Rauschendes Sommermärchen im zeitigen Frühling

Zur Premiere von William Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ am 10./11.3. 2018

»Ein Sommernachtstraum« mit Moritz Gabriel, Michael Berndt-Cananá, Holger Uwe Thews und Jürgen Haase
Bild: H. König

In die Vorfreude auf die Neuinszenierung des „Sommernachtstraums“ hatte sich bei mir in den Tagen zuvor auch ein wenig Furcht gemischt, denn ich hatte die Textvorlage zur Hand genommen und die Figuren durchgezählt, die der große Barde für dieses Stück als Handlungsträger vorgesehen hatte. Es sind 27, nicht mitgezählt „andere Elfen“ und „Gefolge“ als üppiges darstellerisches Beiwerk. Kein Wunder also, dass vor nunmehr 20 Jahren insgesamt knapp 40 Akteure die Bühne bevölkert hatten, als in der Inszenierung Carsten Ramms der „Sommernachtstraum“ auf der Felsenbühne gegeben wurde. Ich weiß noch, wie mich das Verwirrspiel um Lieben und Geliebtwerden damals irritiert hatte und ich am Ende nicht mehr wusste, wer warum und durch wen zum Lieben oder Hassen veranlasst oder davon auch wieder geheilt wurde. Insofern war damit schon die eigentliche Aufgabe für Regisseur Peter Kube und Dramaturgin Uta Girod gestellt: Die verworrenen, sich überlagernden, aber auch gegenseitig bedingenden Handlungsstränge so zu entflechten, dass es für den Zuschauer transparent bleibt. Und das gelang durch Erstellung einer stringenten Spielfassung und damit Konzentration auf das Wesentliche auf bravouröse Weise, sodass nach knapp drei Stunden das begeisterte Premierenpublikum bestens gelaunt in den Frühlingsabend entlassen wurde. Kube und Girod hatten natürlich gegenüber Ramm einen entscheidenden Vorteil, denn sie konnten – anders als es vor 20 Jahren möglich war – auf die großartige, in einem sehr heutigen Deutsch geschriebene, dennoch den Shakespeareschen Sprachwitz auf frische Weise in unsere Hörgewohnheiten überführende Übersetzung Frank Günthers zurückgreifen, die seit Ende der 1990er Jahre die altbackene Fassung Schlegels aus dem 19. Jahrhundert obsolet werden ließ. Und so lässt man sich gleich von Beginn an sehr bereitwillig auf dieses für sich genommen märchenhafte Spiel ein, das zwischen der realen Welt Athens (als Herzog Theseus agiert Matthias Henkel) und dem magischen Reich der Elfen (deren Königspaar Oberon und Titania wird von Grian Duisberg und Sandra Maria Huimann interpretiert) immer hin und her wechselt. Zwischen diesen Welten suchen, finden und verlieren sich die vier jugendlichen Athener Lysander, Demetrius, Hermia und Helena (Felix Lydike, Johannes Krobbach, Luca Lehnert und Julia Rani), an deren unsteten hormonellen Zuständen vor allem Puck Schuld ist. Diese Figur, die üblicherweise durch junge und kleine oder wenigstens drahtige Ensemblemitglieder besetzt wird, gewinnt durch Tom Hantschel eine ganz eigene Note: Dessen Puck ist eine schon leicht altersschwache Elfe, die aber außerordentlich sympathisch in ihrer behäbigen Massigkeit wirkt und dem mitunter rasanten Treiben im nächtlichen Wald eine gemütliche Präsenz á la Balu dem Bären aus dem „Dschungelbuch“ entgegensetzt. Alles andere als Gemütlichkeit verbreiten dagegen vier Athener Handwerker (Michael Berndt-Cañana, Moritz Gabriel, Jürgen Haase und Holger Uwe Thews), die zu Ehren der bevorstehenden Vermählung zwischen Theseus und Hippolyta (Sophie Lüpfert) ein kurioses Theaterstück einstudieren, in denen es – wie könnte es anders sein – auch wieder um zwei Liebende geht, Pyramus und Thisbe. Das hanebüchen amateurhafte, mitunter hektisch-stümperhafte Agieren der vier Männer mit Akkuschrauber, Taschenlampe, Karabinerhaken und Bierflaschen ist so wunderbar komisch und einfallsreich in Szene gesetzt, dass man aus dem Lachen kaum herauskommt. Großartig in diesem „Stück im Stück“ vor allem Michael Berndt-Cañana in seiner zweiten Rolle als Thisbe, bemerkenswert auch Holger Uwe Thews, der vom Habitus her glatt als jugendlicher Rod Stewart durchgeht. Zahlreiche gelungene Einfälle verstärken den inszenatorischen Ansatz, die irreale Binnenhandlung dieses Stück vor allem als einen lang anhaltenden Traum erlebbar zu machen, denen die vier jungen Liebenden in einer warmen Sommernacht ausgeliefert sind. So geht ein Mond in wechselnden Farben auf und unter, flimmern beeindruckende Lichtarrangements über sanftem Klangteppich durch den Bühnenraum, erscheint die Natur belebt durch raschelndes Blätterwerk und schwankende Bäume (Ausstattung: Barbara Blaschke). Wesentlich trägt auch die Wahl der Kostüme zu dem insgesamt sehr überzeugenden Eindruck des Stückes bei. Klug akzentuieren diese die jeweilige Zugehörigkeit zur menschlichen und zur Traumwelt. Während alle Athener (zu denen auch noch Michael Heuser als Egeus zählt) in einfarbigen oder wenigstens gedeckten Kostümierungen zu erleben sind, wahren alle Figuren der Traumwelt in ihren exaltierten Gewändern und Maskeraden auch optisch den Abstand zur Wirklichkeit.

Warum bringt man ein solches über weite Strecken lustiges und unpolitisches Stück in aufwühlenden Zeiten wie den unserigen auf die Bühne? Wäre nicht eine der vielen Shakespeareschen Historiendramen oder Tragödien angemessener gewesen, aus Sicht der Überzeitlichkeit dieser Stoffe einen tiefen Blick in die Abgründe unserer Tage zu wagen? Vielleicht. Aber Humor und Frohsinn sind schon immer subtile Waffen im Kampf gegen Verzweiflung und Ratlosigkeit gewesen. Insofern haben die Landesbühnen an diesem Abend alle Besucher aufs Beste ausgerüstet. Danke.

Bertram Kazmirowski

Aufführungen ab April: 1.4., 7.4., 3.5. Radebeul, 21.4. Meißen.

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