Das Wissen wächst mit der Sammlung

Kunst aus vier Jahrhunderten in der Radebeuler Stadtgalerie

Jubiläen regen zum Innehalten und Nachdenken an: Woher, weshalb, wohin? Ist es eigentlich wichtig, dass Radebeul eine Städtische Kunstsammlung besitzt? Die Interessen der Jüngeren verlagern sich zurzeit rasant. Sportvereine expandieren. Kunst- und Geschichtsvereine lösen sich auf. Und immer wieder heißt es lapidar »Kunst und Kultur muss man sich leisten können«.

Johannes Thaut »Unser Heimatmuseum« um 1960, Linolschnitt (s. auch Monografie zur Geschichte der Stadt, 1961, Heft 5)Johannes Thaut »Unser Heimatmuseum« um 1960, Linolschnitt (s. auch Monografie zur Geschichte der Stadt, 1961, Heft 5)
Bild: Archiv Stadtgalerie

Ein Blick zurück kann hier nicht schaden. Erinnert sei an die vielfältigen kulturellen Aktivitäten unmittelbar nach dem Ende des zweiten Weltkrieges. Bereits im Juni 1945 hatten Künstler und umsichtige Kommunalpolitiker im Radebeuler ››Haus der Kunst« eine erste Kunstausstellung organisiert, zu der die Menschen in Scharen, selbst zu Fuß aus Dresden. strömten. Man hungerte. viele Menschen hatte nur ein notdürftiges Dach überm Kopf, doch Kunst und Kultur vermittelten ihnen im schwierigen Alltag Lebensmut.

Erste Überlegungen, Kunst für ein künftiges Museum zusammenzutragen, gingen einher mit der Bildung eines Kunstvereins für die Lößnitzortschaften, welcher sich 1907 gründete und bereits 1914 wieder auflöste. Wenig später verfügte man durch das neu eröffnete Heimatmuseum tatsächlich über einen Ort, wo sich Sammelgut deponieren lies. Darunter natürlich auch Kunst. Doch Vieles blieb dem Zufall überlassen. Vom gezielten Aufbau einer Kunstsammlung konnte noch keine Rede sein, lag doch der inhaltliche Schwerpunkt auf dem Bewahren von stadtgeschichtlich bedeutsamen Sachzeugnissen.

Aus besonderem Anlass sei ein weiterer Rückblick gestattet. Bedingt durch meine Diplomarbeit ››Zur Malerei und Grafik in Radebeul von 1945 bis zur Gegenwart« hatte ich zu Beginn der 1980er Jahre einen Großteil der in Radebeul wirkenden Künstler persönlich kennen gelernt, darunter auch Theodor Rosenhauer, Gussy Hippold und Heinz Drache. Voller Ehrfurcht besuchte ich sie in ihren Ateliers. Mein Wissen über die Radebeuler Kunstszene war im Vergleich zu heute allerdings sehr rudimentär. Einige Künstler verweigerten sich jedweden Recherchen total und äußerten ihre Bedenken. Sie befürchteten als provinzielle Heimatmaler abgestempelt zu werden. Obwohl sie in Radebeul wohnten, befanden sich ihre Ateliers in der Kunst- und Kulturmetropole Dresden, die sie als ihre eigentliche Wirkungsstätte betrachteten.

Mit Eröffnung der »Kleinen Galerie« in Radebeul-Ost am 16. Dezember 1982 wurde es möglich, Kunst von Radebeuler Künstlern in der Stadt Radebeul kontinuierlich zu präsentieren. lm Juni 1984 hatte ich die Leitung der Galerie übernommen und fand es sehr schade, dass im Unterschied zu einem Museum nach den beständig wechselnden Ausstellungen nur noch die leeren Räume zurück geblieben waren. Wie aber wollte man nachfolgenden Generationen verständlich machen. was die so zahlreich in Radebeul ansässigen Künstler geschaffen hatten? Die Idee vom Aufbau einer Städtischen Kunstsammlung blieb über viele Jahre eine Theorie.

Es sind wohl immer wieder Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche, die Neues hervorbringen und dessen Umsetzung ermöglichen. Das Anliegen, für die Stadt Radebeul eine Kunstsammlung aufzubauen, stieß bei meinem unmittelbaren Vorgesetzten Dr. Dieter Schubert, der von 1991 bis 2005 in Radebeul die Funktion des Amtsleiters für Bildung und Kultur innehatte, auf großes Verständnis. Ebenso bei der damaligen Dezernentin Dr. Ellen Brink. Schließlich wurde 1992 erstmals ein Budget für Kunstankäufe in den Städtischen Haushalt eingestellt. Darüber hinaus fanden sich zahlreiche Förderer und immer wieder auch Künstler sowie Angehörige von Verstorbenen, die durch Schenkungen oder Verkäufe zu Sonderkonditionen zur Bestandserweiterung der Städtischen Sammlung beigetragen haben.

Die zunächst an verschiedenen Orten gelagerten Exponate wurden 2009 zusammengeführt und erstmals in eigens dafür eingerichteten Depoträumen untergebracht. Endlich konnte mit der fachlichen Arbeit begonnen werden. Doch die Freude darüber währte nur kurze Zeit. Und so hieß es bereits 2015, alles Kunstgut behutsam ein- und auspacken, auf eventuelle Umzugsschäden prüfen, in Stahlregale und Grafikschränke wieder neu einsortieren.

Die Städtische Kunstsammlung umfasst gegenwärtig weit über 2.000 Exponate. Das Profil ist ausgerichtet auf Werke von Künstlern, die in Radebeul ansässig waren oder sind bzw. deren Wirken in einer unmittelbaren Beziehung zur Radebeuler Kunstszene stehen. Den Schwerpunkt bilden Arbeiten aus dem 20. Jahrhundert, wobei sich zwei Weltkriege und gesellschaftliche Umbrüche als einschneidende Zäsuren auf das Schaffen und die Existenzbedingungen der Künstler nicht unerheblich ausgewirkt haben. Dass sich Radebeul ab Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem bedeutenden Industriestandort entwickelte, wurde von der Kunstszene weitestgehend ignoriert und bis heute dominiert die konventionelle Vorstellung von der privilegierten Villen-, Wein- und Gartenstadt. Der erste Kunstankauf, Heinz Draches Gemälde »Meine Umgebung« (i960], war bewusst gewählt. Ging es doch darum, mit dem Klischee zu brechen und das vielfältige Spektrum des künstlerischen Schaffens in der Lößnitzstadt aufzuzeigen.

Mit der Umwandlung des städtischen Museums Hoflößnitz, in die Stiftung »Weingutmuseum Hoflößnitz«, wurde 1997 dessen Gesamtbestand an Kunstwerken aufgeteilt. Den weíngutspezifischen Teil erhielt die Stiftung. Ein Konvolut von über 200 vorwiegend stadtgeschichtlich geprägten Kunstexponaten des 18., 19. und 20. Jahrhunderts ging in die Städtische Sammlung ein. Darunter befanden sich künstlerisch anspruchsvolle Gemälde von Karl Kröner und Paul Wilhelm sowie eine große Zahl romantisierender Heimatbilder. Die umfangreichen Konvolute aus den Nachlässen von Moritz und August Retzsch wurden zur Aufbewahrung und weiteren Bearbeitung an das Radebeuler Stadtarchiv übergeben.

Heinz Drache »Meine Umgebung« 1960, Öl auf Leinwand (Radebeul Ost)
Bild: Archiv Stadtgalerie

Unter dem Motto »Sammlung statt Sammelsurium« bietet die Stadtgalerie zum 25jährigen Bestehen der Städtischen Kunstsammlung bereits zum zweiten Mal einen umfassenden Einblick in den Sammlungsbestand. Gezeigt werden von achtzig Künstlern cirka einhundertfünfzig Exponate aus vier Jahrhunderten. Schwerpunktthemen sind Stadt- und Naturlandschaften, Künstlerbildnisse und Künstlerselbstbildnisse, figürliche Darstellungen, Tierstudien und Stillleben. Ausgewählte Arbeiten reflektieren zeitgeschichtliche Ereignisse und individuelle Befindlichkeiten. Beispielgebend seien in diesem Zusammenhang die Arbeiten »Zug der Trauernden« [1915] von Käthe Kuntze oder »Gerettete Stirngedanken« [1992] von Ingo Kuczera genannt. Das Ausstellungskonzept bietet dem Besucher zahlreiche Möglichkeiten des Vergleichs. Obwohl die Fülle der Exponate, die Räume der Galerie zu sprengen droht, stellt sich auf den zweiten Blick eine Ordnung her, die dem Titel der Ausstellung durchaus entspricht.

Mit ihrer Sammlung verfügt die Stadt Radebeul über einen reichhaltigen Bestand an Kunstwerken der Malerei, Grafik und Plastik von weit über einhundert verstorbenen und lebenden Künstlern, die auf unkomplizierte Weise in die Gestaltung von thematischen Ausstellungen oder in Gedenkausstellungen zur Würdigung verstorbener Einzelkünstler integriert werden können. Darüber hinaus beinhaltet die Sammlung Skizzenbücher, Entwürfe, Modelle, Bild-, Text-, Film- und Tondokumente. Für die kunstwissenschaftliche Forschung bietet sich ein breites Betätigungsfeld. Eine wichtige Aufgabe der nächsten Jahre ist die digitale Vernetzung mit regionalen und überregionalen Archiven und Museen.

Der eigentliche Wert der Sammlung besteht wohl darin, für künftige Generationen zum kulturellen Gedächtnis der Stadt einen Beitrag zu leisten. Und mit Mehrwert ist keinesfalls die fiktive Wertsteigerung auf dem Kunstmarkt gemeint.

In diesem Sinne wertvoll ist zum Beispiel eine kleine unscheinbare Porträtzeichnung, die der Radebeuler Kunstpreisträger Prof. Claus Weidensdorfer als Schüler von seinem Lehrer Dr. Georg Paech angefertigt hatte, der bei ihm das Interesse für die Kunst weckte, woran sich der 86-jährige renommierte Maler und Grafiker noch heute voller Dankbarkeit erinnert. Dr. Georg Paech wiederum war eine universell begabte Persönlichkeit. Das Monatsheft ››Die Vorschau« [Jg. 1958] widmete ihm einen doppelseitiger Beitrag. Einige künstlerische Arbeiten von Dr. Georg Paech sowie die erwähnte Porträtzeichnung hatte Prof. Claus Weidensdorfer der Städtischen Kunstsammlung geschenkt.

Claus Weidensdorfer »Musikshow« 2009, Tusche/Kohle
Bild: Archiv Stadtgalerie

Und so verbergen sich hinter vielen Exponaten der Sammlung Geschichten, die vom Leben in der Lößnitzstadt zu berichten wissen. Recht spannende Fragen sind zum Beispiel auch: Unter welchen Umständen sind die Kunstwerke entstanden und wie haben sich die Lebensbedingungen der Künstler im Laufe der Jahrhunderte verändert? Wie gelang es den Frauen, sich im Kunstbetrieb durchzusetzen? Welche künstlerischen Strömungen hatten Einfluss auf das Schaffen? Was verbirgt sich hinter den Begriffen »Die Sieben Spaziergänger« oder »Die Lücke«? Welche Künstler waren der Staatssicherheit ein besonderer Dorn im Auge und warum? Was wurde aus den sozialistischen Auftragswerken? Alles in allem für Kunstwissenschaftler und Historiker ein reiches Betätigungsfeld. Künstlerinnen wie Käthe Kuntze, Ruth Meier, Käthe Trehde und Magdalene Kreßner sind völlig unterschätzt und es lohnt sich, diese neu zu entdecken.

Gespräche mit lebenden Künstlern und Angehörigen verstorbener Künstler stehen in den kommenden Wochen auf dem Programm. Denn auf Fragen, die nie gestellt wurden, kann es auch keine Antworten geben. Alles ist ein Wettlauf mit der Zeit. Glück und Zufall waren dabei oft im Spiel. So rettete Werner Wittig im letzten Moment Ruth Meiers Druckstöcke vom Abfallcontainer. Gussy Híppold übergab der Stadtgalerie kurz vor ihrem Umzug vom »Haus Sorgenfrei« in einen Gorbitzer Plattenbau zahlreiche Druckplatten, Aquarelle und Grafiken für die Radebeuler Sammlung. Durch Vermittlung einer Radebeulerin schenkte vor wenigen Wochen ein privater Sammler der Städtischen Kunstsammlung drei gesellschaftskritische Tafelbilder von Horst Hille, die im Zeitraum von 1989 bis 1994 entstanden waren. Ebenfalls in diesem Jahr schenkten die Künstler Gunter Herrmann und Peter Graf der Sammlung Gemälde mit den Porträts der Künstlerkollegen Klaus Liebscher und Dieter Beirich.

Markus Retzlaff »Günter Schmitz« 1999, Holzschnitt
Bild: Archiv Stadtgalerie

Sammeln erfordert Leidenschaft, Wissen, Spürsinn. Glück, Geld. Zeit und Raum. Das Wissen wächst mit der Sammlung. Geld, Zeit und Raum sind jedoch knapp bemessen. Ein klares Sammlungsprofil wird auch in Zukunft erforderlich sein. damit aus der Sammlung kein Sammelsurium wird. Mit der Kunstsammlung besitzt Radebeul einen Schatz. Das in die Stadt gesetzte Vertrauen gilt es durch einen achtsamen Umgang mit diesem Schatz zu rechtfertigen. Und vielleicht erfüllt sich auch eines schönen Tages der Traum vom öffentlich zugängigen Schaudepot. Dass sich die Städtische Kunstsammlung seit 1992 so gut entwickeln konnte, ist der Verdienst von vielen Menschen. All jenen, die uns bei deren Aufbau aktiv und umsichtig begleitet haben, gilt unser herzlicher Dank. Den Besuchern der Jubiläumsausstellung wünschen wir Anregung, Erkenntnis und Genuss.

Da man auf die Eröffnungsveranstaltung nicht verzichten wollte, werden inhaltliche Schwerpunktbereiche wie Plastik, Kleingrafik. Fotografie und Dokumente zu einem späteren Zeitpunkt ergänzt. Ohnehin trägt die Ausstellung Prozesscharakter. Aktuelle Erkenntnisse fließen fortlaufend ein und es lohnt sich, die Ausstellung mehrmals zu besuchen.

Karin (Gerhardt) Baum

Geöffnet ist die Ausstellung vom 17.9. bis 29.10. und vom 19.11. bis 17.12.2017 Sonderführungen mit der Galerieleitung erfolgen in terminlicher Abstimmung unter 0160 2357039.
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