»Lebensraum Kirchturm«, mit dieser Plakette des NABU Deutschland wurde am 9. Juni die Radebeuler Lutherkirche ausgezeichnet. Sie ist die 60. Kirche auf dem Gebiet der Landeskirche Sachsens, die diese Würdigung erfährt. Damit befindet sie sich im statistischen Mittelfeld, in der Nähe von Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, von Hessen und Mecklenburg. Nur Thüringen mit 105 und Baden-Württemberg mit 170 Kirchen liegen schier uneinholbar an der Spitze dieser Naturschutzinitiative.
Nun müsste man die Zahlen natürlich in Relation setzen zur Größe der jeweiligen Landeskirche und der Anzahl ihrer Kirchen. Solche Rechnerei soll hier nicht weitergeführt werden. Aber eins sei doch noch gesagt: In der Statistik der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens werden 770 Kirchgemeinden mit insgesamt 1600 Kirchen und Kapellen ausgewiesen. Zumindest diese Angaben zeigen, dass nur eine verschwindend kleine Zahl von Kirchgemeinden sich dieser Aktion angeschlossen hat. Das muss nicht heißen, dass Tiere, – zumeist sind es ja Vögel –, auf deren Türmen nicht geduldet wären. Vielleicht hat sich nur keiner bisher darum gekümmert, oder sie gehören so selbstverständlich zum Kirchturm, dass niemand Aufhebens davon macht. Eigentlich wäre das schade. Aber es gibt leider auch Kirchgemeinden, die im Zuge ihrer Rekonstruktionsmaßnahmen von Kirche und Kirchturm ganz entschlossen darauf Wert legen, dass die oft seit Jahrzehnten dort lebenden Gästen ausgeschlossen werden, ihnen kein Platz mehr zum Nisten und Brüten gewährt wird. Das ist besonders bedauerlich, weil diese Vogelarten angewiesen sind auf hohe Gebäude, dass sie halt nicht anders existieren können als in dieser luftigen Höhe.
Da ist zum Beispiel die Schleiereule. Sie bewohnt mit Vorliebe die »Laterne«, die von Säulen oder Pfeilern getragene Turmspitze. Wenn die Luke, die in diesen Hohlraum führt, verschlossen wird, bleibt sie ausgesperrt. Und es ist leider eine Tatsache, dass die Zahl der Schleiereulen in unseren Siedlungsgebieten, auch dadurch, dramatisch abgenommen hat.
Nicht ganz so alarmierend steht es mit den Turmfalken. Ab und zu hört man einen, wenn er sein wie eine Klage klingendes kiii-eee-eee ausstößt. Dadurch aufmerksam gemacht, sieht man ihn dann vielleicht auch, rüttelnd, in der Luft stehend und nach Beute ausschauend.
Seit einigen Jahren nun nistet ein Falkenpaar am Turm der Lutherkirche, in der kronenartigen, kupfernen Spitze des östlichen Seitenturms. Eine Webcam war auf ihren Brutplatz gerichtet und so konnten wir miterleben, wie die vier rotbraunen Eier vom Weibchen warmgehalten und bebrütet wurden, wie vier kleine, hilflose Küken daraus hervorkrochen und rasch heranwuchsen unter der Pflege ihrer Eltern und nach wenigen Wochen, flügge geworden, das Nest verließen und selbst auf Nahrungssuche gingen. Leider ist in diesem Jahr daraus nichts geworden. Die Altvögel fanden sich pünktlich ein, umflogen den Turm, saßen da und dort auf einem Sims und Vorsprung. Aber mit dem Brüten wurde es nichts, das Nest blieb verwaist. Zwar lassen sie sich auch jetzt noch hin und wieder sehen oder hören. Aber wir mussten uns an den Gedanken gewöhnen, dass diesmal nicht mit Nachwuchs zu rechnen ist. Und es bleibt nur die Hoffnung, dass im nächsten Jahr wieder angeknüpft werden kann an die vergangenen Jahre mit ihren erfolgreichen Bruten.
Dass Turmfalken an der Lutherkirche brüten, war der Anstoß, sich um den Titel »Lebensraum Kirchturm« zu bewerben. Dazu wurde die Radebeuler »Fachgruppe für Ornithologie und Naturschutz« einbezogen, die sich dieser Bewerbung gern anschloss. Und am Sonntag, dem 9. Juni war es dann so weit. Eine Mitarbeiterin der Regionalgeschäftsstelle kam aus Leipzig und übergab im Gottesdienst mit einer kleinen Rede die Plakette an Pfarrer Christian Mendt und einen Pfadfinder. Die Predigt bezog, aus aktuellem Anlass, das Elbehochwasser mit ein und verband es mit der Sintflutgeschichte aus dem ersten Buch der Bibel. Und dies war auch ein sinnvoller gedanklicher Rahmen für die Plakettenübergabe.
»Lebensraum Kirchturm«, das bezieht sich an der Lutherkirche nicht nur auf Turmfalken: Um doch einmal Schleiereulen in unserer Nähe heimisch werden zu lassen, ist besagte Luke in der Laterne geöffnet worden, mit speziellen Vorkehrungen, die Stadttauben abhalten und nur Schleiereulen den Zugang attraktiv machen sollen. Und auch an Mauersegler ist gedacht worden: knapp über der Uhr in Richtung Osten sind vier Kästen für sie aufgestellt worden. Im vorigen Jahr hat es den Eindruck gemacht, dass zwei von ihnen zum Nisten in Anspruch genommen wurden. Es fanden sich leichte Grashalme darin, Nistmaterial, das Mauersegler, die fast ausschließlich in der Luft leben, fliegend aufgesammelt hatten.
Und für Fledermäuse wurde eine Luke in einen kleineren Turmraum geöffnet, mit einer fachkundig angefertigten und ganz auf sie zugeschnittenen Zugangsmöglichkeit. Bis jetzt haben sich noch keine eingestellt. Aber bei solchen Bemühungen muss man halt Geduld haben. Selten zahlt sich schon im ersten Jahr aus, was man an Gedanken und Bemühungen für die Tierwelt eingesetzt hat.
Was hier beschrieben wurde, soll nicht als große Leistung herausgestellt werden. Es ist ein kleiner Beitrag dafür, dass Tiere, die seit Jahrhunderten auf Kirchtürmen leben, auch jetzt und in Zukunft eine Bleibe in unserer Nähe haben. Es wäre wunderbar, wenn die Radebeuler Lutherkirche nicht die einzige Kirche in ihrer näheren und weiteren Umgebung bliebe, die dem vielbeschworenen Wort von der Schöpfungsverantwortung auch praktische Maßnahmen folgen lässt.
Johannes Woldt, Pfr. i.R.
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