Hans Theo Richter – späte Zeichnungen

Für den Vorstand der Hildegard und Hans Theo Richter-Stiftung unter Leitung der Geschäftsführenden Vorsitzenden, Frau Christine Meinhold, ist es eine besondere Freude, mit dem Käthe Kollwitz Haus in Moritzburg einen Ausstellungspartner gefunden zu haben, mit dem gemeinsam an den großartigen Zeichner und Meister der Lithographie Hans Theo Richter erinnert wird. Es ist ein kongenialer Ort, denn die Gemeinsamkeiten im Werk von Käthe Kollwitz und Hans Theo Richter sind evident. So verwundert es auch nicht, dass Hans Theo Richter im Jahr 1943 Käthe Kollwitz in Berlin, also unmittelbar vor ihrer Flucht vor dem Krieg nach Nordhausen und der Einladung von Ernst Heinrich von Sachsen nach Moritzburg in den Rüdenhof, besuchte.

Porträt: Hans Theo Richter
Bild: H. Pölkow


Während sich Käthe Kollwitz unerschrocken gegen Unrecht, Krieg und nationalsozialistische Willkür einsetzte, vermied Hans Theo Richter die offene Konfrontation mit der staatlichen Macht, lehnte allerdings unerbittlich die Benutzung seiner Person für fremde politische Zwecke ab. Das betraf sowohl die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen als auch die kommunistische Diktatur im damals noch geteilten Deutschland. In der künstlerischen Meisterschaft auf dem Gebiet der Zeichnung und der Druckgraphik sind beide Künstler einander ebenbürtig, ebenso wie sie die tiefe Menschlichkeit ihrer Kunst, der grundsätzliche Humanismus, miteinander verbindet.

Bei der Durchsicht der von der Witwe des Künstlers, Hildegard Richter, akribisch gesammelten und abgelegten Berichte, Würdigungen und Rezensionen über Werk und Leben ihres Mannes fällt auf, dass die Rezeption seines Oeuvres in den Jahren um 1962 mit der großen Ausstellung im Dresdner Kupferstich-Kabinett ihren Höhepunkt hatte. Ihm wurden damals große Ausstellungen und Ehrungen in ganz Europa zu Teil. In jenen Jahren hat Hans Theo Richter eine ganze Reihe von Werken geschaffen, die zu seinen ausdrucksstärksten zu zählen sind.

Das zentrale Thema im Werk Hans Theo Richters ist die Darstellung der menschlichen Gestalt und ihrer dahinter liegenden psychischen Physiognomie. Von Ausnahmen abgesehen, beschränkt er sich auf diesen Bereich der bildnerischen Darstellung. Der Bogen spannt sich vom neugeborenen über das heranwachsende Kind bis hin zum alternden Menschen und präzisen Porträts. Oftmals sind es Mädchen und Frauen, die er gestaltet hat, zumeist hineingestellt in alltägliche Situationen, dabei ist eines allerdings in allen Jahrzehnten seines Schaffens immer wiederkehrend:

Die Beziehung von Mutter und Kind.

Richter, Hans Theo: Mutter mit Kind; um 1965, Pinsel in Tusche über Kreide, 421 x 295 mm, Foto: Herbert Boswank


Er zeigt die Mutter nicht nur als die ernährende, sondern lehrende, als Erziehungsmittelpunkt sowie seelische und geistige Stütze eines jungen Menschen. Damit ist er wohl der letzte deutsche Künstler der dieses Thema, das stets ein Hauptthema der deutschen Kunst von Albrecht Dürer bis hin zu Käthe Kollwitz gewesen ist, behandelt hat. In England hat zur gleichen Zeit Henry Moore, der etwa gleichaltrig war, dieses Thema besonders hervorgehoben. Und natürlich Picasso, der immer wieder aus seinem persönlichen familiären Leben und Erfahrungen heraus Mutter und Kind dargestellt hat. Gerade auch in diesem Vergleich scheint die Auffassung von Hans Theo Richter in ihrer besonderen Sensibilität und Empfindsamkeit, mit der er die Beziehung zwischen Mutter und Kind schildert, ganz besonders zu sein.

Im Jahr 1969 verschwinden diese mehrfigurigen, oftmals delikat lavierten Darstellungen fast völlig, dennoch dominieren der Tuschpinsel und die zarte Kreidezeichnung auch die letzten Werke des Künstlers.

Von Rembrandt hat Richter sicher das dramatische Hell/Dunkel übernommen, allerdings stiller und zurückhaltender eingesetzt. Von Käthe Kollwitz stammt das Modellieren der Figur. Richter arbeitete nach Modell, es diente ihm als Vorlage und Anregung. Er zeichnete in Verdichtung, abstrahiert, vereinfacht, er fügt zusammen, verstärkt. Durch die Kunst des Weglassens, die besonders in den späten Zeichnungen hervorsticht, gelangt er nicht in eine Erstarrung, sondern zur Vielfalt und Reinheit der Formen und gleichzeitig zum Verzicht auf alles Nebensächliche. Ein einheitlicher Klang beschreibt die späten Zeichnungen, gepaart mit einer merkwürdigen Melancholie.

Aus Erzählungen von Hildegard Richter wissen wir, dass sie an seinen Geburtstagen einen großen Strauß Sonnenblumen, die er besonders liebte und die für ihn die Boten des nahen Herbstes waren, arrangierte.
Der innere Blick von Hildegard Richter ging oftmals zurück in den Februar des Jahres 1945, als Hans Theo Richter in Leipzig mit tiefster Bestürzung und Fassungslosigkeit vom Tod seiner ersten Frau und dem fast vollständigen Verlust seines bisherigen Werkes erfuhr. Er schrieb damals: „Der Krieg hat mir die Farbe verschüttet, der Krieg und die Erlebnisse“. Hans Theo Richter wandte sich den folgenden Jahrzehnten fast ausschließlich der Schwarz-Weiß Kunst zu, eine Ausnahme ist lediglich eine kleine Gruppe von Aquarellen, die anlässlich eines Aufenthaltes an der Ostsee im Jahr 1951 entstanden sind. Frau Richter erzählte, wie sehr ihr Mann vom Anblick des Landes am Meer überwältigt war und zum Pinsel griff, allerdings hat er sehr schnell gefühlt, dass die Farbe nicht mehr sein Element war, zu schwer lasteten die Erfahrungen aus der Vergangenheit auf ihm.

Hans Theo Richter musste in seinem letzten Lebensjahrzehnt sehr sorgsam mit seiner Arbeitsfähigkeit umgehen, so entstanden seine letzten großformatigen Lithographien im Jahr 1960, auch bedingt durch die Krankheit des fabelhaften Druckers Roland Erhardt, danach widmete sich Richter fast ausschließlich der Zeichnung. Mitte April 1966 erlitt er einen Herzinfarkt, im folgenden Jahr kam ein schwerer Diabetes hinzu. Er nahm sich immer stärker zurück. Er verfügte über die Weisheit, sich zu beschränken und hat vermutlich gespürt, dass er nicht sehr alt werden würde. Die Tonlage in seinen Zeichnungen wurde insgesamt leiser, die Stimmung noch stiller und zurückhaltender. Die Kompositionen sind lockerer, atmen freier in hellen Flächen und versinken zuweilen in einem feinen, empfindsamen Dunkel. Zumeist sind es Köpfe in gewohnter enface Darstellung, Profile und Halbprofile. Der voreingenommene Betrachter wird vielleicht eine gewisse Eintönigkeit vermuten, plötzlich jedoch erkennt man den inneren Zusammenhang: Egal ob es sich um die Darstellungen namhafter Personen wie den Doyen der Dresdner Kunstwissenschaft, Fritz Löffler, handelt, oder aber eine einfache Angestellte der Hochschule für bildende Künste, wie das Portrait Frau Pfütze, deren Profil sich gleichsam dem Matterhorn aus dem Nebel schält. Während Hans Theo Richter speziell in den 1950er Jahren im Verborgenen viel experimentiert hat, durchaus auch Picassos figürliche Zeichnungen im Blick hatte, so hinterlässt er uns dann mit den letzten Blättern aus dem Jahr 1969 in gewisser Weise sein künstlerisches Testament.

In seinem Todesjahr hat er Künstlerkollegen und Menschen, die ihm besonders nahe standen, portraitiert. So sind diese wunderbaren präzisen Zeichnungen das letzte Wort und ein starkes Vermächtnis des Künstlers. Er hat die Künstler dargestellt, die die modernen in Dresden waren: Hermann Glöckner, Willy Wolff, Max Uhlig, seinem besten und bedeutendsten Schüler, so dass diese Porträts seiner Kollegen zugleich auch ein künstlerisches, geistiges Bekenntnis zu diesen Außenseitern in der Kunst der DDR sind, unabhängig von der bis zu letzt beherrschenden Konzentration Hans Theo Richters auf die menschliche Erscheinung. In diesen letzten Zeichnungen nahm er sich besonders zurück.

Die Darstellungen erscheinen modelliert, gleich den Bozetti des Bildhauers, die Motive sind eher zusammengefügt, als aus einem Stück gehauen. Fast meint man, vor Bildhauerzeichnungen zu stehen. Die Dargestellten erscheinen in sich gekehrt, zumeist in einer leichten Versunkenheit, ohne allerdings die große Traurigkeit der Werke Paul Klees aus seinem Todesjahr zu atmen.

Hans Theo Richter verstand sich ausschließlich als Zeichner und Graphiker und er war sicherlich einer der besten seiner Zeit. Die feinen Blätter knüpfen in gewisser Weise an die unübertroffenen Zeichnungen Michelangelos an, sind natürlich in Duktus und Stil ganz anders als diese Inkunabeln der italienischen Renaissancekünstler, ebenso wie sie sich deutlich von dem Klassizismus eines Dominique Ingres oder aber dem Nazarener Julius Schnorr von Carolsfeld und dem Romantiker Carl Philipp Fohr unterscheiden. Trotzdem sind sie unbestritten die logische Fortsetzung in dieser Reihe der großen europäischen Kunstgeschichte.

„In der Beharrlichkeit ist die hohe Achtung begründet, die ihm heute gezollt wird.“ Diesen Worten von Elmar Jansen, einem Kunstkritiker und Zeitgenossen Richters, bleibt nichts hinzuzufügen.

Christine Meinhold
Geschäftsführender Vorstand der Hildegard und Hans Theo Richter-Stiftung

Sebastian Schmidt
Ehrenamtlicher Vorstand

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