Zwischen Traum und Wirklichkeit

25 Jahre Verein für Denkmalpflege und Neue Bauen Radebeul e.V.

Der Aufbruch geschah noch in der Zeit des allgemeinen Aufbruchs. Es war eine Art zweiter Gründerzeit, eine Zeit zwischen Traum und Wirklichkeit. Vieles war möglich und noch mehr wurde für möglich gehalten.

Als wir den Verein gründeten wurde gerade das Sächsische Denkmalschutzgesetz auf den Weg gebracht. Erste Entwürfe dazu waren schon im Herbst `89 von Denkmalpflegern und Archäologen, denen ich mich damals noch zugehörig fühlte, zu Papier gebracht worden. Es basierte auf Erfahrungen, die wir in der DDR gemacht hatten. Erfahrungen im gesamtdeutschen Verwaltungshandeln fehlten logischer Weise.

Mein erster Traum bei der Gründung des Vereins bestand in der Vision, ein geistiges Klima schaffen zu können, das das Denkmalschutzgesetz überflüssig macht. Recht bald musste ich jedoch erfahren, dass das eine derjenigen Visionen war, bei deren Auftreten Altbundeskanzler Helmut Schmidt einen Arztbesuch empfohlen hatte.
Ich bin nicht zum Arzt gegangen. Stattdessen haben wir Vorträge organisiert, Exkursionen und Busreisen. Wir haben Denksteine ans Licht geholt, Radebeuls bedeutendste Grabfigur gesichert und Theater gespielt. Wir haben Diskussionsrunden moderiert und Bauherrenpreise vergeben. Mit all dem haben wir auch versucht, dem Wort Heimat einen Klang zu geben, dass es nicht mit Schaum vorm Mund ausgesprochen werden muss. Doch es kam anders: Noch immer gilt der Denkmalpfleger als natürlicher Feind allen Baugeschehens, dabei hatte der leider verstorbene ehemalige Kulturamtsleiter Dr. Dieter Schubert mit Bedacht das Feindbild umgehen und das „Neue Bauen“ im Namen des Vereins verankert wissen wollen. Das Denkmalschutzgesetz ist heute nötiger denn je, zumal die Denkmalbehörde nach Großenhain ausgelagert wurde. Schließlich fällt auch das Wort „Heimat“ zunehmend in die Hände jener, die schon beim Aussprechen des Wortes alles zerstören, was Heimat sein könnte. Der Traum hat sich nicht erfüllt. Ernüchtert bin ich aufgewacht.

Ein zweiter Traum bezog sich auf die im Artikel 14 (2) des Grundgesetzes verankerte Sozialbindung des Eigentums, worauf ja auch das Denkmalschutzgesetz zu wesentlichen Teilen basiert. Die Berater aus dem Westen lachten: das ist nicht durchsetzbar. Eigentum verpflichtet nur die anderen, nämlich dazu, draußen zu bleiben und die Schnauze zu halten. Wir wollten es nicht glauben. Aber sehen wir uns um: Friedensburg, Bahnhof West, Villa Kolbe, Gasthof zum Russen …
Ernüchtert bin ich aufgewacht.

In den Anfangsjahren des Vereins mahnte ein Herr Neidhard, bestallter Berater von der Stadtentwicklung Baden-Württemberg in Diensten der Stadt Radebeul, zu Besonnenheit und warnte vor schnellen Erfolgen. Die autogerechte Stadt, sagte er, gibt es nicht. Im Westen sei man diesem Gedanken vierzig Jahre lang vergeblich nachgelaufen. Verkehr muss ordnend geplant werden. Ihr müsst, sagte er weiter, ja die Fehler, die wir im Westen gemacht haben, nicht wiederholen. Er war keine zwei Jahre im Amt. Freie Fahrt für freie Bürger ist offensichtlich nicht zu bremsen. Wir haben schon vor zehn und mehr Jahren mit sachkundiger Unterstützung durch die TU Dresden eine ganze Reihe von Veranstaltungen und Ideenkonferenzen zur Zukunft der Meißner Straße angezettelt. An der Zillerstraße drohten Experten schon damals, die Straßenbahn könne dort bald nicht mehr fahren. Sie fährt immer noch und die Experten drohen auch immer noch. Die Schildbürger aber planen eine vierspurige Straße zwischen zwei Nadelöhren.
Ernüchtert bin ich aufgewacht.

Der unruhige Schlaf, das wiederholte ernüchterte Erwachen führten mitten in dunkler Nacht zu der Frage: was wäre wenn?

Wie sähe es aus, unser schönes Radebeul, wenn wir uns die Ernüchterung erspart und gar nicht erst geträumt hätten? Gibt’s noch mehr und anderes, um das es schade wäre, als die Brunnen und Plätze, deren Gestaltung wir anregten oder die Fußwege auf der Bahnhofstraße, die auch auf unser Betreiben hin ansprechend gestaltet worden waren?
Ein Jubiläum bietet Gelegenheit, auch solche Fragen zu bewegen.

Thomas Gerlach

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