Ein Gymnasium für die Lößnitzgemeinden

lm Juli 1902 regte der Gemeinderat von Oberlößnitz die Errichtung „einer für die Verhältnisse passenden höheren Öffentlichen Lehranstalt“ an, was einem „schon lange empfundenen Bedürfnis entsprach“. Am 29. 8. 1906 wurde der Grundstein gelegt, am 7. 10. 1907 fand die Einweihung des großen schönen Hauses statt, das für die „Realschule mit Progymnasium“ errichtet wurde. Wieviele junge Menschen sind hier zur Schule gegangen? Ja, Schulzeit! Da hat ja jeder so seine eigenen Erinnerungen, von der „Zuckertüte“ bis zu „Prüfungsängsten“, an beliebte und weniger beliebte Lehrer, an Mitschüler und besondere Ereignisse ebenso, wie an Schülerstreiche.
– Doch wer könnte sich noch an die Anfangszeit erinnern? Nur Akten und Jahresberichte der Schule geben über das Wirken dieser Bildungseinrichtung in den ersten Jahrzehnten Auskunft: über die Geschichte, Lehrstoff, Schuleigentum, Namen der Lehrer und Schüler, Prüfungen u.s.w. Eröffnet hatte man die Schule bereits am 21. April 1906 mit den unteren Klassen in der alten Schule von Serkowitz. Da noch kein geeigneter Festraum zur Verfugung stand, fand die Feier in dem vom Gärtnereibesitzer Pietsch festlich geschmückten Saal des „Albertschlößchens“ statt. Die Festansprache hielt der Rektor Lic. Theol. Fritzsche. Erste Geschenke waren ein Harmonium von Frau Barth, Radebeul, und ein Globus von Herrn Pittjus. Der Buchhändler Lämpe in Radebeul versprach, jährlich ein Buch zur Prämierung des besten Schülers zu stiften. Die Realschule umfaßte 6 Klassen. Zur Aufnahme genügte das erfüllte 9. Lebensjahr und eine in mindestens 3 Jahren Volksschule erworbene gute Vorbildung. Erwünscht war allerdings, die Kinder erst nach dem 4. Schuljahr aufzunehmen. Der Unterricht umfaßte zunächst die Fächer Religion, Deutsch, Französisch, Englisch, Geschichte, Erdkunde, Rechnen und Mathematik, Naturbeschreibung, Naturlehre (Chemie und Physik), außerdem Linear- und Freihandzeichnen, Schreiben, Gesang und Turnen, Daneben gab es für Interessenten die Möglichkeit, Anfangsgründe der Stenographie, der Trigonometrie und des kaufmännischen Rechnens zu erlernen. Die Realschule war also bestimmt, „für den unmittelbaren Übergang in das bürgerliche Leben eine allgemeine, über das Ziel der Volksschulen hinausgehende Bildung zu vermitteln“. Das Reifezeugnis einer sächsischen Realschule berechtigte z B. zum einjährig-freiwilligen Militärdienst, zur Feldmesserlaufbahn, zum Besuch der Königlichen Gewerbeakademie, zum Eintritt in die Baugewerkenschule und Tiefbauschule in Zittau, in das Königliche Lehrerseminar, und in die mittlere Beamtenlaufbahn. Es ginge zu weit, alle Möglichkeiten aufzuführen. Das angegliederte Realprogymnasiurn umfaßte anfangs nur die Klassen bis Untersekunda, erst später erfolgte die Weiterführung bis Oberprima. Der Lehrplan – natürlich mit Latein – entsprach dem für Realgymnasien. Die Abschlußprüfungen fanden öffentlich statt. Prüfungsarbeiten, Zeichnungen und Handfertigkeitsarbeiten der Schüler lagen zur Einsicht aus. Übrigens, Mädchen wurden damals nicht in die Schule aufgenommen.
Neben den Schulentlassungsfeiern gab es natürlich auch andere Anlässe, z. B. Weihnachtsfeiern und bestimmte Gedenktage. Regelmäßig feierte man die Geburtstage des Sächsischen Königs und des Kaisers mit der gesamten Schülerschaft. Den musikalischen Teil gestaltete Herr Kolibabe an der Orgel mit dem Schulchor und einzelnen Solisten aus dem Kreis der Schüler. Die „Festreden“ waren aber stets unter ein „fachliches“ Thema gestellt. Zum Beispiel sprach beim Kaisergeburtstag Herr Oberlehrer Dingeldey uber „Kathoden-, Röntgen- und Becquerelstrahlen und die Hypothese des Elektron“, in einem anderen Jahr Herr Dr. Schoene über „Erdbeben und ihre Verbreitungsgebiete“.
Ein Höhepunkt im damaligen Schulleben war der 4. Mai 1909. Im Jahresbericht ist zu lesen: „Mit freudiger Spannung sahen wir dem 4. Mai entgegen, hatte doch für diesen Tag Se. Majestät König Friedrich August unserer Anstalt seinen Besuch zugesagt. Von hohen Masten wehten die Flaggen in Reichs- und Landesfarben Das Treppenhaus war mit Lorbeerbäumen und Teppichen geschmückt, die nördliche Seite des Schulsaales in einen Palmenhain verwandelt. Inmitten desselben stand auf teppichbelegtem Tritt der Sessel für den König, beiderseits die hohen Lehnstühle für die Herren seines Gefolges, der Schulkommission und des Lehrkörpers. Schüler und Schulchor hatten sich vor der Orgel aufgestellt. Unter Hochrufen begrüßte der Rektor Se. Majestät ehrfurchtsvoll am Portal und geleitete ihn unter Orgelspiel in den Schulsaal. Der Schulchor trug das Lied „Ich bin ein Sachse …“ vor, und der Rektor brachte in seiner Ansprache Dankesworte und das Gelübte unverbrüchlicher Treue zum Ausdruck. Der König bewies „die ihm eigene Freundlichkeit dadurch, daß er beim Verlassen des Saales die Schülerschaft mit lobenden Worten auszeichnete.“ Nach Besichtigung der Schule und einer kleinen Ausstellung geleitete der Rektor Se. Majestät durch das Spalier der Schüler zum Ausgang. „Zur Erinnerung an diesen denkwürdigen Tag beschloß die Schulkommission die Errichtung von 6 Freistellen, um tüchtigen, aber unbemittelten Schülern die Aneignung einer höheren Bildung zu ermöglichen“.
Im Schuljahr 1914/15 hatten die Schüler, die 1906 als erste in der Sexta begonnen hatten, eben die Oberprima erreicht, da brach „längst erwartet und doch überraschend während der Sommerferien der Krieg aus. – Welch eine Begeisterung für Kaiser und Reich, für König und Vaterland löste der Mobilmachungsbefehl vom 2. August überall wo Deutsche wohnten aus.“ liest man im Jahresbericht. Die Lehrer Dr. Naechster, Nietzold und Dr. Thenius eilten zu den Fahnen, 43 Schüler meldeten sich freiwillig. In den folgenden Jahren beeinflußte das Kriegsgeschehen den Unterricht und das Schulleben tiefgreifend. Die Schulgeschichte ließe sich fortsetzen, doch das vielleicht später einmal. Knüpfen wir an das Jahr 1902 an, in dem der Beschluß zur Errichtung des Gymnasiums gefaßt wurde, – nun, – 90 Jahre später, wird das Haus nach Jahrzehnten anderer Nutzung wieder zum Gymnasium.

Lieselotte Schließer

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