Es war eine überaus nützliche Lehrzeit

Als der Wunsch an mich gerichtet wurde, aus der Erinnerung über meine zu ,,Urzelten“ wahrgenommene Tätigkeit als freier Mitarbeiter der Radebeuler VORSCHAU zu schreiben, reagierte ich ebenso überrascht wie skeptisch. Ersteres, weil man sich nach all den Jahren noch an mich erinnerte, andererseits aus der Ungewissheit, ob denn meine Reminiszenzen überhaupt eine Veröffentlichung rechtfertigen würden. Letztendlich siegte Wolfgang Grösel mit gemütvoller Überredungskunst und dem trefflichen Ratschlag ,,Karlheinz, schreib‘ einfach ganz persönlich, vielleicht über etwas, was Dich selbst betrifft.“ Also ging ich es an. Im Verlauf meiner gedanklichen Retrospektive machte ich eine verblüffende Feststellung: Meine seinerzeitige Tätigkeit in Radebeul, die quasi eine Art Zwangs-Zwischenetappe in meinem von 1949 – 52, dann erneut seit 1958 währendem Berlin-Dasein darstellte, offenbart sich heute für mich als eine überaus nützliche Lehrzeit sowie als beflügelnder Start für meine seither partiell vonstatten gegangenen Entwicklungen als Journalist, Autor und Bühnensprecher. Es war 1954, als der damalige ,,Macher“ der neugeborenen Radebeuler VORSCHAU, Günther Rehschuh sich bei mir vorstellte, ohne Umschweife sein Anliegen vortrug und mich regelrecht in’s kalte Wasser stieß, indem er mich kurzerhand zum monatlichen Filmkritiker der ,,Vorschau“ machte. Etwa so: ,,Keine Ausflüchte! Sie sind Theaterwissenschaftler und Regisseur und tragen, wie ich mit Freude feststellen konnte, keine dogmatischen Scheu-klappen. Nur Mut, einen wie Sie brauche ich!“ Und so schrieb ich über nahezu fünfzehn Jahre (also auch noch lange nach meiner erneuten Übersiedlung nach Berlin) in schöner Regelmäßigkeit den Beitrag „Film des Monats“. Drei Jahre nach dem Start verhalfen mir die VORSCHAU-Kritiken unverhofft zum ersten Verlags-Autorenauftrag. Und wer weiß, ob ich später so viele Hüllentexte für AMIGA-Jazzplatten, über rund drei Jahrzehnte Musikbeiträge für ,,Melodie und Rhythmus“ und überdies auch zwei Jazzbücher geschrieben hätte, wenn nicht dieser „Stoß in‘s Wasser“ gewesen wäre. Auch meine Laufbahn als Bühnensprecher nahm, wie schon angedeutet, ihren Start quasi im Schatten der Radebeuler VORSCHAU. Zwar hatte ich aufgrund meiner schon seit Jugendjahren gehegten Ambitionen für den Jazz bereits in kleinerem Kreis diese und jene Jazzveranstaltung ,,angesagt“, vor allem auch Vorträge für die Anerkennung des Jazz gehalten, jedoch noch nie als sog. Conferencier mit einem abendfüllenden Programm auf großer Bühne vor großem Publikum gestanden. Auch das begann mit dem Stoß in’s Wasser, und wieder hatte Günther Rehschuh die Hände mit im Spiel. Ausgangspunkt war, dass die VORSCHAU und die Stadt Radebeul/Kulturdezernat im Februar 1954, zur Faschingssaison erstmals eine gemeinsam organisierte ,,Mach mit“-Quiz-Veranstaltung in dem oberhalb von Radebeul-West gelegenen „Haus der Werktätigen“ geplant hatten, wozu von zahlreichen Geschäftsleuten recht ansehnliche Preise gestiftet worden waren. Und ausgerechnet mich hatte man als Spielmeister auserkoren! Ich bekam regelrecht Angstzustände, sträubte mich mit vielen Ausreden, aber die anderen meinten unbeirrt: ,,Wir sind uns absolut darin einig, dass gerade Sie der Richtige dafür sind. So locker und witzig, wie Sie täglich über den Radebeuler Stadtfunk (so etwas gab’s damals tatsächlich) die Bürger ansprechen, so stellen wir uns auch den Kontakt zum Publikum als Quizmeister vor. Da gibt es gar keine Widerrede, wir machen das NUR mit Ihnen.“ Also sprang ich wieder einmal in‘s kalte Wasser. Fazit: Die Veranstaltung wurde zu meinem ungläubigen Erstaunen ein echter Publikumserfolg, hochgelobt von der Presse bis zum Bürgermeister. Ich wollte es einfach nicht fassen: plötzlich grüßten mich sogar fremde Leute auf der Straße, es war schon komisch. Die VORSCHAU gratulierte, Günther Reh-schuh meinte mit Siegerlächeln: ,,Man muss Dich eben zum Glück zwingen“. Im Folgejahr fand noch eine weitere, abermals sehr erfolgreiche Quiz-Veranstaltung statt, nunmehr in den „Vier Jahreszeiten“. Dass ich dann später vielerorts mit Quiz-Veranstaltungen auf-getreten bin, besonders gern mit meinem JAZZ QUIZ (häufig gemeinsam mit den Dresdner Tanzsinfonikern), dazu wäre es ohne die Radebeuler VORSCHAU Initialzündung wohl niemals gekommen. Ich entsinne mich auch zweier, gegen Mitte der 60iger Jahre von der Radebeuler VORSCHAU initiierter Veranstaltungen ,,Jazz und Lyrik“ im Filmtheater Capitol in Radebeul-West, wozu ich als Sprecher und Gestalter verpflichtet worden war. Ich hatte jeweils die Berliner ,,Jazz-Optimisten“ und die Sängerin Ruth Hohmann, außerdem für den ersten Abend den Schauspieler/Sänger Manfred Krug, für den zweiten den Schauspieler Günter Haak eingeladen. Beide Veranstaltungen verliefen total ausverkauft und mit nahezu überkochender Publikumsstimmung. Mir ist vor allem unvergesslich, dass mich mitten im Programm urplötzlich Manfred Krug auf der Bühne (unter Jubel) dazu animierte, mit ihm den beliebten Nachkriegssong vom ,,Kötzschenbroda-Expreß“ im Duett zu singen, nachdem er gerade erfahren hatte, dass es diesen Ort tatsächlich gibt und wir uns augenblicklich exakt dort befanden. Zum Glück war mir der Text noch einigermaßen in Erinnerungen (Krug weniger), und mit riesigem Spaß swingten und holperten wir aus dem Stegreif über die Runden. Das Publikum tobte! ABER: Tage später verriss die für ihre Humorlosigkeit berühmt gewesene SED-Pressekritik (Sächsische Zeitung) das Ganze wegen des der DDR-Realität völlig widersprechenden und deshalb politisch untragbaren Liedtextes aus früher Nachkriegszeit. Dieser (und manch anderer) hanebüchene Blödsinn zielte namentlich hauptsächlich auf meine Person, hatte man doch wegen meines ,,provokanten jazz-propagandistischen“ Auftretens (es war damals eine besonders harte Zeit für den Jazz im Zeichen der dogmatischen DDR-Kulturpolitik) schon lange ein ,,besonderes Auge“ auf mich gerichtet. Aber daran hatte ich mich schon gewohnt. Umso mehr entschädigte die Gunst des Publikums und natürlich das einmalige Duett mit Manfred Krug! Dank VORSCHAU war es letztlich dazu gekommen. Noch eine letzte Erinnerung, eine in ihrer grotesken Bitternis für mich ungemein nachhaltige, wobei die ,,Vorschau“ glücklicherweise nur eine indirekte Rolle gespielt hat. Es war im Herbst 1962, als mich Günther Rehschuh zu meiner großen Freude mit einem grundsätzlichen Artikel über den „Jazz“ beauftragte. Selbstredend sollte er im bejahenden Sinne abgefasst sein, woraus sich konsequenterweise ein zur offziellen Partei/SED-Kulturpolitik gegenteiliger Standpunkt ergeben musste. Im Wissen um den ,,Zündstoff“, argumentierte ich mit höchstmöglicher Objektivität und benutzte als Belegmaterial u,a. auch Fakten über die positiv-fordernde Haltung gegenüber dem Jazz, wie sie einige sozialistische ,.Bruderländer“ (nicht zuletzt die UdSSR) mit beispielgebender kulturpolitischer Progressivität demonstrierten. Damals diente ein solcher ,,Bruderland“-Hinweis als ein außerordentlich nützliches Argument! Der Beitrag erschien im Januarheft 1963 unter der von mir bewusst sachlich formulierten Überschrift „Jazz – eine Musik des 20. Jahrhunderts“. Daraufhin hatte ein wohl des Lesens nicht ganz mächtiger, aber dafür umso übereifriger Genosse Kulturhüter nichts Eilfertigers zu tun, als dem Ministerium für Kultur und dem DDR-Rundfunk (damals mein Arbeitgeber), die Information zukommen zu lassen, dass in der Radebeuler ,,Vorschau“ ein gewisser K.D. in Form einer kulturpolitisch völlig unhaltbaren Überschrift die Behauptung aufstelle, der Jazz sei DIE Musik des 20. Jahrhunderts. Damit diffamiere der K.D. das gesamte musik-humanistlsche deutsche Kulturerbe, wofür ihm jegliche kulturelle Öffentlichkeitsarbeit in der sozialistischen Gesellschaft untersagt werden müsse. Dem Schreiberling blindlings vertrauend, wurde unglaublicherweise (wahrscheinlich, weil es gerade in die harte kulturpolitische Linie passte), in Berlin die Polit-Maschinerie gegen K.D. in Gang gesetzt, gipfelnd in einer Rundfunk-Belegschaftsversammlung (mit ZK-Beteiligung), um regelrecht in Form eines Tribunals einen kulturpolitischen Präzedenzfall zu praktizieren. Dabei kam bezeichnenderweise der Inhalt des Beitrages überhaupt nicht zur Sprache, sondern es ging allein um dessen angeblich ideologisch total verwerfliche, vom Klassenfeind infiltrierte Überschrift. Als man mir schließlich, in Erwartung eines reuevollen Schuldbekenntnisses, großzügig eine persönliche Stellungnahme gewährte, ging ich gelassen zum Rednerpult und verlas aus der betr. Radebeuler VORSCHAU (die keiner der .,Ankläger“kannte!) mit überdeutlicher Betonung die WIRKLICHE Überschrift. Darauf hin brachen die vierhundert Pflicht-Anwesenden in lautes Gelächter aus, während die Präsidiumsmitglieder eifrig miteinander tuschelten. Schließlich erfolgte die lakonisch-kleinlaute Erklärung, man sei offensichtlich einem Informationsfehler zum Opfer gefallen, womit sich der Fall von selbst erledigt habe. – Keine Entschuldigung. Seit einigen Jahren weiß ich, dass jenes VORSCHAU -,,Vergehen“, das es überhaupt nicht gab, als reales Vorkommnis in meiner sog. Kaderakte Registrierung gefunden hatte, ja sogar meiner Stasi-Akte (mitsamt der Radebeuler VORSCHAU 1/63) als belastendes Beweisstück für ,,staatsfeindliche Einstellung“ zugeordnet worden war! Ist es nicht kurios, was eine harmlose Fragestellung nach Erinnerungen so alles wachzurufen und im Nachhinein z.T. erst richtig bewusst zu machen vermag? Der NEUEN Radebeuler VORSCHAU übermittle ich zum 10-jährigen Bestehen im ,,Luxus“ der freien Meinungsäußerung meine allerbesten Wünsche.

Karlheinz Drechsel Berlin

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