Im Archiv gestöbert – Die Geschichte der Niederwarthaer Elbbrücke (Schluss)

Der historische Artikel im vorigen Heft hat sich aus gegebenem Anlass mit der Baugeschichte der ersten Niederwarthaer Elbbrücke beschäftigt, einer ingenieurtechnischen Meisterleistung, die das Interesse der Lößnitzbewohner seinerzeit in ähnlicher Weise gefangen nahm wie vorher nur der Bau der Leipzig-Dresdner Eisenbahn. Für genau siebzig Jahre – ein Menschenalter lang – diente sie nicht allein dem Eisenbahnverkehr, sondern auch als Straßenbrücke zwischen den Kötzschenbrodaer Elbwiesen und der Naundorfer „Enclave“ am alten Fährhaus auf Niederwarthaer Seite. Dass sich heute kaum jemand an diese Tatsache erinnert, liegt daran, dass die Brücke am letzten Tag des Zweiten Weltkriegs ohne Sinn und Verstand demoliert wurde, mit weitreichenden und bis heute spürbaren Folgen.

Die Geschichte der Niederwarthaer Elbbrücke (Schluss)

Das vorläufige Ende dieses wichtigen Bauwerks kündigte sich im zeitigen Frühjahr 1945 an. In der aberwitzigen Hoffnung, den Vormarsch der sowjetischen Armee noch stoppen zu können, wurde die Brücke Ende April durch eine in Naundorf einquartierte österreichische SS-Einheit und ein Sprengkommando der Wehrmacht zur Zerstörung vorbereitet. Als Sprengsätze dienten große Fliegerbomben ohne Leitwerk. Nachdem die Rote Armee am Nachmittag des 7. Mai Wahnsdorf und Lindenau eingenommen hatte, wurde gegen 23 Uhr ein erster Sprengversuch unternommen, der allerdings fehlschlug. Die zweite Sprengung kurz vor zwei Uhr früh – sowjetische Stoßtrupps hatten bereits die Elbe erreicht – zerstörte die äußeren Stromjoche der östlichen Brückenseite einschließlich der Fahrspur. Da nicht alle Ladungen gezündet hatten, blieb der stromabwärts gelegene Brückenstrang zwar stehen, einer der Bögen wurde aber um mehr als einen Meter aus den Auflagen ge­rissen. Die Häuser in der Umgebung waren durch die Detonation beschädigt, Dä­cher abgedeckt, Fenster und Türen eingedrückt.
Stunden später war der Krieg vorbei. Die Brückenruine wurde für den Bahnverkehr gesperrt, war aber für Fußgänger noch eingeschränkt passierbar. Erst ein folgenschwerer Unfall am frühen Morgen des 31. Juli 1945, als ein aus Berlin kommender Leerzug mit überhöhter Geschwindigkeit die Warnsignale überfuhr, brachte auch ein Stromjoch des zweiten Brückenstrangs zum Einsturz. Die Zeitzeugenberichte über den Unfallhergang sind widersprüchlich, fest steht jedoch, dass der Heizer und ein russischer Eskortesoldat ums Leben kamen. Mehrere Reichsbahnbeamte wurden daraufhin we­gen vermeintlicher Sabotage an­geklagt; ein kurz vor der Pensionierung stehender 72-jähriger Amts­vorsteher starb kurze Zeit später in sowjetischer Lagerhaft.

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Neun Monate lang war der Übergang dann nur noch über eine provisorische Hängebrücke möglich. Bahnreisende von Dresden nach Berlin mussten von der Leipziger Strecke mit Sack und Pack zu Fuß zum Bahnhof Naundorf marschieren. Am 13. April 1946 ging der not­dürftig reparierte westliche Ei­senbahnstrang der Brücke dann wieder in Betrieb; der Personenverkehr wurde, wie in alten Zeiten, durch eine diesmal stromabwärts eingerichtete Fährverbindung ge­währleistet. Der Straßenverkehr blieb unterbrochen, und auch die Mär, für einige Zeit sei noch per Ampelregelung eine Überfahrt für Autos und Fuhrwerke möglich ge­wesen, gehört nach Zeitzeugenberichten ins Reich der Fabel.
Schon im November 1945 hatte der Radebeuler Stadtrat „mit Rück­sicht auf die gestörten Verbindungen mit dem überelbischen städtischen Gebiete“ beschlossen, eine „Ausbezirkung“ des Ortsteils „Am Fährhaus“ und eine Einflurung nach Niederwartha zu beantragen. Dies scheiterte zunächst am Widerspruch mehrerer Grundbesitzer, wurde aber auf Betreiben des teilweise auf Kötzschenbrodaer Flur gelegenen Pumpspeicherwerks Niederwartha, damals Teil des VEB Verbundnetz Ost, im Oktober 1952 wieder auf die Tagesordnung gerückt. Stadtrat und Stadtverordnete stimmten im April 1953 dafür, „da der Ortsteil linksseitig der Elbe liegt und durch die 1945 erfolgte Zerstörung der Niederwarthaer Brücke von der Stadt Radebeul praktisch getrennt ist.“ Vorher hatte sich jahrhundertelang niemand daran gestört, dass die sogenannten Weiherwiesen, die die Gemeinde Kötzschenbroda im Jahr 1519 als Weideland erworben hatte, jenseits der Elbe lagen. Mit insgesamt reichlich 53 ha, davon knapp 10 ha ehemals Naundorfer, der Rest, einschließlich des unteren Staube­ckens, Kötzschenbrodaer Flur, be­deutete die per 1. April 1954 wirksame Umflurung den größten Ge­bietsverlust in der Radebeuler Geschichte.
Ende 1973 begannen schließlich Beratungen über einen Neubau der Eisenbahnbrücke, der jedoch erst 1979 in die Wege geleitet und 1983 abgeschlossen werden konnte. Da­mit fiel die eigentliche Bauzeit mehr als doppelt so lang aus wie zu Kaisers Zeiten. Dass die durch zwei eingleisige, auf die alten Pfeiler montierte Tragwerke gebildete Stahlbetonkonstruktion – die Reste des ursprünglichen Bogenfachwerks wurden demontiert – überhaupt wieder einen Fußgänger- und Fahrradweg erhielt, war der ausdrücklichen Intervention der Stadt Radebeul zu verdanken. vorschau_5-05_elbbruecken-niederw-1

Die Autofahrer hatten bei der Planung des vom Ingenieurbaubetrieb Dresden der Deutschen Reichsbahn ausgeführten Bauvorhabens naturgemäß keine Lobby. Ist die neue Straßenbrücke, deren Vorlaufzeit jetzt schon DDR-Rekorde bricht, nun wünschenswert? Als Radebeuler muss man sich zurückhalten, denn vom anderen Ufer heißt es, nur wir hätten die Vorteile. Als historisch Denkender könnte man argumentieren, es wüchse zusammen, was zusammen gehört(e). Als unbekannter Freund des sagenumwobenen Wachtelkönigs wiederum… Man wird sehen, ob hier noch eine Fortsetzung folgt.
Frank Andert

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