gesunkene Menschheit unter sein tyrannisches Joch. Der Nutzen ist das Idol der Zeit, dem alle Kräfte fronen und alle Talente huldigen sollen.
Es war Friedrich Schiller, der diese Feststellungen traf. Sie könnten gestern geschrieben sein, doch die Tinte ist bereits seit 230 Jahren trocken. Der zählbare, greifbare Nutzen aber ist heute mehr denn je zum Maß aller Dinge geworden. Selbst die Geburt von Kindern hat diesem Idol zu fronen. Zwar hat Lenin zwischenzeitlich sein wem nutzt es? zu fragen gewagt, doch der ist ja nun mit gutem Gewissen nicht mehr zitierbar, und also ist auch die Frage nicht mehr relevant.

Schiller hielt trotz seiner Einsicht an seinem Vorhaben fest, zur Erziehung des Menschen zur Ästhetik seinen Beitrag leisten zu wollen. Seit her gab und gibt es, sicher auch durch ihn ermutigt, immer wieder Menschen, die versucht haben und versuchen, kulturelle Werte gegen die Tyrannei des Marktes und des Geldes zu verteidigen.
Professor Dr. Heinrich Magirius ist einer von ihnen.Verleihung Kunstpreis 2010
Scheinbar unbeeindruckt von dem von Schiller bezeichneten Genius der Zeit hat er seit frühester Jugend an seinem Ideal festgehalten, die uns von unseren Vorfahren überlieferten ästhetischen Werte für die Zukunft zu bewahren. Ja, dieses Bewahrenwollen ist ihm, geradezu in Umkehrung der Schillerschen Negativanalyse, sehr früh schon zum beherrschenden Bedürfnis geworden, unter dessen Joch er sich freudig beugte.
Die Motivation dazu zog der Knabe aus dem traumatischen Erlebnis des Unterganges von Dresden. In dessen Folge pflegte er schon als Jugendlicher Umgang mit so bedeutenden Denkmalpflegern wie Fritz Löffler und Hans Nadler. Da konnte er erleben, wie diese keine Gelegenheit ausließen, die Notwendigkeit des Wiederaufbaus etwa des Zwingers oder des Semperschen Opernhauses zu betonen. Ohne deren ceterum censeo (sie hatten ihren Cato gelesen und verstanden), ohne dieses gebetsmühlenarige Wiederholen des Selbstverständlichen hätten vermutlich auch in Dresden erst gut ausgeleuchtete zwischenzeitliche Flachbauten entfernt werden müssen, um das Residenzschloß aus dem Nichts neu erstehen lassen zu können. So aber blieben mit den Ruinen von Frauenkirche, Taschenbergpalais und Schloß auch als Vermächtnis und Verpflichtung im Bewußtsein der Öffentlichkeit erhalten.
Heinrich Magirius speiste seine Begeisterung aus dem Studium der Kunstgeschichte und der christlichen Archäologie. Trotz erheblicher ideologischer Bedenken – der Jubilar entstammt einer Pfarrerfamilie – bekam er 1958 eine Anstellung am damaligen Institut für Denkmalpflege in Dresden.
Der praktische Umgang mit den Zeugnissen romanischer und gotischer Baukunst, mit Kunst und Architektur der Renaissance und des Barock bis hin zur Gründerzeit und frühen Moderne vertiefte seine Kenntnisse und sein Verständnis im Umgang mit dem Erbe. Dies ermöglichte es ihm recht bald auch, die Banalität sich modern gebärdender Nachfolgebauten – ein Zug, in dem sich die Jahre vor und nach 1990 leider kaum unterscheiden – deutlich beim Namen zu nennen. Umso größer ist seine Freude, wenn er gelegentlich auf qualitätvolle Gegenwartsarchitektur trifft.
Seine Beharrlichkeit, seine aus tiefer Sachkenntnis wachsende Kompetenz verhalfen freilich nicht nur ihm selbst, sondern auch seinem Dresdner Amt zu internationaler Anerkennung.
Denkmalpflege, schrieb Volker Helas 1996, erleichtert die Orientierung in der Geschichte. Es mag sein, daß diese vielleicht nicht zu beziffern ist, für ein erfülltes Leben ist sie jedoch unerläßlich.

Im Übrigen bin ich der Meinung, daß wir allen Grund haben, Heinrich Magirius zu seinem 80. Geburtstag am 1. Februar nicht nur zu gratulieren, sondern ihm zu danken für sein auch uns zu Orientierung verhelfendes Wirken. Für die Zukunft wünschen wir ihm anhaltende Wachheit und Kraft für die Begeisterung an den ästhetischen Werten der Vergangenheit und auch der Gegenwart, die nicht zuletzt dank aufmerksamer Denkmalpfleger im Lauf der Begebenheiten erhalten bleiben werden.
Thomas Gerlach

 

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