Durst

Mit Durst ist hier im Fall so ein richtiger, ehrlicher Durst gemeint, so mit pelziger Zunge und Trockenheit bis in den Hals hinunter. Selbst der Schweiß auf der Haut wird weniger, er perlt und läuft schon nicht mehr. Gibts hier nicht, sagt Ihr? Gibt es doch. Wenn der Winzer so in strahlender Sonne auf seinem Rebhang steht und sein hart´ Werk hat, dann kommts schon vor.

Nur war der frühe Tag, als er hinaufging, noch kühl und trübe, aber Limo oder Wasser zurückgeblieben. Brauch ich heute nicht. Dann, gegen elf Uhr, stach die Sonne erbarmungslos. Vielleicht ist doch noch irgend eine Flasche im kühlen Erdloch bei der Weinbergshütte. Und siehe, da ist sie noch, die vergessene Flasche alten Rieslings vom vorigen Jahr. Nur…Wein so für´n Durst? Aber das tut man doch nicht. Egal, was flüssiges muss darüber, über die heiß-trockene Kehle. Na, und wie gut das tat, was für eine Labsal. Kühl, duftig, weinig, rassig, diese edle kernige Weinsäure. Noch nie zuvor hatte er solchen Weingenuss erfahren. Von wegen, Wein nicht für den Durst. Eher ist er zu schade zum Abwürzen in der Küche. Sollen die Gourmet-Köche doch Pfefferminztee nehmen. Drüben am Waldrand lachte der Grünspecht.

Ein andermal: Immer wenn er aus der Badewanne stieg verspürte er starken Durst. Es stand für ihn die Frage, könne er unter Wasser schwitzen? Wieso hat er nach dem Vollbad Durst? Im Kühlschrank, vom Mittag, noch ein Rest Wein. Und wieder bis zum zweiten Schluck jeder ein Hochgenuss. Beim vierten war der Effekt schon verloren. Und noch die Zweifachwirkung, das Löschen des Durstes ist allein schon angenehm, und dann noch der wunderbare Weingeschmack auf der bedürftigen Zunge.

Doch erst beim dritten ähnlichen Fall drängte sich ihm schließlich der Gedanke auf, ob nicht der bisherige kulturelle Status des Weintrinkens mal zu hinterfragen oder wenigstens zu erweitern sei. Wer will kann ja allein beim Mythos dabei bleiben. Aber eines Morgens war die Zahncreme alle, und so putzte er sich die Zähne mit blankem Wasser nur. Dann Frühstück zubereiten. Kühlschrank auf, und wieder war da ein Rest Wein vom Vorabend. Nur zwei Schluck über die neutrale Zunge laufen lassen. Waaas?! – am frühen Morgen schon. Doch jener Wein, am Abend zum Fernsehen so daneben hergetrunken, offenbarte sich am nüchternen Morgen so viel weiniger und genussvoller.

Nicht von ungefähr sind fachliche und geschäftliche Weinverkostungen der Winzer, Kellermeister und Sommeliers in den Vormittagsstunden in einem kühlen neutralen Raum. Nichts soll vom rein Fachlichen ablenken. Keine Tischdecken, keine Blumen, gefliester Fußboden, helle Fenster, Kerzenlicht darf sein, gute Umluft. Und natürlich ausgetrunken muss er werden. Diese Unsitte seinen Mund voll Wein wieder auszuspeien, sieht man gottlob kaum noch. Vor einiger Zeit filmte ein Kameramann mal solche Art Weinbehandlung, wo dazu auch noch ein Urinal in Kinnhöhe angebracht war. Ein Winzer, der auch zur Dienstzeit dieses Quantum nicht verträgt, sollte den Beruf wechseln.

Schrecklich stellt sich er, den Wein doch eher auf archaische Weise zu genießen, vor, eine Weinprobe so hoch angebunden wie jene im Bremer Ratskeller etwa. Ein riesiger Saal, Kristall und Neo-Prunk, hunderte Menschen, hunderte Weine, mehr als tausend Flaschen, schwarze Garderobe, steife Kragen, hoher Mut. Alle sind ernst. Dabei ist Wein ein gesellig Ding. Wenigstens lächeln kann man doch. Auch ein heller Frauenjauchzer schadet nicht. Auch die großen Dummheiten der Welt sind immer mit einem ernsten Gesicht gemacht worden. Wäre doch das Heitere auch so gewichtig wie der dumme Ernst. Solche Atmosphäre schlägt jede Sensorik nieder.

Aber wie denn nun? – Jeder wie er mag. In gewohnten Räumen oder Terrassen. Jedem sein Weinchen, sein Stühlchen, sein Weibchen. Nie zur Ungelegenheit, nicht im Stehen, weniger abends. Abends sind wir müde, die Geschmacksnerven sind flach und abgespannt. Zum Abend genügt ein Bier. Für´s Fernsehen ist der Wein auch zu schade. Fernsehprogramme und Wasser, na, das passt doch. 

Da wäre noch die Frage zu welchem Essen welcher Wein? Zu einem guten Mittagessen trinkt er gar nichts. Man überlege, der Wohlgeschmack der Speise wird mit jedem Getränk hinweggespült, erst recht mit Wein.

Der wunderbare Geschmack der Forelle, des Zander oder vom Wild ist mit einem Schluck verschwunden. Wein hat Wasser, Säure, Alkohol, und das spült weg, er räumt radikal den Wohlgeschmack von der Zunge. Wein ist da egoistisch.

Und dann kommen aber Gourmet´s, die sagen sogar „Schokolade und Wein“. Beider Geschmack geht extrem auseinander. „Käse und Wein“ passt da schon eher, hat sogar viele Liebhaber gefunden. Besser aber zum Wein – egal ob gezecht wird oder es theatralisch zugeht – ein neutraler Käse in Würfeln, Weißbrot und wer es verträgt zwischendurch mal ein Wasser.

Da wären noch jene Menüs, die große Gourmets in großen Küchen so kreieren: „Antilopenmedaillon in Pinienkernmarinade mit Briocheknödel. Empfohlener Wein: Cinsaut von Stellenbosch, Südafrika:148€“
Er wird nie wissen wie dies schmeckt, kann sich auch den Besuch solch Häuser nicht leisten.

Empfehlen kann er aber mal: „Geschmorte argentinische Rinderhufe naturell, Schachtelhalmcreme mit ungeschälten Pellkartoffeln. Empfohlener Wein: halbtrockener Barroso vom Duro“.

Reiner Roßberg

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