Neues aus dem Lügenmuseum
Das Laby rinnt. Es rinnt die Zeit. Gewesenes bestimmt die Gegenwart. Manchmal bedarf es der Vergegenwärtigung. Im Labyrinth gelangt der Gast, wie um sich selbst sich drehend, mit der Gästin zur eigenen Mitte. Innerlich bereichert gelangen beide ins Leben zurück.
„Zwiefach sind die Fantasien“, wußte Wilhelm Busch, vierfach feiert Zabkas Zaubertruppe den herrlichen Herbst `89:
Zuerst mit „Labystan“ in der Berliner Zionskirche. Der berühmte Ort der Umweltbibliothek war, einst bestüberwacht, im Sommer Schauplatz für „eine atemberaubende Inszenierung“: Vor der Kirche stand ein Grenzhäuschen mit Schlagbaum. Drinnen konnte sich jeder selbst einbürgern und mit einem Amt versehen. Dann warteten Künstlerplakate, Installationen, Videos mit Geschichten, erzählt von Leuten, die dabei gewesen sind. Selbst ein DDR-Karaoke war zu erleben: Beim Anheben alter Deckel auf alten Töpfen erklangen beliebte DDR-Schlager. An der Empore hängend verkündete ein riesiges Banner das Motto des Tages: „Liebe futsch, Revolution vorbei, Spaghetti kalt“ – und alles ohne Zwangsumtausch.
Dann begeisterte die Ausstellung „Labytopia – Altäre der Revolution“ in der Kreuzkirche zu Dresden. Gemeinsam mit Co-Kuratorin Juliane Vowinkel hat Reinhard Zabka acht Künstler eingeladen, das Jubiläum zu reflektieren: Klaus Liebscher – Dialog; Angela Hampel und Steffen Fischer – Mitgift; Frank Herrmann – Altar der Einfalt; Marion Kahnemann – Helden oder wer ist wie wir; Karola Smy und Wolfgang Smy – Altar für Reisefreiheit; Sophie Cau – die Fahnen der vier Siegermächte; sowie Justus Ehros – Gewitterwarnung am Montag.
Reinhard Zabka selbst wartete mit einem „Friedlichen Revolutions- Orchestrion“ auf.
Die Ausstellung weckt Erinnerungen an Träume und Visionen der Akteure von `89, sie erinnert an Notstandskreativität, an die Macht der Fantasie im Schatten der Zensur. Sie verbindet die prägenden Lebensgefühle von einst mit den labyrinthischen Erfahrungen des Einigungsprozesses und den damit verbundenen Verlusten, die bis heute nachwirken. Sie nährt die Hoffnung, daß die damals aufgebrochenen positiven Energien auch die blaue Stunde überdauern.
Brauchts dazu Kirchen? Brauchts Altäre?
Die Fragen liegen auf der Hand wie die Antworten: Denn einst wie jetzt bieten Kirchen Frei – Räume für Lebensäußerungen jenseits aller Ideologien und frei von Kommers – pardon, Kommerz. Schließlich geht es nicht um die Anbetung der Asche der Friedlichen Revolution, es wird auch kein Deutungs- oder Historikerstreit zelebriert. Es geht um das `89er Lebensgefühl, es geht darum, das innere Feuer von damals den nachfolgenden Generationen authentisch zu vermitteln.
Die Ausstellung, die durch das Förderprogramm „Revolution und Demokratie“ des Freistaates Sachsen ermöglicht wurde, ist zweiteilig konzipiert: Nach der Präsentation in der Kreuzkirche wird sie in ihren Bestandteilen in das Radebeuler Lügenmuseum integriert.
Doch vor dem Umzug gab es als dritten Akt das „Labyläum“ zum Untergang der DDR auf den Radebeuler Elbwiesen.
Wie immer zum traditionellen Herbst- und Weinfest hatten Richard von Gigantikow und sein Team aus einem Berg alter Paletten ein Labyrinth entstehen lassen, diesmal: die aus Ruinen erstandene DDR.
Sie errichteten eine Mauer mit Wachtürmen, Fluchttunnel, Straßennamen, dem „Loch zu Bautzen“. Auch der „Pleitegeier aufm Ochsenkopf“ durfte nicht fehlen. Nachdem ein Wochenende lang Besucherströme bei bestem Wetter, Livemusik zwischen spielenden Kindern und mit Orakel versehen, das Labyrinth mit tausenden Fragen und Antworten ausgestattet hatten, ging zum Grande Finale alles in Flammen auf, auch die Alternative „Lieber Kohl als rote Rüben“. Fasziniert beklatschten tausende Schaulustige das Feuer, gegen das sich Hammer, Zirkel und Ährenkranz auf hoher Warte lange wehrten.
Im vierten Akt nun wird die Ausstellung „Labytopia – Altäre der Revolution“ am 30. Oktober ins Lügenmuseum aufgenommen.
Dorota und Reinhard Zabka bewahren hier nicht nur die bewegenden und beweglichen Zeugnisse der DDR – Underground – Kunst, sie bewahren damit auch den ältesten Gasthof der Lößnitz vor dem Verfall – nicht alles ist wert, zugrunde zu gehen, auch wenn das Laby rinnt wie die Zeit!
Wers zur Eröffnung nicht geschafft hat, wisse: Es gibt immer wieder Neues zu sehen im Lügenmuseum.
Thomas Gerlach