Ein weiter Blick zurück und wie das Wendekind erwachsen wurde
Es war im Jahr 1982, als ich zum ersten Mal »Die Vorschau« in meinen Händen hielt. Ich hatte mich im Stadtarchiv angemeldet, um für meine Diplomarbeit über Malerei und Grafik in Radebeul zu recherchieren. Archivarin Lieselotte Schließer (1918-2004) suchte mir entsprechende Unterlagen heraus, unter denen sich auch einige vergilbte Exemplare des Monatsheftes »Die Vorschau« befanden. Zu meiner Überraschung boten diese schmalen Heftchen aufschlussreiche Einblicke in das kulturelle Leben der 50er und 60er Jahre unserer Lößnitzstadt. Neben einem umfangreichen Veranstaltungsteil enthielten sie vor allem Beiträge über Heimatgeschichte und Denkmalpflege, Kunst und Kultur, Wirtschaft und Politik. Vorgestellt wurden bekannte, aber auch mir bis dahin unbekannte Persönlichkeiten. Große Aufmerksamkeit widmete man der Volkskunst und dem Laienschaffen, das damals nicht nur aus propagandistischen Gründen hoch im Kurs stand.
Die Beiträge stammten vorwiegend aus der Feder von ehrenamtlichen Autoren und trugen oft einen sehr persönlichen Charakter. Die Leser wussten das zu schätzen, und die Resonanz war groß. Immer wieder wurden durch die »Vorschau« Diskussionen im Kreis der Leserschaft ausgelöst, in denen starkes lokales Interesse zum Ausdruck kam. Mag die versteckte Kritik in manchen »Vorschau«-Artikeln von damals aus heutiger Sicht auch mehr als harmlos erscheinen, brachte sie der Redaktion nicht selten großen Ärger ein. Trotz freiwilliger Selbstzensur mussten die Manuskripte bis zur Druckfreigabe verschiedene Kontrollinstanzen passieren, und mehrfach gelangten brisantere Beiträge gar nicht erst zur Veröffentlichung.
Herausgeber waren die Radebeuler Ortsgruppe des Kulturbundes und der Rat der Stadt. Während Letzterem hauptsächlich die Kontrollfunktion oblag, kamen aus den Reihen des Kulturbundes die eigentlichen »Macher«, darunter Hellmuth Rauner (1895-1975) und Alfred Fellisch (1884-1973), die den Kulturspiegel für Radebeul, Moritzburg und Radeburg 1954 aus der Taufe gehoben hatten. Warum der verantwortliche Redakteur Günther R. Rehschuh (1921-1999) anfangs das Pseudonym Rudolf Huscher verwendete, kann nur gemutmaßt werden. Einige Rätsel gibt auch das jähe Ende der alten »Vorschau« auf. Obwohl sie mehrere Auszeichnungen als bester Kulturspiegel des Bezirkes erhalten hatte, wurde ihr Erscheinen Ende 1963 auf »Weisung von oben« hin eingestellt. Der wöchentlich erscheinende »Dresdner Kreis-Express« (»Organ der Kreisleitung der SED«, 1961-1967), der offiziell die Nachfolge antreten sollte, war ein schwacher Ersatz und hat nicht lange überlebt.
Die Wiedergeburt des kulturellen Monatsheftes steht im Zusammenhang mit der allgemeinen Aufbruchstimmung in der Wendezeit. Der Gedanke daran wurde erstmals im Herbst 1989 ausgesprochen, in jenem Jahr, das im Rückblick wohl gerade für Vertreter meiner Generation zu den spannendsten zählt. Wir waren zwar nicht mehr ganz jung, aber auch nicht zu alt, um noch einmal etwas Neues auszuprobieren. Viele Ideen hatten sich angestaut, und die Spielräume, die sich mit der Wende boten, wurden schnell erkannt und genutzt. Die Menschen waren offen und voller Hoffnung. Schier endlose Diskussionen fanden statt, in der Kirche, auf der Straße, am Arbeitsplatz, in Kneipen und natürlich auch in den Kultureinrichtungen.
Bereits ab Mitte der 80er Jahre mutierte die Kleine Galerie in Radebeul-Ost zu einem kommunikativen Anlaufpunkt. Kunstprojekte bargen zunehmend gesellschaftskritischen Zündstoff. Kulturpolitik und Stadtentwicklung wurden thematisiert. Ausstellungen wie »Altkötzschenbroda im Abriss?« setzten Zeichen weit über die Räume der Galerie hinaus und wirken bis heute nach.
So kam es, dass man mich als Galerieleiterin eines Tages bat, im »Neuen Forum« die Funktion als Ansprechpartner für die Arbeitsgruppe Kultur zu übernehmen. Auf einer Bürgerversammlung, die im November 1989 in der Friedenskirche stattfand, stellten die verschiedenen Gruppen ihre Programmpunkte zur Diskussion, verbunden mit dem Ziel, möglicht viele Mitstreiter zu gewinnen. Da das Ganze auch einen konkreten praktischen Nutzen haben sollte, schlug ich vor, das kulturelle Monatsblatt »Die Vorschau« neu aufzulegen. Tatsächlich meldeten sich einige Interessierte, darunter Ulrike Kunze, Ilona Rau, Dietrich Lohse, Friedemann Nawroth, René Wagner und Wolfgang Zimmermann. Man besann sich, dass Dieter Malschewski (1931-2009) bereits bei der alten Vorschau als junger Redakteur mitgewirkt hatte, und auch er war gern bereit, seine Erfahrungen einzubringen.
Doch bis das erste, das Mai-Heft von »Vorschau und Rückblick« 1990 erscheinen konnte, galt es noch einige Hürden zu nehmen. Ulrike Kunze beantragte als Vorsitzende der Bürgerinitiative Kultur beim Rat des Bezirkes Dresden die Drucklizenz. René Wagner wurde zum Geschäftsführer ernannt. Das Layout entwarf der Radebeuler Maler und Grafiker Günter Schmitz. Die ersten Titelabbildungen steuerte der Architekt Thilo Hänsel bei. Format und Seitenzahl entsprachen der alten Vorschau. Einen kleinen Zuschuss vom Rat der Stadt gab es zum Start. Ansonsten musste sich das Heft selbst finanzieren. Deshalb kostete es nun nicht mehr wie früher 30 Pfennige, sondern 1,50 Mark. Doch schon bald stellten wir fest, ein Monat war schneller herum, als die Auflage verkauft werden konnte, so dass sich die Restbestände bei uns zu stapeln begannen und das Geld immer knapper wurde. Was uns fehlte, war eine beständige Einnahmequelle und ein effektives Vertriebssystem. Schließlich entschieden wir uns, das Heft vollständig durch Anzeigen zu finanzieren und kostenlos an geeigneten Stellen auszulegen. Fortan trug Dieter Malschewski nicht nur die redaktionelle Verantwortung, sondern auch das geschäftliche Risiko, und als Herausgeber fungiert bis heute der aus der »Bürgerinitiative Kultur« hervorgegangene gemeinnützige Verein »Radebeuler Monatshefte e.V.«.
Karin Gerhardt
Inzwischen hat »Vorschau und Rückblick« das Radebeuler Kulturleben bereits mehr als zwei Jahrzehnte lang begleitet und ist irgendwie auch ein Teil davon geworden. Die meisten der Gründer sind noch dabei, und glücklicherweise hat das Redaktionskollegium mehrmals Zuwachs bekommen. Die wenigsten von uns sind Profis, aber wir geben uns Mühe, unsere kleine Zeitschrift abwechslungsreich, qualitätvoll und lesenswert zu gestalten. Viele Autoren haben uns im Laufe der Jahre mit ihren Texten dabei unterstützt. Die Firmen, die in der Vorschau werben, und die Spendenbereitschaft unserer treuen Leser haben es ermöglicht, dass wir auch mit der Bestreitung der Herstellungskosten bisher immer gerade so um die Runden kamen. Der Lößnitz-Druck ist uns über die Jahre ein verlässlicher Partner gewesen. Und als Dieter Malschewski im vergangenen Jahr starb, sind Frank Andert und Antje Herrmann für ihn in die Bresche gesprungen. Bei allen bedanken wir uns ganz herzlich!
Kunst, Geschichte, Denkmalpflege, Literatur, Theater, Vereinsleben etc. in Radebeul und Umgebung – die kulturellen Themen werden uns nicht ausgehen, die befruchtenden Anregungen von außen hoffentlich auch nicht, und Stoff für die eine und andere Glosse wird sich sicher finden. Dass es einer Kulturstadt wie der unseren nicht schaden kann, wenn es ein unabhängiges und nicht auf die Erzielung wirtschaftlichen Gewinns orientiertes publizistisches Forum für basiskulturelle Belange gibt, ist nach wie vor unsere Meinung.
Die Redaktion
[V&R 5/2010, S.1-3]