Was uns Archivakten zu sagen haben

Die Probleme mit den Straßennamen

Mancher Leser wird sich gewundert haben, dass mein Beitrag im Juliheft „Das 8-Familienhaus Hauptstraße 6“ überschrieben war. Einige Anrufer machten mich darauf aufmerksam. War es ein Fehler? Keineswegs, denn um 1912 hieß der Kötzschenbrodaer Anger tatsächlich Hauptstraße und auch Naundorf, Radebeul und Wahnsdorf hatten damals eine Hauptstraße. Man fragt sich, wie es wohl dazu kam, ja seit wann es eigentlich Straßennamen gab. Die ältesten Namen sind aus den Dorfrügen des 15./16. Jahrhunderts bekannt: die Kirchwege, auf denen die Naundorfer und Zitzschewiger Bauern zur Kirche Kötzschenbroda gingen, die Viehwege und andere, für die sich die Gemeinden ihr Recht auf freie Nutzung sicherten. Es waren Fuß- und Fahrwege, die man mit zwei Pferden bereiten konnte, und die nicht verengt werden durften. Nur der Gradsteg – 1497 der Gerade Steig – behielt seinen Namen. Nachdem im 18. Jahrhundert allgemein Katasternummern eingeführt worden waren, wurden sie an jedem Gehöft und Hausgrundstück angebracht. Sie bildeten später die Grundlage für die Grundbücher. Lange Zeit waren sie allein für den öffentlichen Verkehr gültig, die volkstümlichen Wegebezeichnungen waren dafür nicht verwendbar. Die ersten amtlichen Straßenbezeichnungen legte die Gemeinde Kötzschenbroda 1862 fest. In der um 1865 von Schubert geschriebenen Chronik der Parochie Kötzschenbroda sind sie genannt: die Hauptstraße, Neue Straße, die Meißner, Moritzburger und Bahnhofstraße usw. Aber für die Gemeinden Naundorf, Zitzschewig, Lindenau und Niederlößnitz gab es noch keine. Erst um 1875 begann Niederlößnitz die amtliche Benennung der Straßen, die anderen Gemeinden noch später. Dagegen waren schon Ende des 18. Jahrhunderts Hausnummern eingeführt worden, aber auch sie waren für den öffentlichen Verkehr nicht von Nutzen, man hatte sie in der Reihenfolge der Erbauung angebracht. Bei der ersten Vergabe der Straßennamen – so schreibt der Chronist Schruth später – war man wenig erfinderisch. So gab es bald in fast allen Gemeinden eine Haupt-, Schul- und Bahnhofstraße, solche nach den Himmelsrichtungen und den jeweiligen Nachbarorten führende Straßen ….
Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts war ein Anklang an die Tradition und Geschichte der Orte in den Straßennamen geradezu verpönt. Man schämte sich sogar alter hergebrachter Namen, die aus Großmutters Handkörbchen stammten, putzte sie modern auf, gestaltete sie zeitgemäß um, wie es in dem Bericht über die Gemeinderatssitzung Kötzschenbroda vom 12. Juni 1875 heißt, wobei auch die Hausnummern gründlich reguliert wurden.
Es kam die Zeit, in der mit zunehmender Bebauung in den Gemeinden Ober- und Niederlößnitz immer mehr neue Straßen entstanden, die zum Teil die Namen der Bauherren erhielten, wie z.B. die Karl- und die Wilhelmstraße, aber auch König und Kaiser, hohe Militärs mit einer Straße geehrt wurden. Ein neues Problem gab es, als am 1. Oktober 1923 die Vereinigung der vier westlichen Gemeinden vollzogen wurde. Nach Schruth gab es zur Zeit 120 benannte Straßen, aber eine ganze Anzahl doppelter Namen. Wieder mussten viele umbenannt werden. Man griff jetzt auf alte Flurnamen zurück und hielt diese damit fest, die sonst in kurzer Zeit vergessen worden wären. So haben wir heute noch den Tännichtweg, Auf den Scherzen, Horkenweg usw. Der Straßenzug Kötzschenbroda-Naundorf-Kötitz wurde zur heutigen Kötitzer Straße, die Dresdner zur Meißner Straße. Es waren viele, die ihren Namen ändern mussten. Für die Hauptstraßen entschied man sich – so wie Dresden – die Namen der jetzt zur neuen Stadt Kötzschenbroda vereinten Dörfer zu erhalten und nannte sie Altnaundorf, Altzitzschewig und Alt-Lindenau. In Kötzschenbroda blieb es die Hauptstraße bis 1935. Da wurden ohnehin durch Zusammenschluss der beiden Städte Radebeul und Kötzschenbroda schon wieder Umbenennungen erforderlich.
So sind im Laufe der Jahrzehnte immer wieder Straßennamen verändert worden. Oft ergab es sich aus der aktuellen Staatsform, wenn Namen von Personen des öffentlichen Lebens nicht mehr erwünscht waren oder andere Personen geehrt werden sollten. Betroffen davon waren stets die Anwohner, die mal auf der oder jener Straße wohnten, ohne umziehen zu müssen. Verständlich, dass es dafür auch Unverständnis und manche Kritik gab. Doch das haben wir selbst ja schon miterlebt.
Liselotte Schließer

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